Mehr Kuss als Tod

Kurze Anmerkungen zu „Todeskuss“ von Karen Rose

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der neue Roman von Karen Rose beginnt mit einem vermeintlich interessanten Kriminalfall, einer Reihe von inszenierten Selbstmorden, einem psychologisch geschulten Täter und einer virtuellen Welt – dem Online-Spiel Shadowland –, die die Opfer miteinander in Verbindung bringt. Dabei wird die Perspektive des Täters geschickt in die Handlung eingeflochten. Die beiden Protagonisten, die die Handlung über 600 Seiten hinweg tragen sollen, sind der Ermittlungsbeamte Noah Webster und die in einer Bar arbeitende Eve. Beide werden als „beschädigte“ Charaktere aufgebaut. Webster ist ein trockener Alkoholiker, der gegen seine Sucht ankämpft und Eve das Opfer einer fünf Jahre zurückliegenden Attacke eines Serienmörders, der sie fast umgebracht hätte.

Die Handlungstragenden Figuren und das skizzierte Szenario lassen schon nach wenigen Seiten auf eine spannende Lektüre hoffen. Diese Hoffnung wird dann allerdings enttäuscht. Schon nach kurzer Zeit wird der Leser auf eine sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen den beiden Protagonisten verwiesen. Kantiger Polizist verliebt sich in sensibles Opfer eines Verbrechens. Was auf der psychologischen Ebene und bei der literarischen Gestaltungskraft des Autors eine sensible Fähigkeit bei der Umschreibung erfordert, wird von Rose folgendermaßen skizziert: „Sie dachte an den Augenblick in der Bar zurück, als er sie wieder geküsst hatte. Sie hatte sich gewünscht, dass er es noch einmal tat, aber das hatte er nicht. Er hatte sie nach Hause gebracht und seine Hände bei sich behalten. Seine Hände… Sie betrachtete sie und fragte sich, wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn sie über ihren Körper strichen.“ An anderer Stelle, stilistisch ähnlich, schreibt sie: „Er legte seine Lippen auf ihre, hoffte auf einen Reaktion und war erleichtert, als sie sich nach ein paar Herzschlägen auf die Zehenspitzen stellte, um ihm entgegenzukommen. Sie küsste ihn, wie sie es in dem Bistro getan hatte, küsste ihn stürmisch und ausgehungert und hielt nicht zurück. Ihre Arme schlangen sich um seinen Nacken, und er zog sie fest an sich, bis ihr Körper sich an seinen schmiegte. Der Kuss war süß und heiß, und er schmeckte nach so viel mehr, aber das hier war nicht der richtige Ort, daher zwang er sich, sich von ihr zu lösen.“ Diese Ausformulierungen und Beschreibungen der beiden Protagonisten folgen einem einfachen Schema. Der aufmerksame Leser wird die Beschreibungsmuster für Intimität sowieso schon aus den vorherigen Romanen der Autorin kennen.

Im letzten Drittel des Romans findet die „lyrische“ Beschreibung emotional aufgeladener Momente einen weiteren Höhepunkt: „Aber anstatt wieder zurückzuweichen, kam er näher, und an seinem Mund war nichts Hartes, als seine Lippen über ihre strichen. Sein Mund war süß und heiß, und ihre Augen schlossen sich, als sie sich gegen ihn lehnte. Zögernd hob sie eine Hand, um sein Gesicht zu berühren, während sie den Mund öffnete, den Kuss vertiefte und sich ganz seinem trägen Rhythmus hingab. Es war verheerend. Es fühlte sich unglaublich gut und richtig an.“ Einmal abgesehen von der ärmlichen Metaphorik gleitet Karen Rose in ihren vorbestimmten, in die Kriminalhandlung standardmäßig integrierten „Liebesgeschichten“ in schlecht geschriebene, fantasielose und vor allem klischeehafte und triviale Beschreibungen ab. Die enervierenden und langweiligen Passagen sind schon als Muster vorzeitig erkennbar, wenn die Protagonisten die Bühne betreten. Zwar ist Handlung und Plot auf solides schriftstellerisches Handwerk gebaut, aber für einen spannenden und unterhaltsamen Kriminalroman ohne gestalterische Tiefpunkte sei auf andere Vertreter des Genres verwiesen.

Titelbild

Karen Rose: Todesstoss. Thriller.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Kerstin Winter.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2011.
650 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783426663578

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch