Ein wahres Sprachfeuerwerk

Über Zsuzsanna Gahses „Donauwürfel“

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer an einem Fluss aufgewachsen ist, vergisst ihn sein Leben lang nicht. Zsuzsanna Gahse, die in Budapest und später in Wien aufgewachsene Chamisso-Preisträgerin des Jahres 2006, lebt schon lange im schweizerischen Thurgau, also eine gute Autostunde von Donaueschingen entfernt. Die Wasser der angeblich aus dem Zusammenfluss von Breg und Brigach entstehenden Donau sind oft ungestüm, unberechenbar, so etwas wie das Gegenteil eines Würfels mit seinen klaren Kanten und seinen sechs gleich großen Seiten.

Von „Donauwürfeln“ hatte man noch nie gehört. Zsuzsanna Gahses Wort-Neuschöpfung aber leuchtet dem Leser sofort ein: Zehn Silben mal zehn Zeilen bilden ein Quadrat, zehn Quadrate einen Würfel, und aus 27 solchen Sprachwürfeln besteht ihr Text. Das Wunderbare daran ist: Gerade wegen dieser strengen Vers- und Sprachform, in die man sich übrigens ohne Mühe einliest, fließt und mäandert diese aus Wörter und Sätzen geschaffene Donau, nimmt andere Flüsse in sich auf, beherbergt rätselhafte Tiere wie die Huchen, lässt Menschenschicksale, Brücken, Inseln, Fähren, Städte, Dörfer, Sprachen und Kulturen, ja ganze Vergangenheiten vorüberziehen, von ihrer Quelle bis zur Mündung.

Vor allem aber lässt sie tausend Assoziationen zu – allein die Namen: „Neben der Donau gibt es andernorts / die Duena, die Dwina, den Dnepr, / den Don. Merkwürdig wie sich die Namen / ähneln, und am Ende heißen alle / Flüsse gleich, ursprünglich einfach nur Fluss.“ Leuchtende Erinnerungssplitter tauchen auf und wieder unter, Erzählinseln bilden sich und werden wieder überflutet. Die Würfel geben dem Fließenden, Zufälligen, Sich-Verändernden Form und Halt – und bleiben gleichzeitig so beweglich wie das Wasser selbst. Der den berühmten Donaustrudeln in Regensburg verwandte Sog der Sprache wird höchst poetisch kanalisiert, und die Frage „Lyrik oder Prosa?“ erübrigt sich bald. Denn beides verschlingt sich, ringt miteinander, bildet etwas Neues, nie Dagewesenes – und strömt und sprudelt, an Wien, Pressburg, Budapest oder Belgrad vorbei, durch die Eiserne Pforte bis zum Donaudelta und endlich zum Schwarzen Meer.

Sprachspiele, Wasserspiele, mit ergreifenden Glitzernamen wie „Pfreimd“ oder „Dürrschweinnaab“ (beides real existierende Gewässer übrigens). Dass das Lektüreerlebnis zu bezaubernd oder gar idyllisch wird, verhindern die Würfel-Sujets: Da fordert das Hochwasser seine Opfer, die berühmten Donauwelse schnappen sich kleine Kinder, man fischt die Selbstmörder aus dem Strom und bestattet sie auf dem Friedhof der Namenlosen, Hunnenhorden brandschatzen die Ufersiedlungen, gewaltige Bomben zerstören serbische Donaubrücken, und im sechsundzwanzigsten Würfel ist sogar die Apokalypse nicht fern. Die Sprachvirtuosin Zsuzsanna Gahse brennt in ihren „Donauwürfeln“ ein wahres Sprachfeuerwerk zu Ehren einer europäischen Kulturlandschaft ab, und wäre die Rede vom „poetischen Kosmos“ nicht so überstrapaziert, müsste man sagen: Hier trifft sie zu, im wahrsten Sinne des Wortes! Sie möchten durch Lektüre klüger, beschwingter, ja glücklicher werden? Dann mal los: „Donauwürfel“ ist mit Sicherheit eines der umwerfendsten Bücher der letzten Jahre.

Titelbild

Zsuzsanna Gahse: Donauwürfel.
Edition Korrespondenzen, Wien 2010.
144 Seiten, 18,50 EUR.
ISBN-13: 9783902113696

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