Das neue Bewusstsein

Carl Friedrich von Weizsäcker und Gopi Krishna über „Yoga und die Evolution des Bewusstseins“

Von Patrick MenselRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Mensel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Publizistin Marion Gräfin Dönhoff fasste es in ihrer Laudatio anlässlich des 85. Geburtstags Carl Friedrich von Weizsäckers prägnant zusammen: „In zwei Disziplinen ist er gleichermaßen zu Hause, denn er hat nach einem vollen Physikstudium ein zweites volles Studium der Philosophie absolviert, und überdies ist ihm der religiöse Bereich von fernöstlicher Lebensweisheit bis zur christlichen Lehre sehr vertraut. Da kann ein normaler Mensch natürlich nicht mithalten.“ Der Physiker und Philosoph von Weizsäcker galt als einer der wenigen Universalgelehrten Deutschlands. Am 28. Juni 1912 wurde er als erstes Kind von Marianne und Ernst von Weizsäcker in Kiel geboren. Kontakt mit Werner Heisenberg hatte er bereits 1927 und er war es auch, der von Weizsäcker den Ratschlag gab, Physik zu studieren. Sein Studium nahm er 1929 in Berlin auf, kam nach Göttingen und Leipzig, wo er von der theoretischen Arbeit Erwin Schrödingers maßgeblich geprägt wurde. 1936 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter des damaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik in Berlin und beschäftigte sich mit der Bindungsenergie von Atomkernen, was in die nach ihm benannte Weizsäcker-Formel mündete und ihm 1937 internationale Anerkennung einbrachte. Von 1939 bis 1942 arbeitete von Weizsäcker am deutschen Atomforschungsprogramm. Sein rein wissenschaftliches Interesse ließ den Wunsch in ihm aufkommen, die Verwirklichung einer deutschen Atombombe zumindest theoretisch zu vollbringen, wie auch ein Patent von Weizsäckers aus dem Sommer 1942 bezeugt, in dem von einem „Verfahren zur explosiven Erzeugung von Energie und Neutronen, […] das […] in solcher Menge an einen Ort gebracht wird, z. B. in einer Bombe,…“ die Rede ist. Seine Teilnahme am sogenannten „Uranprojekt“ war seit jeher stark umstritten und von Weizsäcker selbst bezeichnete sie als großen Fehler, der „tödlich schief ausgegangen“ wäre und nur dank „göttlicher Gnade“ nicht zu realisieren gewesen sei. Die deutsche Kriegswirtschaft war außer Stande, die notwendig gewordenen Ressourcen bereitzustellen.

Nach dem Krieg rückten dagegen Antikriegsbemühungen in den zentralen Fokus seines Engagements. 1957 unterzeichnete er mit 17 anderen Kernforschern die „Göttinger Erklärung“, die sich gegen eine Aufrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen aussprach. 1962 folgte das „Tübinger Memorandum“. Erbitterter Gegner von Weizsäckers war der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß, der es sich zum Ziel gemacht hatte, die Bundeswehr mit atomaren Waffensystemen auszustatten. Dabei schonte von Weizsäcker sich selbst nicht. Wie er berichtete, musste er zwei Tage mit Ohrensausen und Brechdurchfall das Bett hüten, nachdem er an einer Auseinandersetzung mit Bundeskanzler Adenauer und Strauß teilnahm. 1970 wurde von ihm das Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt gegründet, das er mit seinem Philosophenkollegen Jürgen Habermas leitete. Auch hier stand die Gefährlichkeit eines Atomkrieges im Vordergrund seiner Arbeit. Der Begriff „Weltinnenpolitik“ stammt auch aus dieser Zeit. Die Tatsache, dass von Weizsäcker in den 1970er-Jahren einen eigenen Atombunker im Garten seines Hauses bauen ließ, der zwar nur als Vorratsraum Verwendung fand, ließ viele aufhorchen und brachte Weizsäcker einiges an Unverständnis ein.

