Tabula Rasa

Zoran Drvenkar ist in seinem Krimi „Du“ äußerst konsequent, sehr blutrünstig und dabei angenehm kreativ

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Überraschungen sind immer gut, und ein Buch in die Hand zu nehmen, dessen Vorgänger schon ziemlich klasse war, und es am Ende atemlos aus der Hand zu legen, ist schon eine der angenehmen Seiten an der Krimilektüre. „Sorry“ von Zoran Drvenkar war eine dieser wünschenswerten Überraschungen, wegen denen man ein neues Buch überhaupt aufschlägt – wenn es denn nicht die Langeweile ist, die im wirklichen Leben so ungemein breiten Raum einnehmen kann. Was ist besser als Fiktion?

Dabei macht es Drvenkar einem nicht leicht mit diesem voluminösen Buch: Es ist gegen alle Konventionen im Präsens geschrieben – was Leser in die Handlung des Buchs ziehen soll, aber das ungewöhnliche Tempus ist eben gewöhnungsbedürftig. Auch sonst ist der Autor nicht gewillt, allzu viel Rücksicht auf sein Publikum zu nehmen.

Drvenkar wechselt Perspektiven wie andere die Seiten, dabei scheut er sich nicht davor, gegen die Chronologie mit großer Souveränität zu verstoßen, was am Anfang doch verwirrend ist, dem man am Ende aber auch nicht schwerer zu folgen vermag als einem Roman von, sagen wir, Gottfried Keller.

Seine Geschichte korrespondiert mit diesen stilistischen Extrovertiertheiten, die man mögen kann, aber nicht muss, die aber eben auch ein Qualitätsmerkmal des Textes ausmachen. Das andere ist seine Geschichte.

Drvenkar setzt mit einer prätentiösen Schockerzählung ein: Ein Mann („Der Reisende“ genannt) steigt in einem winterlichen Stau aus seinem Auto aus und erwürgt mehrere dutzend Autofahrer, die wie er selbst im Stau festhängen. Als alles vorbei ist, bleiben die Toten in ihren Wagen, nur der „Reisende“ fährt weg – und wird nie erwischt.

Das Gleiche wiederholt er Jahre später in einem Dorf und einem IC Richtung Berlin – und wieder bleibt er unbehelligt. Die Schlagzeilen kann man sich vorstellen, und Drvenkar tut das auch.

Nach und nach wird dieser Erzählstrang – und er ist nur ein relativ kleiner, der aber immer wiederkehrt und den Takt des Buches mitbestimmt – immer monströser. Und zugleich wird er mehr und mehr motiviert: Die Kindheitsgeschichte des Reisenden wird erzählt, bis hin zu dem Moment, der helfen soll, seine späteren Taten zu erklären.

Allerdings schwankt Drvenkar zwischen den handelsüblichen kindlichen Traumata, die Serienkiller und Berufskriminelle erzeugen und einem konzeptionellen Ansatz, in dem er etwa die Erkenntnis formuliert, dass Morde nichts anderes sind als Handlungen. Und das tut seinem Buch hinreichend gut, auch wenn die Erzählung vom Reisenden ein bisschen nach dem Wunsch klingt, Effekt zu zeigen.

Aber das verleiht seinem Text eine Unschärfe, mit dem er sich von den selbstgefälligen küchenpsychologischen Begründungsattacken seiner Kollegen wunderbar zu distanzieren versteht. Da dankt man doch.

Allerdings ist die Geschichte vom Reisenden eigentlich nur ein Nebenstrang seines Romans. Die eigentliche Handlung erzählt von fünf halbwüchsigen Berliner Mädchen, die einer von ihnen aus der Bredouille helfen wollen.

Taja hat – wie man anfangs vermutet – unabsichtlich ihren drogenabhängigen Vater ermordet und sich dann, um sich über die Tat hinwegzutrösten, an dessen Koffer voller Drogen vergriffen. Ihre Freundinnen finden sie, helfen ihr aus dem kurzen, aber sehr heftigen Rausch, und machen mit ihr den nötigen Entzug. Sie fragen ein bisschen, aber nicht zuviel, was am Ende dazu führt, dass es noch eine ganze Menge zu gestehen und eine einigermaßen extreme Geschichte zu erzählen gibt.

Die Idee allerdings, den Inhalt des Koffers zu verscheuern, um damit das nötige Kleingeld zu bekommen und so die nächste Zeit zu überstehen, ist nicht gut. Denn Tajas Vater hat einen Bruder, und der benutzt ihn als Depot.

Was die Mädels also verkaufen wollen, gehört dem Käufer bereits, denn natürlich bieten sie den Stoff dem Falschen an. Einmal gestartet beginnt eine heftige Verfolgungsjagd von Berlin über Hamburg nach Skandinavien, bei der es eine Menge Tote und viel Gekreische gibt.

Bei der Verfolgung der Mädchen bringen Ragnar – so der Name des Bruders – und seine Leute alles um, was sie verarschen will oder ihnen anders quer kommt, zumindest in ihrer Wahrnehmung. Die wenigen Versuche, das Ganze abzublasen, gehen schief, denn Ragnar ist immerhin eine Unterweltgröße, die es sich nicht erlauben kann, dass man sich an ihrem Stoff vergreift.

Und so geht das dann alles den Gang, den solche Geschichte gehen müssen: immer weiter abwärts, immer mehr in eine Sackgasse, die in diesem Fall an einem abgelegenen, baufälligen Hotel endet. Dort verknüpft dann Drvenkar sogar seine beiden Geschichten: Am Ende sitzen sich der Reisende und Ragnar an einem Tisch in diesem Hotel gegenüber und der Reisende erzählt eine Geschichte.

Titelbild

Zoran Drvenkar: Du. Roman.
Ullstein Verlag, Berlin 2010.
576 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783550087738

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