Dem Unbewussten der Autoren auf der Spur

Zu Carl Pietzckers Buch „Psychoanalytische Studien zur Literatur“

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In diesem Band legt Carl Pietzcker eine Reihe Studien zur „Literatur, Psyche, Literaturwissenschaft und Psychoanalyse“ vor, die vor allem im vergangenen Jahrzehnt entstanden sind. Die ersten Aufsätze umkreisen ihr Thema „in Anläufen hin zu einer Theorie und Methodik Psychoanalytischer Literaturwissenschaft“. Es soll gezeigt werden, wie sich Unbewusstes in einem Text ausdrückt und vom Rezipienten aufgenommen werden kann. Dies führt der Autor anhand der grundlegenden Studien Freuds zur Analyse literarischer Figuren wie Hamlet, Lady Macbeth und Rebekka West vor; für Freud Ausdruck des Unbewussten ihres Schöpfers. Hierbei stand, neben Freuds ausgesprochenem Interesse an der literarischen Form, wohl unausgesprochen der Wunsch im Vordergrund, die allgemeine Anwendbarkeit psychoanalytischer Grundsätze zu demonstrieren.

Nachdem Pietzcker den psychoanalytischen Zugriff auf literarische Werke anhand der Konstitutionsbedingungen der Gattung der Autobiografie erläutert hat, folgen Studien zu ausgewählten Texten. Die Hinleitung zur Interpretation von Goethes „Götz von Berlichingen“ schafft Pietzcker durch einen überzeugenden Verweis auf die Konstruktion unserer begrifflichen Welt aus Körperbildern, eines der zuletzt fächerübergreifend diskutierten Forschungsparadigmata. Die im Folgenden detailreich diskutierte „Trilogie der Leidenschaften“ von Goethe und Nietzsches Nachtlied aus „Also sprach Zarathustra“ eint nach Ansicht des Autors die in ihnen zum Ausdruck kommende Abwehr weiblicher Dominanz mittels unterschiedlicher Distanzierungsstrategien. Tritt bei Goethe das Motiv der Flucht beziehungsweise Rastlosigkeit in den Vordergrund, so ist es bei Nietzsche der Rückzug auf sich selbst durch Größenfantasien.

Da Pietzcker interpretatorisch auf das Unbewusste der Autoren zielt, zieht er zu seiner Deutung autobiografische Äußerungen heran. Hierin vermag Pietzcker nicht ganz zu überzeugen, tritt doch gerade bei Goethe und Nietzsche das selbststilisierende und inszenatorische Moment in ihren Selbstzeugnissen überdeutlich ins Auge. Insbesondere Pietzckers These von der Enttäuschung Goethes durch die Mutter wegen deren Hinwendung zur Schwester ist schwer nachzuvollziehen, war er doch zeitlebens ihr verwöhnter „Hätschelhans“.

Dies kann man unter anderem in dem einfühlsamen Porträt seiner Schwester Cornelia Goethe von Sigrid Damm nachlesen (Sigrid Damm: Cornelia Goethe, Berlin und Weimar 1989.) Goethe nahm von Cornelia Abstand, als sie zu einer eigenständigen und klugen Persönlichkeit und somit einer Rivalin für ihn heranwuchs. Diese distanzierende Verhaltensweise tritt auch im Verhältnis von Goethe zu anderen ihn geistig herausfordernden Frauen auf (beispielsweise gegenüber Marianne von Willemer).

Friedrich Nietzsches biografisch motivierter Frauenhass ist dagegen sprichwörtlich geworden („Wenn Du zum Weibe gehst…“). Offensichtlich versuchten Goethe und Nietzsche ihrem ambivalenten Verhältnis zu Frauen in ihren literarischen Werken Ausdruck zu verleihen und es zu sublimieren. Dieser Aspekt der schöpferischen Bewältigung biografischer Konflikte im künstlerischen Schaffen tritt bei Pietzcker leider in den Hintergrund und man gewinnt trotz seiner Bemühungen, eine Psychopathologisierung des Kunstwerks zu vermeiden, leicht einen gegenteiligen Eindruck (siehe hierzu: Josef Rattner/Gerhard Danzer (Hrsg.), Kunst und Krankheit in der Psychoanalyse: Oscar Wilde, Camille Claudel, Rainer Maria Rilke, Paul Klee, Fjodor M. Dostojewski, Anton Tschechow, München 1993).

Weitere interpretatorische Studien Pietzckers sind dem bereits von Freud hochgeschätzten Zeitgenossen, dem Dramatiker Henrik Ibsen („Rosmersholm“), Bertholt Brechts Herzneurose, Astrid Lingrens Kinderbuch „Pippi Langstrumpf“ und Reinhard Jirgls Roman „Hundsnächte“ gewidmet.

Den Abschluss des Buches bildet ein sehr lesenswerter autobiografischer Rückblick auf 50 Jahre der Auseinandersetzung und Anwendung psychoanalytischer Methodik in der Literaturwissenschaft und Selbsterfahrung in der Psychoanalyse. Dem an der Wechselwirkung zwischen Psychoanalyse und Literatur interessierten Leser kann das Buch trotz der genannten Einschränkung als fundierte und anregende Studie eindrücklich ans Herz gelegt werden.

Titelbild

Carl Pietzcker: Psychoanalytische Studien zur Literatur.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2010.
342 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783826045042

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