Leidenschaftlich am Maßstab festhalten

Dagmar Bussiek hat eine Biografie über Benno Reifenberg (1892-1970) geschrieben

Von Joachim SengRSS-Newsfeed neuer Artikel von Joachim Seng

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Benno Reifenberg gehörte seit der Weimarer Republik zu den bedeutendsten deutschen Journalisten. 1924 hatte der gerade einmal 32-Jährige die Leitung des Feuilletons der „Frankfurter Zeitung“ übernommen und das Ressort der in aller Welt geschätzten liberal-bürgerlichen Zeitung mit einem neuen Stil ins 20. Jahrhundert geführt. Er öffnete das Feuilleton für Politik und Arbeitswelt und entdeckte junge Talente. Selbst ein begnadeter Schreiber, bestand er auf Sorgfalt im Umgang mit dem Wort, achtete auf Qualität und nicht auf die politische Orientierung der Autoren. Er öffnete die Zeitung für bekennende Linke wie Joseph Roth, Siegfried Kracauer und Erich Kästner, die ebenso im Feuilleton der FZ erschienen, wie der konservative Friedrich Sieburg oder der junge Dolf Sternberger. Reifenberg, der sein Studium der Kunstgeschichte abgebrochen hatte, um als Freiwilliger in den Krieg zu ziehen, der 1919 zur FZ stieß, später einige Jahre die Redaktion der Zeitung in Paris leitete und schließlich das den Nationalsozialisten verhasste Blatt bis zum offiziellen Verbot 1943 durch die Jahre der Diktatur führte, war in jeder Hinsicht ein bemerkenswerter Zeitgenosse.

Man kann Dagmar Bussiek nicht genug dafür danken, dass sie Reifenberg, dem Bildungsbürger par excellence, eine knapp 500-seitige Biografie gewidmet hat. Die Arbeit muss, trotz der guten Quellenlage – der Nachlass Reifenbergs befindet sich zum größten Teil im Deutschen Literaturarchiv Marbach am Neckar – ein schwieriges Unterfangen gewesen sein. Denn wie schreibt man über einen Menschen, über den Dolf Sternberger am Grab sagte: „Unter meinen Freunden weiß ich niemanden, der so stetig, so einlässlich und so bestimmt auf das Individuelle geachtet hätte wie er. Auf Gesicht, Gebärden, charakteristische Regungen, Äußerungen. Kollektive – Völker, Klassen, Parteien – sind ihm immer blaß geblieben.“

Das Individuelle aber ist in wissenschaftlichen Arbeiten – und die Biografie ist aus einer Habilitationsschrift im Fach Neuere und Neueste Geschichte hervorgegangen – schwer zu fassen. Historiker müssen sich vor allem für die größeren Zusammenhänge interessieren. Dabei lassen sich die großen historischen Debatten um Begriffe oft nur schwer auf das Einzelschicksal herunterbrechen. Und doch ist es Dagmar Bussiek gelungen, aus all den vielen Fakten, Briefzeugnissen, Tagebucheintragungen, eine gut lesbare, stellenweise hoch spannende Biografie zu schreiben.

Von besonderem Interesse für den Leser sind natürlich die Abschnitte über Reifenbergs Wirken während der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, in der die FZ ihren Weg zwischen Anpassung und Distanz zum NS-Regime beschritt, beschreiten musste. Dabei wiederholt Bussiek zwar etwas zu oft den ungerechten Vorwurf, Reifenberg sei ein „unpolitischer“ Intellektueller gewesen, behauptet sogar selbst zu guter Letzt, er habe bis 1930 „dem Habitus des ,unpolitischen‘, kulturbeflissenen Gebildeten“ gehuldigt, führt dann aber, in dem, was sie schildert, dem Leser vor Augen, dass diese vornehme Form des Bildungsbürgers, nie ganz unpolitisch sein konnte, weil das Eintreten für Liberalität, Humanität und Freiheit, zu jeder Zeit die Diktatoren der Welt herausfordert. Die Tatsache, dass im Feuilleton der FZ während der gesamten zehn Jahre zwischen 1933 und 1943 „nicht ein einziges antisemitisches Wort“ erschien, spricht für sich und für Reifenbergs politische Einstellung. Als er 1938 einen Artikel über von Goghs von den Nazis aus dem Städel entferntes Bildnis des Dr. Gachet schrieb, wurde er von der Gestapo verhaftet. Man drohte ihm, dem „Halbjuden“, mit dem Konzentrationslager, seiner Familie mit Repressionen. Aber Reifenberg blieb und schrieb weiter für die FZ, auch wenn die Angst und Bedrohung an Leib und Leben nun handgreiflich geworden war.

