Kein Blut, kein Schweiß, nichts

Steffen Kopetzky sucht noch das Eigene

Von Eva LeipprandRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Leipprand

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Woraus sollen Bücher denn bestehen?" fragt der Erzähler in Steffen Kopetzkys neuem Buch. "Vor allem, wenn ich in Romanen suchte, fand ich nur Worte, zunehmend, je wärmer es wird, desto mehr zerrinnen mir die Bücher in Absätze, die Absätze in einzelne Sätze, die Sätze in Wörter, die Wörter in Laute [...] Woraus bestehen die Bücher? Wie fügt sich das zusammen?"

Schwere Frage. Bei "Einbruch und Wahn" jedenfalls fügt sich gar nichts zusammen. Material gäbe es schon - Krampas, den Erzähler, Student der Philosophie, pendelnd zwischen München (wo ihn seine Freundin gerade verlassen hat) und Berlin (wo er von einer scheußlichen Wohnung in die andere wechselt). Dazu viel Rotwein und Zigaretten und Hunde, meist mit ihren Herrn. Aber es fügt sich nicht zusammen. Ein Stein, von einem Unbekannten durchs Fenster geradezu sinnbildlich auf seinen Schreibtisch geworfen (der Einbruch der Wirklichkeit in den Wahn der Philosophie), soll Zentrum der Geschichte werden, wird es aber nicht. Wie einst Lawrence Sternes Tristram Shandy kommt Krampas, ständig den Faden verlierend, vom Hölzchen aufs Stöckchen, bis der verzweifelt sinnsuchende Leser merkt: hier soll gar nicht erzählt werden. Was aber dann?

Das erste Buch des 1971 in Bayern geborenen, in Berlin lebenden Jung-Intellektuellen Steffen Kopetzky hieß "Eine uneigentliche Reise. Handenzyklopädie der Grundprobleme Europas am Ende des 20. Jahrhunderts". In "Einbruch und Wahn" zeigt er sich erneut als ein gewiefter Ironiker, virtuos hantierend mit Bildungsgut aus Philosophie und Literaturwissenschaft, ein mit allen Wassern der Erzähltechnik gewaschener Autor, von Thomas Manns (Herr und Hund!) "Geist der Erzählung" bis zu postmodernen (Möbiusband!) Erwägungen, ob eine Geschichte von vorn oder von hinten oder im Kreis, im Spiegel oder überhaupt ganz im Virtuellen zu erzählen sei. Dabei ist alles Parodie, und gerade da, wo die mit großer Eleganz gestanzten Sätze ins Ernsthafte abzugleiten scheinen, muß der Leser befürchten, mit seinen Sinnsuchbewegungen auf den Arm genommen zu werden. Ein unerschöpflicher Strom der geschliffensten Sprache, eine Fülle origineller Bilder, witzige surreale Szenen - bloß: erzählt wird nicht. Wenn Krampas gar nichts mehr einfällt, übt er seine Sprachkraft an der Beschreibung des Bildschirmschoners. Im Grunde handelt das Buch von der Kunst, einen brillanten Roman über nichts zu schreiben.

Klassische Klagenfurtprosa also, die dort - in Klagenfurt, beim Bachmann-Wettbewerb - tatsächlich auch im letzten Jahr den ihr zustehenden Preis erhalten hat. Auch was den Kritikern zu solcher Prosa einfällt, ist in "Einbruch und Wahn" bereits parodistisch aufbereitet - das Lamento des "Altkulturjournalisten" über die Erlebnisarmut des jungen deutschen Autors. "Er erlebt nichts, aber er kann darüber reden und reden, bzw. schreiben und schreiben. Er ist in der Lage, einen einfachen Sachverhalt durch rhetorische Tricks so aufzublähen und zu verwirren, daß er kompliziert erscheint, problematisch. Dabei ist nichts dahinter. Keine Hinterwelt, kein Erleben, kein Blut, kein Schweiß, nichts."

Auch nichts Eigenes, muß man, von der Lektüre mehr frustriert als amüsiert, hinzufügen. Parodie ist im Grunde parasitär, sie zehrt von dem, was andere einmal ernst gemeint haben. Auch Kopetzkys Sprache ist über weite Strecken parodistisch, sie spielt mit dem, was sie vorfindet. Es ist noch nicht die Sprache, die einer sucht, um auszudrücken, was ihm wichtig ist. Wenn aber Kopetzky einmal finden sollte, was ihm wichtig ist, dann hat er das Zeug - das zeigt "Einbruch und Wahn" - um ein großes Buch daraus zu machen.

Titelbild

Steffen Kopetzky: Einbruch und Wahn.
Verlag Volk & Welt, Berlin 1998.
272 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3353011218

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