Diese wissenschaftliche Seite von Weizsäckers ist allen bekannt. Dass aber auch eine mystische Seite existiert, ist allerdings nur wenigen bewusst. Das Jahr 1969 war ein Schlüsselerlebnis im Leben von Weizsäckers. Der in Meditation geübte Physiker reiste in diesem Jahr durch Indien und hatte im Ashram von Sri Ramana Maharshi in Tiruvannamalai eine spirituelle Erleuchtung, die in ihm alle Fragen beantwortete und die ihm immer präsent war. Schon in den 1960er-Jahren traf er den indischen Pandit Gopi Krishna und gründete die Forschungsgesellschaft für westliche Wissenschaft und östliche Weisheit, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, östliche Mystik zu studieren und sie im Verhältnis zu westlicher Rationalität zu setzen. So wundert es auch nicht, in von Weizsäckers Repertoire Titel wie die „Biologische Basis religiöser Erfahrung“ zu finden, den er mit Gopi Krishna verfasste und der 2010 mit dem Titel „Yoga und die Evolution des Bewusstseins“ neu aufgelegt wurde.

Den ersten Kontakt mit Gopi Krishna hatte von Weizsäcker 1968. Der Inder stammt aus Srinagar in Kaschmir und machte von Weizsäcker mit der von den traditionell-indischen Religionsschriften bezeichneten „Kundalini“ vertraut, jener spirituellen Kraft, die jedem Menschen innewohnen soll. Gopi Krishna war jahrzehntelang Regierungsbeamter, Leiter eines Hilfswerks für Arme und in seiner Region eine angesehene Persönlichkeit. Ausgehend von einem Impuls seelischer Vertiefung begann er schon in jungen Jahren zu meditieren. Nach 17 Jahren Meditationserfahrung soll er ein neues, tiefergehendes Bewusstsein erlangt haben. Dies war ein Prozess, der ein Jahrzehnt andauerte.

Von Weizsäcker schildert Gopi Krishnas Erfahrung ausführlich und will sie in einen wissenschaftlichen Kontext setzen. Das Buch gliedert sich in zwei Teile, einen von von Weizsäcker und einen von Gopi Krishna. Von Weizsäcker greift Religion und Wissenschaft als zwei Bereiche des menschlichen Lebens heraus, die sowohl Lösungen als auch Probleme bereiten und daher nicht für sich allein betrachtet werden sollten. Von Weizsäcker spricht der Wissenschaft die Entscheidungsbefugnis als letzte Instanz ab und warnt vor blindem Wissenschaftsglauben. Evolutions- und biologisch-medizinische Aspekte werden in einer Weise aufgearbeitet, die Gopi Krishnas Erfahrung besser einschätzen lassen und damit für den westlich geprägten Leser einfacher greifbar machen. Der zweite Teil des Buches geht stärker auf Gopi Krishnas Erfahrung selbst ein und der Leser bekommt aus erster Hand die Erlebnisse jener „Aufweckung der Kundalini“ mit, welche sich für den wissenschaftlich geschulten Leser recht eigentümlich darbietet. Daher ist dieses bahnbrechende Buch ein wertvoller Beitrag zur östlichen Weisheit, will es doch eine Brücke zwischen ihr und der abendländischen Wissenschaft schlagen. Dies ist von Weizsäcker eindrucksvoll gelungen, der wie kaum ein anderer das noch unerschlossene geistige Potential des menschlichen Gehirnes anreißt und völlig neue Perspektiven in der Evolution des Bewusstseins aufzeigt.

Titelbild

Gopi Krishna / Carl F. von Weizsäcker: Yoga und die Evolution des Bewusstseins. Die wissenschaftliche Grundlage der spirituellen Erfahrung.
Crotona Verlag, Amerang 2010.
142 Seiten, 15,95 EUR.
ISBN-13: 9783861910046

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