Der Dazwischen-Roman

In Léda Forgós Buch „Vom Ausbleiben der Schönheit“ sucht Lále aus Ungarn Liebe in Deutschland

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für ihren ersten Roman „Der Körper meines Bruders“ (2007) war die 1973 in Ungarn geborene Léda Forgó reichlich gelobt und zu Recht mit dem Chamisso-Förderpreis bedacht worden. „Sprachliche Expressivität, wie sie in der zeitgenössischen deutschen Prosa nur selten vorkommt“, attestierte ihr berühmter Landsmann György Dalos dem Erstling dieser seit 1998 in Berlin lebenden Schriftstellerin. Nun hat die bei aller Zartheit und Zierlichkeit ihrer äußeren Erscheinung enorm tatkräftige Autorin, die nebenbei drei kleinere Kinder zu versorgen hat, ihren zweiten Roman in deutscher Sprache vorgelegt. Der zweite Roman nach einem erfolgreichen ersten: Das ist, man weiß es aus der Literaturgeschichte, nicht immer ganz einfach, und die Erwartungen im rasanten heutigen Literaturbetrieb sind hoch. Léda Forgó, um es nur gleich zu sagen, hat ihre Sache gut gemacht – trotz gelegentlicher, nicht zu übersehender Sprachschludrigkeiten.

Lále heißt ihre Protagonistin, jedenfalls seit sie in Deutschland lebt. Vorher hieß sie Lábán Lenke. Wir treffen sie gleich zu Beginn in einer Kreuzberger Arztpraxis: „Sie hatte einen Termin, um ein Stück von sich loszuwerden […] Sie hatte einen Termin, aber noch keine Entscheidung“. Mit ihrem Ex-Mann Pável, der sie zur Abtreibung gedrängt hatte, ist es endgültig aus. Die an Geschichte und Sprachen interessierte Studentin will sich rächen, irgendwie. Mehr aus Verlegenheit gerät sie an den biertrinkenden Mützenträger Pit, der anfangs noch für eine kleine Windkraft-Firma arbeitet und aus Cottbus stammt. Recht bald lernt sie auch dessen Vater kennen und nach und nach die Familie, mit der sie sich in den nächsten Jahren abmühen wird. „,Ach, Ungarn‘, sagte der Vater, während er den grauenhaften Kaffee ohne Zaudern schluckte, ,Ungarn!‘, setzte er die Tasse ab. Lále sah, dass seine Züge sich verkrampften. ,Dobri djen!‘, rief er dann plötzlich, als ob er soeben persönlich nach langer Unterdrückung die Demokratie proklamiert hätte. Sie schwieg höflich, und als die Erwartung im triumphierenden Blick des Vaters nicht nachließ, sagte sie: ,Das ist kein Ungarisch‘“.

Und schon sind wir mitten drin im binationalen Dilemma und ahnen bereits, dass ein Leben mit Pits Spießerfamilie nicht gut ausgehen kann, unter anderem weil diese von Ungarn keine Ahnung hat und auch keine haben will. Immerhin setzt die Tochter eines jüdischen Vaters durch, dass ihr Sohn, den sie gleich als „Vollblutlábán“ erkennt, Nathan heißt und nicht Hermann. Doch als sie Pit heiratet, um einen Kredit für ein renovierungsbedürftiges Häuschen in Cottbus zu bekommen, nimmt das Unglück endgültig seinen Lauf. Léda Forgó erzählt so nüchtern wie schräg, mit einleuchtenden Rückblenden auf Láles ungarische Jahre, genau beobachtend und meist in einem bezaubernd schwebenden Deutsch. Schiefe Sprachbilder und verrutschte Metaphern gibt es allerdings auch, was sicher vermeidbar gewesen wäre.

Der zweite Teil des Romans führt, manchmal ein wenig langatmig, letztlich nicht lösbare „Knoten der Missverständnisse“ vor Augen. Ausweglos an Cottbus gebunden, sieht Lále ihren Nathan in sozial trostloser Umgebung heranwachsen. Und selber geht sie ein wie eine Primel. Dann die Katastrophe: Der dröge Pit hat irgendwann genug von seiner Ehefrau, und zusammen mit seiner Schwester entreißt er ihr den Sohn. „Die Welt hätte untergehen müssen“. Tut sie aber nicht. Stattdessen entführt die verzweifelte Mutter den Sohn nach Berlin, und natürlich kommt zu ihren Existenzsorgen jetzt auch noch ein bitterer Streit ums Sorgerecht. Das Schlusskapitel, in dem „Tamama“, Láles ungarische Großmutter, tatkräftig mitmischt, scheint zunächst auf eine Art Showdown zuzulaufen. Das Familiengericht gibt Pit recht, Láles Enttäuschung steigert sich zu Hass und Wut: „Schade. Was für eine Parabel das für internationale Zusammenarbeit gewesen wäre, wenn sie ihn mit einem Cottbusser Chinesenmesser niedergemetzelt hätte. Cottbus, Chinesen – und das alles in Berlin von einer Ungarin. Ihre Lebensgeschichte auf den Punkt gebracht“. Aber nein, das Leben geht weiter. Am Ende will Lále nach Budapest fliegen, kommt aber, unübersehbar symbolisch, nur bis nach Wien: „Nicht Deutschland und nicht Ungarn, aber etwas dazwischen. Alles ein wenig anders, aber doch ähnlich und zu verstehen. Fremd und selbstverständlich. Zwischenland. Zwischenlandung im Zwischenland“. Irgendwo dort lebt wohl auch Léda Forgó, die einen nicht durchgehend makellosen, aber immer hochinteressanten und aufwühlenden interkulturellen Liebes-, Ehe-, Familien- und Gesellschaftsroman vorlegt und damit ihr Erzähltalent erneut bestätigt.

Titelbild

Léda Forgó: Vom Ausbleiben der Schönheit. Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2010.
252 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783871346767

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