Schreiben in schwierigen Zeiten

Hans Sarkowicz und Alf Mentzer stellen Schriftsteller im Nationalsozialismus vor

Von Erhard JöstRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erhard Jöst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Des deutschen Buches Seele / kämpft mit bei dieser Tat. / Es hilft sein deutscher Wille, / daß rascher reift die Saat. // Du deutsches Herz, du großes, / wie friedvoll ward dein Schlag, / seit deine Ketten sprengte / der Freiheit goldner Tag“. Mit solchen Reimereien biederte sich der Börsenverein des Deutschen Buchhandels im Mai 1933 den Nazis an, die drei Monate zuvor die Macht übertragen bekommen hatten und sofort auf allen Ebenen und in allen Bereichen ihre Gleichschaltungspolitik betrieben. Den Schriftstellern wurde von Anfang an signalisiert, dass sie sich der Bewegung anschließen oder ihren Beruf aufgeben müssen. Jedenfalls konnten Autoren, die dem Regime kritisch gegenüberstanden, keine Unterstützung erwarten, wenn sie an den Pranger gestellt und ihre Bücher auf Anweisung nicht mehr verlegt wurden. Von Seiten des Börsenvereins erfolgte auch kein Protest gegen die im Mai 1933 durchgeführte Bücherverbrennungs-Aktion. Damit war jedem Schriftsteller klar, wie eingeschränkt seine Möglichkeiten waren: Wer nicht ins Exil ging, musste sich entweder anpassen oder schweigen. Wer in Deutschland blieb, suchte sich seinen Weg zwischen diesen Alternativen.

Das biografische Lexikon „Schriftsteller im Nationalsozialismus“ von Hans Sarkowicz und Alf Mentzer „versammelt die wichtigsten Schriftsteller, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland publizierten“. Aber wer sind „die wichtigsten“? Die Verfasser stellen insgesamt 155 Personen vor, um zu verdeutlichen, „wie vielgestaltig die literarische Produktion im NS-Staat war“. Sie geben zu, dass ihre Auswahl subjektiv ist. „Dieses Lexikon versucht, die ganze Bandbreite schriftstellerischer Existenzen im ‚Dritten Reich‘ vorzustellen: vom linientreuen Blut-und-Bodendichter bis zum Vertreter der ‚Inneren Emigration‘, vom Opportunisten, der als Nazi-Barde seine Chance gekommen sah, bis zum jüdischen Schriftsteller, der seine bescheidenen Publikationsmöglichkeiten bis 1938 nutzte, von den international renommierten Großschriftstellern, die von den Nationalsozialisten hofiert wurden, bis zu den Debütanten, die nach 1933 erst die literarische Bühne betraten. Sie alle sind mit ihren Werken, ob sie es wollten oder nicht, Teil der Literatur im nationalsozialistischen Deutschland“.

Allerdings ist es ein schwieriges, ja nahezu unmögliches Unterfangen, diese unterschiedlich positionierten Schriftsteller so zu präsentieren, dass ein „verläßliches Nachschlagewerk“ entsteht, zumal die wissenschaftliche Forschung nach wie vor viele Lücken aufweist. Sarkowicz und Mentzer geben daher im Vorwort ihre Intention an, mit dem Lexikon „Basisdaten“ zu liefern und Anregungen für literaturwissenschaftliche Untersuchungen zu geben. Außerdem ist ihnen „die kritische Einordnung“ der von ihnen ausgewählten Schriftsteller „besonders wichtig“. Es ist nachvollziehbar, dass die Verfasser des Lexikons eine Auswahl trafen und, „um den Band übersichtlich und kalkulierbar zu halten“, schweren Herzens „auf eine Reihe von Autoren“ verzichtet haben. Aber auch wenn eine Vollständigkeit nicht erwartet werden kann (obwohl man sie sich bei einem solchen Lexikon wenigstens als anzustrebende Zielsetzung wünscht), ist es sehr bedauerlich, dass sie dem Buch nicht wenigstens eine Liste mit den Namen sämtlicher „Schriftsteller im Nationalsozialismus“ beigegeben haben. Dies wäre gerade unter dem Aspekt, dass man auch auf Forschungsdefizite hinweisen möchte, wichtig gewesen. Wer aber nach Schriftstellern sucht, die in das Lexikon von Sarkowicz / Mentzer nicht aufgenommen worden sind, kann zum „Kulturlexikon zum Dritten Reich“ von Ernst Klee greifen (Fischer Taschenbuchverlag 2007). Dieses „lexikalische Mahnmal“ enthält immerhin 3.600 Namen von Personen aus dem Kulturbetrieb, die vor und nach 1945 in auffälliger Weise als Funktionsträger oder als Verfolgte aufgefallen sind. Im Vergleich zu dem vorliegenden Lexikon „Schriftsteller im Nationalsozialismus“ klagt Ernst Klee zornig den Skandal an, der darin besteht, dass „seit 1945 Biographien systematisch gefälscht wurden und immer noch gefälscht werden“ und konstatiert: „Noch im nachhinein verklärten die Profiteure des NS-Kulturbetriebs das Naziregime zur Förderin der Musen“.