Im Mai 1943, nachdem die Zeitung auf Hitlers persönlichen Befehl eingestellt werden musste, hatte Ernst Beutler, der Direktor des Frankfurter Goethe-Museums, an Reifenberg geschrieben: „Lieber Freund, dem Schicksal können wir nicht seinen Gang vorzeichnen, aber wir können alles tun, ,zu bleiben, was man ist.‘“

Welchen Widerstandsgeist und welchen Mut es bedurfte, um in einer menschenverachtenden Diktatur das zu bleiben, was man ist, zeigt Bussieks Reifenberg-Biografie sehr eindrucksvoll. In einem Schreiben an Beutler, das der nun arbeitslose Journalist aus dem Schwarzwald sandte – seine Vaterstadt Frankfurt hatte er aus Sicherheitsgründen mit der Familie verlassen müssen – findet sich Reifenbergs ganzer Adel des Geistes und Charakters ausgesprochen. Nach dem ersten schweren Angriff auf die Frankfurter Innenstadt, bei dem auch Goethes Elternhaus beschädigt worden war, schrieb er Ende November 1943: „Aber ich meine es kommt nun doppelt darauf an, daß die Menschen wissen, was zu glauben wert ist, Menschen die den Begriff der geistigen Ordnung, den Maßstab nie, unter keinen Umständen verlieren. […] Dieser Anspruch bleibt. Wenn die Wirklichkeit sich ihm nicht fügte – umso schlimmer für die Wirklichkeit. Umso leidenschaftlicher wollen wir am Maßstab festhalten.“ Auch nach dem Krieg blieb Reifenberg eine wichtige publizistische Stimme in Deutschland. Bereits 1945 initiierte er die Halbmonatsschrift ,Die Gegenwart‘, 1958 wechselte er ins Herausgebergremium der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Gerade in diesen Tagen, in denen sich der Mauerbau zum 50. Mal jährt, darf nicht unerwähnt bleiben, wie sehr Reifenberg unter der deutschen Teilung litt. Auch hier hat Bussiek Dokumente zusammen getragen, die für sich sprechen. Als er im Juni 1961, wenige Wochen vor dem Mauerbau, zum letzten Mal nach Ost-Berlin reist, berichtet er darüber den FAZ-Lesern: „Da saß ich nun. Auf einer Bank unter den Kastanien zwischen der Schinkelschen Wache und dem Zeughaus. […] Ich holte meinen Pass hervor, bislang hatte ich den Passierschein noch nicht betrachtet: ,Tages-Aufenthaltsgenehmigung für Bürger der Deutschen Bundesrepublik zum Betreten der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (Demokratisches Berlin)‘ […] Dieses in Klammer gesetzte ,Demokratische Berlin‘ zu betreten, hatte ich, immerhin Bürger angeredet, mir eine Genehmigung erteilen zu lassen? […] Mir wurde heiß.“

Hier zeigt sich die hohe Sprachkunst Reifenbergs von ihrer eindringlichsten Seite. Sensibel und mit feinem Gespür für die Phrasen der Diktatur, seziert er das offizielle DDR-Amtsdeutsch, indem er es zitiert und hinterfragt. Mehr bedarf es nicht, um der Regierung, die sich anschickte ihre Bürger einzusperren, die demokratische Maske vom Gesicht zu reißen.

In seinem wunderbaren Radio-Essay „Von der Lebenszeit des Menschen“ sinniert Reifenberg über die Anmut der unscheinbarsten Natur und die Antworten, die der tätige Mensch, gerade der musisch tätige, geben kann und zitiert eine chinesische Weisheit: „Es ist besser, eine einzige, die kleinste Kerze anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen“. In diesem Sinn ist auch Reifenberg ein Aufklärer gewesen und es tut wohl diese Biografie zu lesen. Kann man als Leser mehr verlangen?

Titelbild

Dagmar Bussiek: Benno Reifenberg (1892-1970). Eine Biographie.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
512 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783835308985

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch