Ein bisschen Krimi, ein bisschen Liebe, ein bisschen Identitätsverlust

Hannes Köhler erzählt in seinem Debutroman „In Spuren“ vielschichtig, aber etwas zu bemüht vom Traum, das Leben neu zu erfinden

Von Jana BehrendsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Behrends

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jeder kennt die Geschichte vom Familienvater, der eines Tages vom Zigarrettenholen nicht zurückkommt und auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Dieses Motiv ist inzwischen so ausgereizt, dass es selbst im Reich der Kalauer nur noch ein Schattendasein fristet. Umso außergewöhnlicher ist es, dass der erst 29-jährige Hannes Köhler direkt auf der ersten Seite seines Romans „In Spuren“ seine Figur Felix’ auf einer Party zum Zigarettenholen schickt und nie mehr zurückkehren lässt.

Interessanterweise wählt der Autor jedoch nicht die Perspektive des Ausbrechenden: Zurück bleibt Jakob, der sich als Felix besten Freund bezeichnet und versucht, dem Entflohenen auf die Schliche zu kommen. Er verbringt zunächst nur gelegentlich Zeit in dessen Wohnung und macht sich auf die Spurensuche nach seinem verschwundenen Freund. Insbesondere aus seinem Tagebuch entnimmt er dabei  allerhand für ihn überraschende Informationen. Dabei stellt er fest, was er alles über Felix nicht weiß und dass ihre Freundschaft eher einseitig gewesen ist. Traurig fasst er zusammen: „Ein bester Freund wüsste, wohin er verschwunden ist.“

Bei seinen Recherchen dringt Jakob immer stärker in die Intimsphäre des Freundes ein und überschreitet mit der Zeit eine Grenze nach der anderen: Am Anfang ist es ihm noch etwas unangenehm, in Felix’ Wohnung zu duschen oder an seinem Herd Nudeln zu kochen. Was aber mit der Suche nach dem verschwundenen Freund beginnt, weitet sich dann zu einem Identitätswechsel par exellence aus. Am Ende des Romans sitzt Jakob in Felix’ Anzug bei Felix’ Vorstellungsgespräch – und bekommt den Job. Die Verwandlung ist geglückt.

Dabei wird eine immense Parallele zwischen dem verschwundenen Felix und dem zurückgelassenen Jakob deutlich. Denn so abrupt und spurlos Felix aus Jakobs Leben verschwunden ist, so abrupt und spurlos schleicht sich Jakob aus seinem Leben. Er geht nur noch sporadisch zur Arbeit, und auch in der gemeinsamen Wohnung mit seiner Freundin Sarah lässt er sich immer seltener blicken. Diese bringt bei einem Streit auf den Punkt: „Guck sie dir doch an, seine Bücher, seine Notizen, die dich krank gemacht haben. Ich frage mich, wer von euch beiden eigentlich verschwunden ist, du oder er.“

Beide Zurückgelassenen, sowohl Jakob als auch Sarah, reagieren dabei ähnlich auf die Trennungssituation und versuchen zunächst, den Entflohenen mit aller Gewalt zurückzuholen, bis sich in ihnen eine gewisse Resignation breit macht und sie das Feld räumen.

Dabei umgeht der Autor geschickt der Gefahr, das Ganze zu einer rührenden Selbstfindungsklamotte werden zu lassen. Stattdessen bevorzugt er es, Jakob als eine Art menschlichen Parasiten darzustellen, der es sich so richtig in Felix’ Leben gemütlich macht. Latent unzufrieden mit seinem bisherigen Dasein, das er als von seiner Freundin und seinem öden Job dominiert empfindet, nutzt er die Lücke direkt aus, um sich eine neue Identität zu verschaffen. Der Prozess ist zwar schleichend, Jakob ist sich ihm aber permanent bewusst: „Du musst aufpassen, sagt eine Stimme im Halbschlaf, du musst aufpassen, dich nicht zu verlieren. Das Problem ist nur, dass ich nicht weiß, wen ich da eigentlich verlieren soll.“

Das alles beschreibt Hannes Köhler mit dem, was Ethnologen als „dichte Beschreibung“ bezeichnen: Durch die Nennung von Musikern, Schriftstellern, Biersorten, Stadtteilen und der Farbe der Transport-Plastiktüten von Dönern entstehen für den Leser genaue Bilder und Vorstellungen von Felix’ Leben, das Jakob nach und nach adaptiert. Stellenweise gestaltet sich jedoch der Übergang von exakten Schilderungen zu plakativer Phrasendrescherei jedoch fließend.

So wird Jakobs Exfreundin Manja als daherstampfender Grobian beschrieben und wohnt natürlich im Berliner Grobian-Kiez Kreuzkölln. Der selbstzweifelnde Felix lebt im szenigen Wrangelkiez und hat ein paar Graffitis an der Türe, Jakob und Sarah hingegen im etwas beschaulicheren, aber immer noch angesagten Südkiez in Friedrichshain. Gähn.

Ebenso stereotyp gezeichnet sind die Nebenfiguren: Fast alle haben Locken, was wohl eine gewisse Lebendigkeit symbolisieren soll, zweisilbige Namen und sind irgendwie cool, charmant und interessant – das „Neon“-Magazin lässt grüßen. An einer Stelle jedoch bricht Köhler mit diesen Stereotypen. Jakob trifft sich bei seiner Spurensuche nach Felix mit einem gemeinsamen Freund aus Hamburg, der bezeichnenderweise Finn Hagendeen heißt und als gradliniger, hanseatischer Typ ein bisschen an Hans Hansen aus Thomas Manns „Tonio Kröger“ erinnert. Ausgerechnet dieser Finn, dem man sofort seinen Bausparvertrag anvertrauen möchte, eröffnet das Gespräch mit einem überraschenden Geständnis: „Ich ficke eine Kollegin. Schon seit ein paar Monaten.“ Leider bleibt dies jedoch die einzige ironische Brechung in einem Meer aus lauter Allgemeinplätzen. Das ist schade, denn einige weniger gradlinig gezeichnete Figuren und einige Überraschungseffekte weniger hätten dem Roman trotz seiner vielen Qualitäten sicher nicht geschadet.

Titelbild

Hannes Köhler: In Spuren. Roman.
Mairisch Verlag, Hamburg 2011.
230 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783938539187

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