Selbstverständlich kritisieren auch Sarkowicz und Mentzer die Nazis, Denunzianten und Opportunisten unter den Schriftstellern des „Dritten Reichs“, aber sie bemühen sich, die Vorgänge  so weit als möglich mit distanzierter Sachlichkeit zu erfassen. Es ist ihnen wichtig, die ausgewählten Autoren eingehend vorzustellen. Deshalb sind ihre Porträts viel ausführlicher gehalten als die knappen Artikel von Ernst Klee. Wer allerdings ausführliche Studien lesen möchte, der sollte zu dem von Rolf Düsterberg herausgegebenen Buch „Dichter für das ‚Dritte Reich‘“ greifen (vergleiche die Rezension „Schreibtischtäter“, literaturkritik.de Nr. 9 / September 2009). Dort findet man zehn „biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie“ anhand von Autoren, die bis auf Hans Rehberg, Rainer Schlösser und Tüdel Weller auch in das Lexikon von Sarkowicz / Mentzer aufgenommen worden sind. Mit ausgewählten Zitaten und treffenden Belegen werden die für das Lexikon „Schriftsteller im Nationalsozialismus“ erstellten Porträts veranschaulicht. Sie führen, wie etwa im Fall des Lyrikers und Literaturprofessors Ernst Bertram, die abstoßende Widerlichkeit rassistischer Ideologie vor Augen.

Es ist hinlänglich bekannt, dass der Literaturbetrieb von Propagandaminister Joseph Goebbels strengstens überwacht wurde. Dazu diente vor allem die Reichskulturkammer, die am 15.11.1933 ihre Arbeit aufnahm. Die Liste „des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ wurde ständig aktualisiert, indizierte Titel durften nicht mehr verkauft und in Bibliotheken nicht mehr geführt werden, missliebige Autoren wurden ausgeschaltet. Für Schriftsteller wie Erich Kästner gab es im „Dritten Reich“ keine Publikationsmöglichkeiten, denn die Zeitungen und Zeitschriften, in denen er Texte veröffentlicht hatte, waren verboten, und andere druckten sie nicht.

Gefördert wurden Nazi-Dichter, die den ‚Führer‘ und die Volksgemeinschaft, zu Kriegszeiten dann vor allem den Heldentod feierten. Kurt Hesse, Beauftragter des Oberkommandos der Wehrmacht, hat es auf die Formel gebracht: „Im Deutschland von 1940 gehört das Buch zum Schwert, das Schwert zum Buch, gehört der Dichter zum Soldaten und der Soldat zum Dichter“. Nach Ralf Schnell erkennt man „Naziliteratur“ an der Ästhetik ihrer Haltung: „Die Ästhetik will Kampf, Unterwerfung, Ausgrenzung, Herrschaft“. Regimekritische Literatur im wahrsten Sinne konnte es im „Dritten Reich“ aufgrund der lückenlosen Zensur nicht geben. Die Schriftsteller, die in dieser Zeit auf kritischer Distanz zum Nationalsozialismus blieben, mussten über „unpolitische“ Themen schreiben und hoffen, dass sie einen Verlag finden, der ihre Texte druckt. Denn auch die Verleger hatten sich von Anfang angepasst, „Persönlichkeiten wie Peter Suhrkamp oder Ernst Rowohlt waren während der NS-Zeit […] die Ausnahme“. Erstaunlich ist, dass ein Schriftsteller wie Karl Bröger publizieren durfte, obwohl er der SPD verbunden blieb und über den die Gestapo schrieb: „In massgebenden Kreisen der früheren SPD wird Bröger als Mann gewertet, der sich wohl äusserlich dem nat. soz. Regime beugt, jedoch eine positive Festlegung auf den Nationalsozialismus zu umgehen weiss und innerlich seiner marxistischen Auffassung treu geblieben ist“.

