Popularisierer der Theorien

Kein anderer Humboldt: Andreas Eichlers Biografie über den vergessenen Romantiker G. H. Schubert

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens seit Rüdiger Safranskis Buch „Romantik“ (2007) ist sie wieder in aller Munde, diese vermeintlich deutscheste aller Kulturepochen. Während aber Namen wie Joseph von Eichendorff, Clemens Brentano, Caspar David Friedrich oder Franz Schubert noch heute einen Platz im kollektiven Gedächtnis bewahren, existieren neben ihnen Dutzende, wenn nicht Hunderte von Künstlern und Wissenschaftlern, die allenfalls noch Experten ein Begriff sind.

Zu ihnen gehört auch Gotthilf Heinrich Schubert (1780-1860), zu Lebzeiten einer der bekanntesten Naturwissenschaftler Deutschlands, der mit beinahe allen Größen seiner Zeit in Kontakt stand. So war er Protegé Johann Gottfried Herders am Weimarer Gymnasium, studierte bei Friedrich Schelling und inspirierte Heinrich von Kleist und E.T.A. Hoffmann zu einigen ihrer besten Texte. Obwohl Schubert ein bewegtes Leben hatte, gibt es nur wenige biografische Studien zu ihm. Der relativ dünne, aber liebevoll ausgestattete Band „G.H. Schubert – Ein anderer Humboldt“, den Andreas Eichler nun vorgelegt hat, ist sogar die erste seit Franz Rudolf Merkels „Der Naturphilosoph Gotthilf Heinrich Schubert und die deutsche Romantik“ von 1913!

Sorgfältig recherchiert, begleitet Eichler den Weg des armen Pfarrerssohns an die Spitze der populären Naturwissenschaft. Schubert ist ein Spätzünder in einer konservativen Familie, der erst als Jugendlicher am Weimarer Gymnasium aufblüht, wo ihn Herder unter seine Fittiche nimmt und ihm gemeinsam mit dem eigenen Sohn Emil Privatstunden erteilt. Nach dem Schulabschluss studiert Schubert auf Wunsch des Vaters Theologie in Leipzig, doch sein Herz hängt an der Naturwissenschaft. Widerwillig stimmt der Vater dem Wechsel des Sohnes nach Jena zu, wo dieser bald zu den Vorzugsschülern Schellings gehört. Inspiriert von den galvanischen Experimenten des Physikers Johann Wilhelm Ritter, promoviert Schubert über die Heilung von Taubstummen durch elektrische Ströme, lässt sich als Arzt im kleinen Altenburg nieder und widmet sich literarischen Aktivitäten. Er schreibt den frühromantischen Roman „Die Kirche und die Götter“ (dessen er sich später schämt), gibt eine Reihe mit spanischer und portugiesischer Literatur heraus und übersetzt das Lehrgedicht „The Botanical Garden“ von Charles Darwins Großvater Erasmus, das aber leider keinen Verleger findet – das Manuskript gilt heute als verschollen.

Entmutigt von seinen Misserfolgen als Arzt, gibt Schubert die Praxis auf und zieht an die Freiberger Bergakademie, um bei Novalis’ Lehrer Abraham Gottlob Werner noch einmal Geologie zu studieren. Hier schreibt er sein wissenschaftliches Debüt und zieht bald darauf mit Frau und Kind nach Dresden, wo er seinen Durchbruch als Wissenschaftler erlebt. Es ist die Vortragsreihe „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft“, mit deren Buchveröffentlichung Schubert in kürzester Zeit zu einem der bekanntesten Naturwissenschaftler seiner Zeit reüssiert. Hier, im Jahre 1808, endet Eichlers Buch. Es handelt sich also nur um eine Beschreibung von Schuberts erstem Lebensdrittel, in dem er sich als integraler Bestandteil der romantischen Bewegung versteht.

Zu diesem Lebensabschnitt legt Eichler ein materialreiches und lebendig geschriebenes Buch vor, für das er tief in die Archive getaucht ist. Gerade für den Nicht-Schubert-Experten ist das eine anregende Lektüre, die nochmals durch Fotografien der wichtigsten Lebensorte und einer Einführung in die Romantik aufgewertet wird. Aber auch für Leser, die sich schon länger mit dem Autor beschäftigen, lohnt die Anschaffung, etwa wegen der teilweise unveröffentlichten Briefe im Anhang. Einen interessanten Akzent setzt Eichler außerdem, indem er ausführlich Schuberts Beziehung zu Herder heraushebt, welche in vielen Darstellungen zu kurz kommt, die Schubert in erster Linie als Schelling-Anhänger feiern. Liest man aber sorgfältig Schuberts Bücher und Briefe, dann weiß man, dass er sich zeitlebens beiden gleichermaßen verpflichtet gefühlt hat, und wie viel Herder etwa im „Nachtseiten“-Buch und Schuberts zweitem Klassiker „Die Symbolik des Traumes“ von 1814 steckt, ist noch nicht einmal annähernd aufgearbeitet.

Schade jedoch, dass auch dieser Band – wie schon Merkel – nur einen kleinen Teil der Geschichte erzählt. Denn Schuberts weiteres Leben ist ebenso interessant wie das erste Drittel. Die sieben Jahre als Direktor des Nürnberger Realgymnasiums (mit Hegel als seinem Kollegen), die große Sinnkrise nach dem Tod seiner ersten Frau und des Freundes Ritter, die düstere Zeit als Prinzenerzieher in Mecklenburg, die steile Karriere als Professor in Erlangen und München, der große Erfolg seiner Jugendbücher, Erbauungstraktakte und Reisebeschreibungen – das alles wird in einigen wenigen Sätzen abgehandelt. Dabei sind es doch gerade die radikalen Widersprüche und Kehrtwendungen in Schuberts Leben, vom romantischen Schwärmer zum stockkonservativen Dogmatiker, die es zum Gegenstand für eine wirklich aufregende Biografie machen. Schade, dass diese Chance vertan wurde.

Etwas irreführend auch der Titel: „Ein anderer Humboldt“ war Schubert in einer wichtigen Hinsicht nicht. Keine wesentliche Theorie oder Innovation der Naturwissenschaften geht auf ihn zurück. Seine Stärke war nicht das Entdecken und Experimentieren, sondern das Vermitteln und Popularisieren der Theorien anderer. Wenn es eine Parallele zu Humboldt gibt, dann weniger zum Entdeckungsreisenden als zum Esoteriker und Kosmologen, der wie Schubert das gesamte Universum in einem Aufwasch erklären möchte. Wen diese Vorbehalte nicht stören, für den ist Andreas Eichlers Buch jedoch der ideale Einstieg in das Leben eines Wissenschaftlers, von dem man gern noch viel mehr erfahren möchte.

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Andreas Eichler: G. H. Schubert. Ein anderer Humboldt.
Herausgegeben von Klaus Walther.
Mironde-Verlag, Niederfrohna 2010.
96 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783937654355

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