„Nabelschnur zur Romantik“

Ein Lübecker Katalogband beleuchtet Thomas Manns Wagner-Rezeption

Von Jochen StrobelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jochen Strobel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2013 wird ein Richard-Wagner-Jahr sein. Hatte mit Thomas Mann einer der zugleich bekanntesten und kritischsten Wagner-Kenner zu Lebzeiten nur ein einziges Mal Bayreuth aufgesucht, so wird die jetzt im Buddenbrookhaus in Lübeck eröffnete Ausstellung „Liebe ohne Glauben. Thomas Mann und Wagner“ in zwei Jahren auch in der Festspielstadt zu sehen sein. Damit werde, so der Direktor des Bayreuther Wagner-Museums Sven Friedrich, eine Brücke zwischen Lübeck und Bayreuth geschlagen. Dies besagt aber keineswegs, dass der Begleitband zur Ausstellung Thomas Manns kritisch-distanzierte Rezeptionsleistung herunterspielen möchte. Ganz im Gegenteil.

Der bibliophil gestaltete und mit zahlreichen aussagekräftigen Abbildungen versehene Aufsatzband umkreist in seinen 13 Beiträgen immer wieder das Zentrum jener im Musikalischen und damit im Emotionalen offenbar hingebungsvollen („Rettungslos zu Hause“), ansonsten aber mit zahlreichen Vorbehalten verbundenen Auseinandersetzung Thomas Manns mit Richard Wagner.

Friedrich lässt in seinem Geleitwort keinen Zweifel daran, dass nach Zerstörung und Wiederaufbau der heute als Museum dienenden Villa Wahnfried dieses Haus sich „im Exorzismus jenes Wahns“ übe, „der Wagner zum geistigen Herold einer Abscheulichkeit herunterdeklinierte“. Dies liest sich freilich so mythologieverdächtig wie die Behauptung, „Wagner-Bayreuth“ sei mit seiner Zerstörung 1945 „erneut zum Symbol deutscher Geschichte“ geworden. Immerhin: Vom Antisemitismus in Wagners Werk weiß der Band nichts zu berichten, auch Thomas Manns Erzählung „Wälsungenblut“ wird kein Kapitel gewidmet. Das Heikelste wird also ausgespart. Es steht dennoch zu hoffen, dass die Wagnerianer von heute Thomas Mann nicht einfach als Kronzeugen einer Wagner-Rezeption des „guten“ (Exil-) Deutschen instrumentalisieren. Immerhin kehrte Mann auch nach 1945 nicht einmal besuchsweise nach Bayreuth zurück.

Die größtenteils von bewährten Thomas-Mann-Forschern verfassten Aufsätze rekonstruieren den Einfluss Richard Wagners als des für Thomas Mann wichtigsten Künstlers überhaupt. Wer immer sich über das Thema informieren möchte, wird mit dem Band auf seine Kosten kommen, und zwar auf dem Stand der Mann-Forschung. Ergänzt werden die Beiträge durch eine allerdings etwas kontingent bleibende Blütenlese Thomas Mann’scher Tagebuchäußerungen zu Wagner sowie durch eine Diskografie mit jenen Hunderten Wagner-Platten, die sich in Manns Musikalien-Nachlass befinden. Alles zusammen prägt den fast handbuchartigen Charakter des Bandes, der doch über weite Strecken angenehm zu lesen ist.

Die Fakten sind bekannt: Wagner, Thomas Manns „Nabelschnur zur Romantik“ (Hans Rudolf Vaget), wurde von diesem durch die Brille Friedrich Nietzsches gesehen. Nietzsche wiederum sah Wagner als Scharlatan der Popularitätssucht, als Vertreter einer ‚doppelten Optik‘, den es auch nach Breitenwirksamkeit verlangte, nicht nur nach der Anhängerschaft der Musikkenner – eine Strategie, die vor allem der junge Thomas Mann verfolgte, den es nach eigenem Bekunden auch zu den Dummen zog. Überall in Manns Œuvre gibt es Anspielungen auf Wagner, im „Zauberberg“, in den „Josephs“-Romanen, im „Doktor Faustus“ sowieso; zahlreiche Reden und Essays kreisen kritisch verhalten um den großen Mann und seine Musik, die doch schon in den 1920er-Jahren eine Klientel gefunden hatte, mit der sich der zunehmend der Demokratie zuneigende Thomas Mann nicht mehr identifizieren wollte. Die Vereinnahmung Wagners durch die Nationalsozialisten war für Mann nur eine weitere Rechtfertigung dafür, jener Musik-Droge stets mit kritischer Reserve zu begegnen, der er im Grunde doch selbst verfallen war.

Die Beiträge sind zitierfreudig und thematisch nicht frei von Redundanzen. Immer wieder wird die Leitmotivtechnik bemüht, doch erst Dorothea Kirschbaum weiß kompetent und anschaulich in Wagners musikalische wie in Manns sprachliche Leitmotivtechnik (als Idee oder als Sprachspiel) einzuführen. Sie zeigt, wie die Leitmotivtechnik bei Thomas Mann poetologisch lesbar wird, wenn etwa das Musikalische codiert wird „als im Dienst einer abgründigen Verführungsmacht“ stehend.

Informativ ist ein Artikel zu Thomas Manns Beziehungen zum Wagner-Enkel Franz Beidler. Andere Beiträge stellen Materialien dar, reproduzieren manches, was als Handbuchwissen gelten darf. Für den Begleitband zu einer Ausstellung bedeutet dies keinesfalls ein Verdikt.

War Wagner vielleicht doch die „größte Liebe“ Seines Lebens, einer Liebe, die „nicht vor gewissen Befleckungen geschützt“ war? Noch einmal lauschen wir der Sprache von Bildungsbürgern, die einander in der Liebe zu Thomas Mann gefunden haben, einer Liebe voller Andacht und Gläubigkeit.

Titelbild

Holger Pils / Christina Ulrich (Hg.): Liebe ohne Glauben. Thomas Mann und Richard Wagner.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
250 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783835309654

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