Nach 1945 bestritten selbst die Nazi-Schriftsteller, die auch als Funktionäre für die NSDAP tätig waren, jegliche Schuld. Darüber empörten sich wiederum die Schriftsteller, die während der Diktatur ins Exil flüchten mussten. Sarkowicz / Mentzer zitieren Thomas Mann, der seine Verachtung für die vormals angepassten Kollegen auf die Formulierung zuspitzte: „In meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut, in die Hand zu nehmen. Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an. Sie sollten alle eingestampft werden“. Eine aus der Situation heraus durchaus verständliche, jedoch auch ungerechte Invektive, weil sie pauschal auf alle Publikationen abzielt. Es gab schließlich auch Schriftsteller, die es verstanden haben, mit ihren Romanen und Erzählungen in verschlüsselter Form Kritik an dem Regime zu üben wie der katholisch geprägte Stefan Andres.

Und Thomas Mann kannte Erich Ebermayer, der von den Nazis heftig attackiert wurde und dennoch nicht emigrierte. Ebermayer gibt an, dass er im Februar 1936 Mann gegenüber sein Verhalten so begründet hat: „Wohin hätten wir gehen sollen? Ohne Sprachkenntnisse, ohne Auslandsbeziehungen. Was wäre mit meiner alten Mutter geschehen? Wovon hätte sie leben sollen in der Emigration? […] Vor allem aber – haben wir Deutsche […] nicht eine wichtige Aufgabe: mitzuhelfen, das wahre wirkliche Deutschland hinüberzuretten durch den Dreck und den Schlamm dieser Zeit in eine neue Zukunft?“ Ausweglosigkeit war also zuweilen für Schriftsteller ein Grund, in Deutschland zu bleiben, und Verzweiflung gab es nicht allein bei den Exilanten. Und es gab auch Persönlichkeiten wie Hans Carossa, deren Werke durchaus Berührungspunkte zu der Weltanschauung der Nazis aufwiesen, die sich aber nie einspannen ließen. Besonders interessant sind Schriftsteller, über deren Einschätzung sich verschiedene Ämter stritten. Dies taten zum Beispiel das Amt Schrifttumspflege und das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda in Bezug auf Hans Fallada.

Die Biografien der Autoren, die von 1933 bis 1945 in Deutschland blieben, beweisen, dass die meisten, aber eben nicht alle sich den Nazis anschließen mussten, um Karriere zu machen. Ein besonders merkwürdiges Beispiel ist Arnolt Bronnen, der sich „von ganz links nach ganz rechts und wieder nach ganz links“ orientierte. Selbstverständlich war der Anpassungsdruck immens: „Am Fall Huchel zeigt sich das Dilemma eines noch jungen Autors, der trotz innerer Opposition zum NS-Regime gezwungen war, Kompromisse mit diesem einzugehen“. Wie wir aus privaten Dokumenten wissen, gab es auch Autoren, die wie Erhart Kästner das NS-Regime innerlich ablehnten, sich aber äußerlich bis hin zum Eintritt in die NSDAP mit ihm arrangierten. Manche sind wie Ernst Wiechert in der Zeit der Diktatur in eine Illusion und in die Notlüge von einer reinen Innerlichkeit geflüchtet. Leider sind die Schriftsteller, die wie Wolfgang Weyrauch ihre Anpassung im „Dritten Reich“ nach 1945 bereuten, die seltene Ausnahme.

Die Verfasser des Lexikons weisen unter anderem auch darauf hin, dass „noch nicht untersucht worden ist, wie stark die Literaturkritik für den anhaltenden Erfolg dieser Autoren (der NS-Zeit) mit verantwortlich ist“. Sie erwähnen außerdem die Literaturhistoriker, Lesebuchherausgeber und Kultusbürokraten, die auch noch in der Nachkriegszeit an diesen Autoren festhielten. „Erst auf dem Germanistentag 1966 in München setzte eine Diskussion über die Vergangenheit des Fachs ein, die aber nur ganz langsam die Literaturgeschichten erreichte“. Viel zu lange hielten die in der Nachkriegszeit einflussreichen Vertriebenenverbände kritiklos an den mit völkisch-rassistischer Ideologie belasteten Dichtern fest. Außerdem „gründeten ehemalige NS-Autoren und -Publizisten ihre eigenen Verbände und Zirkel“.

