Zwanzig, die sich einmischen

Mit einem vielseitigen Lesebuch widerlegt Thomas Wagner die Behauptung vom Verschwinden der politisch engagierten SchriftstellerInnen

Von Stefan SchoppengerdRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Schoppengerd

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit ihrem Roman „Die Mandarins von Paris“ hat Simone de Beauvoir ihnen einst ein Denkmal gesetzt: Den Schriftstellern, denen es ein selbstverständliches Anliegen war, als politische Intellektuelle in den öffentlichen Diskurs einzugreifen und deren Wort in den gesellschaftlichen Debatten von großem Gewicht war. Etwas mehr als 60 Jahre später, so scheint es und wird mancherorts verkündet, mag niemand das Erbe dieses politischen Engagements antreten. Literatur habe nicht mehr den Anspruch, Medium des politischen Eingriffs sein, und die LiteratInnen der Gegenwart hüllten sich angesichts gesellschaftlicher Missstände in Schweigen. Merklich verärgert nimmt Thomas Wagner diese Diagnose auf, um ihr entschieden zu widersprechen. Zum Beweis des Gegenteils und um zu untermauern, dass es engagierte Literatur und politisch handelnden SchriftstellerInnen sehr wohl gibt, hat er 20 Gespräche mit AutorInnen und MusikerInnen geführt und unter dem Titel „Die Einmischer“ im Argument Verlag veröffentlicht.

Für dieses Unternehmen sei allerdings, so Wagner in der Einleitung, eine Weitung des Blickfeldes über die klassische Romanform hinaus notwendig gewesen. Auch in Krimis, in der Science Fiction oder in der Poesie lohne sich die Suche nach AutorInnen mit kritischen und politischen Ambitionen. Außerdem seien nicht nur die Bücher selbst von Interesse, wenn man nicht übersehen will, dass manche SchriftstellerInnen zwar nicht in, aber doch neben der Arbeit an ihrem literarischen Werk als politische Intellektuelle präsent sind.

Die Gespräche sind größtenteils bereits in der Tageszeitung „junge welt“ erschienen. Sie fallen sehr unterschiedlich aus. Wagner hat nicht mit einem einheitlichen Katalog von Themen und Fragen gearbeitet, sondern jeweils andere Akzentsetzungen vorgenommen. Bei manchen Interviews steht Biografisches im Mittelpunkt, in anderen werden Überlegungen zu den Wechselwirkungen zwischen politischen Haltungen und literarischem Schaffen zum zentralen Thema, wieder andere handeln vorwiegend vom bevorzugten politischen Handlungsfeld des Gegenübers.

Die Reichweite des eigenen politischen Handelns wird von Wagners GesprächspartnerInnen eher bescheiden gesehen: So stellt der Autor Michael Wildenhain, ehemaliger Hausbesetzer, das Fehlen eines „politischen Resonanzraums“ fest: „Wenn dieser schmal und dünn ist wie im Moment, dann wird es schwer.“ Dietmar Dath gibt dieser Wahrnehmung im Rückblick auf seine Zeit als FAZ-Feuilletonist eine dialektische Wendung, wenn er sich und seinesgleichen mit dem Hofnarren bei William Shakespeare vergleicht: „Der klingelt, wenn er vorbeikommt. Dafür darf er die Wahrheit sagen. Anders wäre es, wenn sich gesellschaftlich etwas bewegen würde. Gäbe es eine Sowjetunion, hätte ich die Hälfte der Sachen, die ich in der FAZ geschrieben habe, niemals schreiben dürfen. Ich darf das, weil es keine gesellschaftliche Kraft gibt, der ich damit den Rücken stärke.“ Es gibt also viel Redefreiheit für Linke, und Dath nutzt diese im Gespräch wie in seinen Büchern, um das Programm eines aktualisierten Leninismus zu durchdenken.

Andere Menschen, andere politische Vorlieben: Juli Zeh berichtet von ihrem Engagement gegen einen drohenden Überwachungsstaat – ihr Mitstreiter Ilija Trojanow unterlegt dies mit anarchistischen Prinzipien; Raul Zelik zeigt sich als guter Kenner der Situation im Baskenland und in Venezuela; der Wiener Robert Menasse kämpft mit dem globalisierungskritischen Netzwerk „attac“ gegen undemokratische Strukturen der Europäischen Union. Feministischen Positionen, die in der Einleitung nur in ihrer liberalen Schrumpfform („Neue F-Klasse“) vorkommen, erfahren durch Eva Jantschitsch und Christine Lehmann eine Ehrenrettung. Jantschitsch, der Kopf hinter dem Wiener Musikprojekt „Gustav“, gibt Einblicke in die feministisch-rebellische riot grrrl- und ladyfest-Szene; Lehmann ist die Schöpferin der Krimifigur Lisa Nerz, die sie folgendermaßen charakterisiert: „Eine Frau, die als Mann auftritt, sich sexuell in beide Richtungen engagiert und permanent die Frauenrolle verlässt, um in der Männerrolle das Verhalten der Männer zu entlarven.“

Angesichts der disparaten Orientierungen der zwanzig Beteiligten erweist sich die im Klappentext gemachte Behauptung als etwas vorschnell, Wagners Buch belege das Entstehen einer „regelrechten Ideenwerkstatt für konkrete Utopien inmitten der deutschsprachigen Literatur“. Der Anspruch, „einen Eindruck zu vermitteln, wie vielfältig das heutige Engagement der Autoren ist und welche literarischen Gattungen daran beteiligt sind“, wird hingegen eingelöst – und nicht zuletzt macht das Buch stellenweise neugierig auf das Werk der Interviewten. Es taugt also als Stöber- und Lesebuch sowie als Orientierungshilfe auf dem Büchermarkt.

Titelbild

Thomas Wagner: Die Einmischer. Wie sich Schriftsteller heute engagieren.
Argument Verlag, Hamburg 2010.
213 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783886194872

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