Hoffmanns letzte Tage

Roland Fricke wird dem Meister Floh nicht gerecht

Von Jan WesterhoffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Westerhoff

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Schilderung der letzten Lebensjahre E. T. A. Hoffmanns scheint sich in jüngster Zeit bei deutschen Romanciers großer Beliebtheit zu erfreuen. Vor knapp zehn Jahren veröffentlichte Gerhard Mensching einen Briefroman mit dem Titel "E. T. A. Hoffmanns letzte Tage" dessen Inhalt dem hier besprochenen Titel verblüffend ähnelt. Vor drei Jahren folgte Henning Boëtius mit seinem an hoffmannnesken Bezügen reichen Roman "Undines Tod" und nun legt Ronald Fricke mit "Hoffmanns letze Erzählung" eine weitere Fiktion über den Lebensabend des Schauerromantikers vor. Während Boëtius jedoch seinen Hoffmann in die Figur des Kammergerichtsrats Kreisler kleidete und um ihn herum ein dichtes, aus Hoffmanns Werken gezogenes Panorama mit künstlichen Menschen, Magnetiseuren, wahnsinnigen Künstlern und biederen preußischen Staatsdienern konstruierte, geht es Fricke mehr um ein postmodernes Spiel mit (nicht nur) Hoffmanns Texten. Schon der Titel bezieht sich auf das berühmte Märchen um den "Meister Floh", dessen beißende Satire auf den Staatsbeamten Knarrpanti seinen Autor am Ende seines Lebes in arge Bedrängnis brachte. Den Hintergrund der Konfiszierung dieser Erzählung versucht Fricke in seinem im Berlin des Jahres 1822 spielenden Roman zu erfinden, eine Idee, die Mensching in seinem Roman bereits en detail ausgearbeitet hat. Hauptfiguren sind bei Fricke jedoch nicht Hoffmanns letzter Sekretär Friedrich Rieger, sondern der (real existierende) Polizeiminister von Schuckmann und der preußische Polizeidirektor von Kamptz sowie der mysteriöse Knarrpanti selbst, ein Geheimagent mit undurchsichtiger Auftragslage auf der Suche nach dem Manuskript, das ihn eigentlich erst erschuf.

Die Handlung des Romans erscheint als ein Verschnitt der grellbunten Märchenwelt E. T. A. Hoffmanns und einem ins neunzehnte Jahrhundert transponierten James-Bond-Film: In Frickes Roman finden wir unter dem Gendarmenmarkt ein in sinistrer Absicht angelegtes Labyrinth, Spalanzani aus dem "Sandmann" tritt auf und spielt die Rolle eines biedermeierlichen "Q", dessen schlagkräftigste Erfindung ein hüpfender Gummiball namens "Flomi" ist. Wir begegnen dem Erzbösewicht auf dem Wege zur Weltherrschaft (verkörpert durch Polizeipräsident von Kamptz), sowie einer Anzahl von Verfolgungsjagden, reichlich Toten, einer Entführung und einem finalen Showdown auf der Bühne des Schinkelschen Schauspielhauses. Dies alles ist in gut postmoderner Manier von verdeckten Zitaten und mehr oder weniger gelungenen Anspielungen auf Hoffmann, Hegel, Kant und Heidegger (um nur einige zu nennen) durchzogen.

Obwohl Fricke einige hervorragende Personendarstellungen gelingen, wie etwa die des Intriganten von Schuckmann, eines preußischen Junkers mit Neigung zum Dandyhaften, dem auch in den aberwitzigsten Situationen makelloses Aussehen und der korrekte Sitz seines "Lieblingsordens" von größter Wichtigkeit sind, und obwohl der Autor stellenweise mit Sprachwitz und Sprachgefühl zu erzählen weiß, ist der Roman als ganzes dennoch weniger gelungen. Die extrem wirre Handlung - der Rezensent verlor den roten Faden spätestens im letzten Drittel, als der Polizeiminister mit seiner Geliebten in den Verliesen unter dem Schauspielhaus von besagtem Flomi verfolgt wurde - vermag keinen rechten Sog zu entwickeln. Der Hintergrund des Berlin zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts wird durch die von Fricke eingesetzten zahlreichen Knalleffekte und bewussten Anachronismen wieder so gebrochen, dass sich keine Atmosphäre einzustellen vermag, wie dies etwa Boëtius gelingt (wenn auch diesem die Fähigkeit zur Konstruktion einer schlüssigen Handlungskette in gleicher Weise zu fehlen scheint).

Fricke hat für seinen Roman einen reizvollen Stoff gewählt und zeigt in diesem Erstlingsroman auch stellenweise beachtliches erzählerisches Talent. Leider ist das Resultat zu disparat, um gut lesbar zu sein- und wird so weder dem Thema noch dem hoffmannschen Hintergrund wirklich gerecht. Eine klarere Handlungsstruktur und weniger postmoderne Brechungen hätten hier zu einem erzählerisch befriedigeren Ergebnis geführt.

Titelbild

Ronald Fricke: Hoffmanns letzte Erzählung.
Rütten & Loening Verlag, Berlin 2000.
280 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3352005613

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