Es ist frappant und schockierend, wie selbst schwer belastete Autoren schnell wieder ins Geschäft kamen, ja sogar Preise und höchsten Auszeichnungen erhielten (das Große Bundesverdienstkreuz bekam zum Beispiel Peter Bamm verliehen). Auch in Österreich kamen (Nazi-)AutorInnen nach 1945 schnell wieder zu höchsten Ehren, wie man am Beispiel von Paula Grogger zeigen kann. Zu den Österreichern, die in ihrem Land auch in der Nachkriegszeit hoch angesehen waren, gehörten beispielsweise auch Karl Heinrich Waggerl und Josef Weinheber. Der gebürtige Österreicher und linientreue Nationalsozialist Kurt Ziesel schaffte es, sich als Generalsekretär der rechten Deutschlandstiftung bis zur Spitze der verantwortlichen Nachkriegspolitiker in Deutschland emporzuarbeiten. Es erscheint geradezu absurd, dass er von Bundeskanzler Helmut Kohl für sein „Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung unserer Bundesrepublik Deutschland“ gelobt wurde.

Dem antisemitischen Schriftsteller und Literaturhistoriker Adolf Bartels wurden in der Nachkriegszeit sehr zögerlich erst nach heftigen Protesten Auszeichnungen und Ehrenbürgerschaft aberkannt. Gängig und beliebt war der Umstieg auf Kinderbücher und Hörspiele (Paul Alverdes, Hans Baumann). Öfters bildeten sich Kreise aus dem rechtsextremen Spektrum, die das Andenken von NS-Literaten pflegten (Heinrich Anacker).

Die meisten haben in der Nachkriegszeit versucht, sich „reinzuwaschen“, wollten wie Josef Magnus Wehner keine Nazis gewesen sein, haben gegen Literaturwissenschaftler oder Publizisten prozessiert, die ihre Verstrickung in die NS-Ideologie aufgedeckt haben (Max Barthel gegen Gero von Wilpert, Paul Coelestin Ettinghofer gegen Heinz Brüdigam) oder haben sich öffentlich mit ihnen gestritten (Gerhard Schumann mit Albrecht Schöne, Friedrich Griese mit Karl Otto Conrady). Besonders abstoßend sind die zahlreichen Versuche von ehemals hohen Funktionsträgern (wie Hans Friedrich Blunck, Edwin Erich Dwinger), sich nach dem Ende der Diktatur als Gegner des Nationalsozialismus beziehungsweise sogar als Widerstandskämpfer zu stilisieren. Es gab auch Autorinnen und Autoren, die nach 1945 an ihrer faschistischen „Blut-und-Boden-Metaphorik“ beziehungsweise an ihrer Nazi-Ideologie festhielten wie etwa Josefa Berens-Totenohl, Herbert Böhme,Wilhelm Pleyer, Erwin Guido Kolbenheyer, Will Vesper und Hermann Burte, oder welche, die in differenzierter Form den „ursprünglichen Nationalsozialismus“ verteidigt haben wie Hans Grimm. Schriftstellerinnen wie Agnes Miegel blieben sogar nach 1945 völkisch-konservativ eingestellt, waren nach eigenem Verständnis aber jederzeit „unpolitisch“. Ina Seidel, ebenfalls in das NS-System verstrickt, wurde auch noch nach 1945 mit Preisen ausgezeichnet. Eberhard Wolfgang Möller setzte durch, dass er nach seinem Entnazifizierungsprozess als „Entlasteter“ eingestuft wurde und publizierte weiter für rechtsradikale Kreise. Manche Autoren brachten in der Bundesrepublik „gereinigte“ Fassungen ihrer in der NS-Zeit entstandenen Werke heraus (beispielsweise Waldemar Bousels „Dositos“). Interessant ist der „blinde Fleck der NS-Zensur“, den Sarkowicz und Mentzer öfters – zum Beispiel bei dem Umgang mit Friedrich Percyval Reck-Malleczewen, beobachtet haben: Sie konnte „die historisch verdeckte Darstellung politischer Verbrechen nicht auf das eigene Regime beziehen […], ohne sich bloßzustellen“. Es fällt auf, dass sich viele „Blut-und-Boden-Schriftsteller“ in der Nachkriegszeit als Funktionäre in Vertriebenen-Verbänden aktiv eingebracht haben. Besonders erfolgreich war Heinrich Zillich. Außerdem weisen die Verfasser des Lexikons darauf hin, dass die Vertriebenen-Verbände viele Nazi-Schriftsteller unterstützt und an sie Literaturpreise verliehen haben.

