Irdisches Vergnügen in B.

Sehr Gutes von Gottfried Benn, aber kein Best Of

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2011 ist ein dermaßen bewegtes Jahr, obendrein mit diversen großen Jubiläen gespickt, so dass man dazwischen schon einmal einen Gedenkanlass vergessen kann. Am 2. Mai wäre Gottfried Benn 125 Jahre alt geworden. Vielleicht liegt das relative mediale Desinteresse aber auch daran, dass erst vor fünf Jahren ein Benn-Jahr zu feiern war, nämlich das des 50. Todestages. Darum wurde mehr Aufhebens gemacht, vielleicht auch, weil sich Benns Werk in ein interessantes Spannungsverhältnis zu dem seines Antipoden Bertolt Brecht setzen ließ, der ja ebenfalls 1956 starb. Einige Neuerscheinungen gibt es aber doch. So bringt der heutige Hausverlag des Autors „Das Beste von Benn“ auf den Markt, fünf kleine Bändchen, die man auch einzeln mit auf die Reise nehmen kann. Beachtenswert ist diese Ausgabe auch deswegen, weil sie nicht einfach die üblichen „Schlager von Klasse“ aufwärmt, sondern eine ungewöhnliche Auswahl trifft. Viele der Texte überzeugen, ja überwältigen noch heute. Kurz: diese fünf Bände sind sehr gut, aber ein konventionelles Best of sind sie gerade nicht.

Als Philologe möchte man maulen: Wo sind die Rönne-Novellen? Wo die späten Gedichte aus den 1950er-Jahren? Wo bleibt die radikale „Kleine Aster“ von 1912, die dem „ersoffenene[n] Bierfahrer“ im Maul klemmt? Und müsste man nicht wenigstens die Essays dokumentieren, in denen Benn 1933/34 sich dem Nationalsozialismus annäherte, auch wenn er bald bitter enttäuscht wurde und sogar Schreibverbot erhielt? Das sind berechtigte Fragen, aber sie sind von einer wissenschaftlichen Position aus gedacht. Die fünf kleinen, in leuchtenden Farben ansprechend aufgemachten Bände laden zu einer Neuentdeckung Benns ein, gerade weil sie in ihrer Zusammenstellung ungewöhnlich sind. Man kann das Vergnügen erleben, die legendären „Statischen Gedichte“ als Einzelband zu lesen. Man kann die zweiteilige Autobiografie „Doppelleben“ als virtuosen Eiertanz entdecken. Im ersten Teil von 1934 sucht Benn noch akribisch seine arische Herkunft nachzuweisen, im zweiten von 1950 dann, dass er von vornherein gegen den Nationalsozialismus eingestellt gewesen sei. „Der Ptolemäer“, ein wahres Feuerwerk der Sprache, vereinigt die maßgeblichen Prosatexte der 1930er- und 1940er-Jahre. „Trunkene Flut“ folgt Benns eigener Zusammenstellung seiner Gedichte, die allerdings fast das ganze Debüt „Morgue“ unter den Tisch fallen lässt. Und „Probleme der Lyrik“ enthält neben Benns wichtigstem poetologischen Vortrag, den er 1951 vor Marburger Studenten hielt, noch zwei weitere spätere Vorträge.

Jeder Band enthält zudem als Bonbon eine Einführung durch zeitgenössische Autoren, die sich Benn auf jeweils eigene Weise nähern (oder auch nicht). Michael Lentz führt philologisch-solide in die „Trunkene Flut“ ein, Uwe Tellkamp improvisiert im rhapsodischen Ton, wie man es zuletzt in seinen „Dresdner Erkundungen“ las, und Durs Grünbein bringt wie immer das Kunststück fertig, in erster Linie über sich selbst zu schreiben, unabhängig vom Thema, das man ihm gerade stellt. Die Qualität der Texte ist höchst unterschiedlich, am gelungensten vielleicht Ulrike Draesners Vorwort zu „Doppelleben“, in der ihre große Faszination für den Text spürbar wird, ohne dass sie ihre kritische Distanz dabei aufgibt. Tellkamps Text zum „Ptolemäer“ ist insofern gelungen, als er der poetischste und vielleicht eigenständigste ist. Und der Lyriker Gerhard Falkner führt mit viel Verve und Fachwissen in die späten Essays ein, hätte sich aber seinen anschwellenden Bocksgesang aus der Mottenkiste der Kulturkritik sparen können. Warum aber braucht es überhaupt diese Vorworte? Vielleicht, weil der Verlag besorgt ist, dass Benns Klassikerstatus ein potenziell interessiertes Publikum abschreckt und große Namen der Gegenwartsliteratur auf dem Cover die Hemmschwelle senken könnten?

Dass diese handlichen Bücher als gehobene Urlaubs- und ÖPNV-Lektüre gedacht sind, zeigt sich auch darin, dass sämtliche Bände für leicht höhere Preise (zwischen 6,95 und 10,95 EUR) auch als Einzelausgaben erhältlich sind. So kann man ganz individuell auf die Reise zu Benn gehen, auch ohne eine schwere Werkausgabe mit sich zu schleppen. Wer sich schon immer für Benn interessiert hat, den Schritt zur Lektüre aber bisher nicht gewagt hat, sollte jedenfalls zugreifen.

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Gottfried Benn: Das Beste von Benn.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2011.
696 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783608939378

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