Gutbürgerliches Liebeselend

Gentrifizierungsroman: „Ein helles und ein dunkles Haus“ ist das Literaturdebüt der Bonner Medienwissenschaftlerin Heidemarie Schumacher

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Roman beginnt mit einem Abendessen, in einem renovierten Altbau, irgendwo in einem angesagten Viertel im Raum Köln/Bonn. Das gemeinsame Gesprächsthema der Fourtysomethings, die sich bei Jakobsmuscheln, Rinderfilet auf Rucola und Beerensorbet versammeln, ist schnell gefunden: die allein lebende Frau von Gegenüber, Katharina Rautenberg, die nachts von Baum zu Baum schleicht, den Bürgersteig vor ihrem heruntergekommenen Haus mit einem Staubtuch reinigt und manchmal mit ihren „Mitbewohnern“ schimpft, darunter ihre längst verstorbene Mutter.

Einigen am Tisch ist die offensichtlich psychisch kranke Frau ein Dorn im Auge. Wäre sie nicht besser in einem Heim untergebracht? Und dann ihr Haus, was ließe sich daraus machen, würde man es sanieren? „Ein helles und ein dunkles Haus“, lautet zwar der Titel dieses Romans von Heidemarie Schumacher, doch der von der Bonner Medienwissenschaftlerin am Anfang ihres Debütromans gezeichnete Kontrast ist eine kalkulierte Irreführung. Es dauert nur wenige Kapitel, dann wird klar: Nicht nur Katharina Rautenberg lebt in ihrer eigenen Welt.

Die Lebensfassaden dieser „funktionierenden Menschen“ zeigen mehr und mehr Risse, wirklich sanierungsbedürftig sind ihre scheinbaren Erfolgs-Existenzen als Akademiker oder Architekten. Gesine zum Beispiel, eine von Zysten geplagte Übersetzerin, liebt lieber in ihrer Fantasie. Zur Zeit Justus, sofern er tatsächlich so heißt, der ein paar Häuser weiter wohnt und, da ist sie sich sicher, nachts neben seiner Ehefrau ebenfalls nur von ihr träumt. Oder Wolf, ein Geschichtsprofessor, der vor den Demütigungen seiner Frau (die ihn mit dem Mann ihrer Schwester betrügt) in eine historische Erzählung über den Kurfürsten Clemens August flüchtet, in der er seine uneingestandene Liebe zu seinem Schwager, dem Germanistikstudenten Christian, auslebt.

Schumachers Roman über das gutbürgerliche Liebeselend, der stilistisch vage an den Realismus Dieter Wellershoffs erinnert, ist unspektakulär, aber flott und unterhaltsam geschrieben. Bis auf einzelne Perspektivfehler ist er handwerklich solide und entwickelt einen überraschenden Erzählsog. In kurzen Kapiteln springt die Erzählerin von einer Figur zur nächsten, wobei besonders die liebevoll gezeichnete Figur der Katharina Rautenberg heraussticht.

Das Interessante an diesem Roman ist sein sozialer Hintergrund, die sich in vielen Vierteln deutscher Großstädte vollziehende „Gentrifizierung“, der Zuzug Gutverdienender in bis dahin ärmlichere Stadtteile, und die sich daraus ergebenden Konfliktpotenziale. Die Szene, in der Katharina Rautenberg in weiten Pluderhosen und ihren Zepter – in Wahrheit ein Schraubenzieher – vor sich hertragend die Straße überquert, um der Fotografin Kristin, die sie für eine „Prinzessin“ hält, die Ehre zu erweisen, bleibt einem ebenso lange im Gedächtnis wie ihr huldvoller Auftritt bei der Studentenfete nebenan.

Titelbild

Heidemarie Schumacher: Ein helles und ein dunkles Haus. Roman.
Berlin University Press, Berlin 2011.
188 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783862800025

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