Zuweilen werden auch Schriftsteller porträtiert, die sich in der Bundesrepublik einen Namen gemacht haben, sich aber im „Dritten Reich“ durchaus „dem Geist der Zeit“ angepasst haben wie etwa Alfred Andersch. Bedeutende Autoren wie Gottfried Benn, der sich den Nazis anfangs begeistert angeschlossen, gegenüber Kollegen denunziatorisch gewirkt und später im „Dritten Reich“ ein problematisches „Doppelleben“ geführt hat, werden in ihrer Wirkung ausführlicher beschrieben. Erschreckend ist in diesem Zusammenhang der Verweis auf den Komiker Karl Valentin, der aus Konkurrenzneid im „Dritten Reich“ zum Denunzianten wurde. Als typischer Vertreter der „inneren Emigration gilt Werner Bergengruen, dessen Bücher auch gegenwärtig noch lieferbar sind. Zum selbsternannten Sprecher der „Inneren Emigration“ stilisierte sich Frank Thiess. Recht milde gehen die Verfasser des Lexikons mit Luise Rinser und ihrer „Vergesslichkeit“ um: Sie halten lediglich fest, dass sie die Chance, „ehrlich Rechenschaft über die eigenen Aktivitäten während der NS-Zeit zu geben […], nicht genutzt“ habe.

Einige Autoren aus der NS-Zeit gehören wie Alfred Mombert zu den „großen Vergessenen der deutschen Literatur“. Dies verwundert gerade bei Mombert, der zeitweilig „als Anwärter auf den Literaturnobelpreis“ galt. Aber auch Hermann Stehr, den einige Literaturhistoriker als „Wegbereiter des Nationalsozialismus“ bezeichnen, wurde für diese hohe Auszeichnung vorgeschlagen, als es das System noch erlaubte.

Es wäre sicherlich hilfreich gewesen, wenn die Verfasser des Lexikons ihre Intention und die Systematik ihrer Vorgehensweise eingehender erläutert hätten. Der Begriff „Schriftsteller“ wird nicht definiert, wird aber offensichtlich weit gefasst, da sie auch Publizistinnen wie Margret Boveri aufgenommen haben. Warum fehlt dann aber Theodor Heuss? Als Grundlage für ihre Einschätzungen ziehen Sarkowicz / Mentzer häufig Hellmuth Langenbuchers Literaturgeschichte „Volkshafte Dichtung der Zeit“ heran, die im Jahre 1937 in dritter Auflage erschienen ist.

Das Lexikon „Schriftsteller im Nationalsozialismus“ liefert prägnante Porträt-Skizzen und verlässliche Informationen. Es fasst den Stand der literaturhistorischen Forschung zusammen, weist auf Lücken hin und regt in diesen Fällen zu Studien an. Die Verfasser haben gründlich recherchiert und die in das Lexikon aufgenommenen Schriftsteller zutreffend beurteilt. Sie versuchen stets, ihre Einschätzung auf prägnante Aussagen zuzuspitzen. Dass dabei zuweilen plakative Zuordnungen vorgenommen werden, über die man streiten kann, ist sicherlich unvermeidlich. So wird etwa Hermann Hesse „als bekennender Pazifist“ bezeichnet, was man bei Betrachtung seiner Biografie und sämtlicher Werke in Zweifel ziehen kann. Insgesamt ist das Lexikon ein überaus nützliches Nachschlagewerk, das unbedingt komplettiert werden sollte.

Titelbild

Hans Sarkowicz / Alf Mentzer: Schriftsteller im Nationalsozialismus. Ein Lexikon.
Insel Verlag, Berlin 2011.
676 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-13: 9783458175049

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