Große Erwartungen

Bilder der Nachrichtenagentur Prensa Latina zeigen die ersten zehn Jahre des sozialistischen Kuba

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der „neue Mensch“ solle das junge, das moderne Kuba aufbauen, eine „neue Gemeinschaft“ und eine bessere Gesellschaf, so lautete der Plan, den Ernesto „Che“ Guevara in seiner 1965 erschienenen Schrift „El socialismo y el hombre nuevo en Cuba“ darlegte. Der Bauer sollte ebenso wie der Intellektuelle, der Arbeiter und der Soldat seine Arbeitskraft nicht an Feudalherren verschwenden, sondern „befreite Arbeit“ im Dienste der Gemeinschaft ableisten. Die Zukunft sollte besser werden, das war das primäre Ziel der Theoretiker der in jenen Jahren noch jungen Kubanischen Revolution. Diese ist mittlerweile, wie seine Führungsfiguren, in die Jahre gekommen und muss sich so manche fragwürdige Entscheidung ankreiden lassen. Der Sozialismus in Kuba, jene „Insel im Meer des Kapitalismus“, ist immer noch ein Experiment, das entgegen aller Unkenrufe noch immer nicht gescheitert ist, das aber so manchen Kratzer abbekommen hat und keineswegs jenem leuchtenden Vorbild entspricht, das Guevara sechs Jahre nach der Revolution herannahen sah. Das Hoffen auf die Zukunft, das ist in Kuba nach wie vor sehr ausgeprägt. Manchmal zurecht, wie etwa die Forschungsleistungen der kubanischen Medizin zeigen, manchmal mutet es auch geradezu bizarr an, wie etwa die alljährlich erwartete und immer wieder vertagte Rekord-Zuckerrohrernte, für die zwei Drittel des Landes mobilisiert werden und die restliche Wirtschaft beinahe stillsteht.

Die Hoffnung des „neuen Menschen“ ist so einer gehörigen Portion Nüchternheit gewichen, aber die positiven Seiten, die die Revolution mit sich brachte, sind nicht vergessen. Vor 1959 war Kuba ein bitterarmes Agrarland, in dem wenige Konzerne und Großgrundbesitzer das Geld unter sich aufteilten und die Bevölkerung hungerte. Die Revolution hingegen jagte nicht nur den korrupten Dikator Fulgenico Batista aus dem Amt, der mit 40 Millionen US-Dollar in bar nach Spanien flüchtete, sondern versprach auch eine gerechte Verteilung der Ressourcen und ein besseres Leben für alle Bevölkerungsgruppen. Medial unterstützt wurde die Sache der Revolution von der nur wenige Monate nach dem Sieg der Revolutionäre gegründeten Nachrichtenagentur Prensa Latina. Deren Fotoarchiv der Jahre 1959-1969 wurde nun für das vorliegende, von Harald Neuber beim Rotbuch Verlag herausgegebene Buch „Das neue Kuba“ durchforstet und zu einem beeindruckenden Dokument der Entwicklung Kubas in den 1960er-Jahren zusammengestellt.

Die Bilder machen die Euphorie und den Idealismus deutlich, mit denen die Menschen dort den Aufbruch in eine neue Zeit erlebten. Am beeindruckendsten sind dabei die Fotografien von der gigantischen Alphabetisierungskampagne, die die neue Regierung mit Hilfe von Tausenden von Freiwilligen 1961 startete, im „Jahr der Erziehung“. Für viele der jungen Anhänger der Revolution wurde diese Kampagne, wie Michael Zeuske in seinem im Buch enthaltenen Essay schreibt, zu einer „humanistischen Grunderfahrung ihres Lebens“. Ohne Ansehen des Alters oder der gesellschaftlichen Schicht wurde die Bildung in das entlegenste Dorf des Landes gebracht. Junge Lehrerinnen sieht man auf den Bildern inmitten ärmlicher Hütten, eine Frau, vielleicht neunzehn, zwanzig Jahre alt, die einem Greis die Hand bei seinen ersten Schreibversuchen führt, Dorfkinder, die einen der „Biblio-Busse“ umringen, die in den Folgejahren den Bibliotheksverkehr auf dem Land aufrechterhalten. Den unteren Schichten wurde so nachhaltig signalisiert, dass es im „neuen Kuba“ keine Grenzen zwischen Arm und Reich, zwischen Schwarz und Weiß geben werde, im darauffolgenden Jahr öffneten sich die Universitäten und Schulen für alle Bürger. Vor der Revolution besuchte lediglich ein Drittel der Landbevölkerung eine Schule.

Ein anderes Reformprojekt sollte weitreichende politische Folgen haben: Die Agrarreform, die unter großer Geheimhaltung gleich nach der Revolution in Angriff genommen wurde und durch die viele Bauern zum ersten Mal in ihrem Leben ein eigenes Stück Land besitzen durften. Stolz präsentieren sie sich mit ihren Besitzurkunden den Fotografen der Prensa Latina. Doch diese Reform war auch das Ende der „humanistischen Revolution“, wie Fidel Castro sie einmal nannte. Die Enteignung der Großgrundbesitzer und vor allem der zumeist amerikanisch geführten Agrarkonzerne wie der United Fruit Company ließ die zunächst kubafreundliche Haltung der Regierung der Vereinigten Staaten bröckeln. Sollte Castro einer der gefürchteten „Commies“ sein? Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten waren dahin, die Bilder zeigen nun Panzer, Flak-Geschütze und nach CIA-geführten Anschlägen brennende öffentliche Einrichtungen – ein unerklärter Krieg, der schließlich in die Invasion an der Playa Giron und die Hinwendung Kubas zur Sowjetunion mündete.

Was auf den Bildern überraschenderweise nur ganz am Rande aufscheint, ist direkte Propaganda. Den Sozialismus preisende Parolen und Spruchbänder sind kaum zu sehen. Stattdessen zeigen die Fotografien ein Land im Aufbruch, der penetrante sozialistisch-belehrende Touch vieler sowjetischer Agenturbilder fehlt hier völlig, die Reporter der Prensa Latina wollen primär dokumentieren, nicht indoktrinieren. Und so vermitteln die Bilder des „neuen“ Kuba zwischen 1959 und 1969 doch ein wenig eine Ahnung davon, wie die Vision Guevaras hätte aussehen können. Was davon in die Gegenwart gerettet werden kann beziehungsweise konnte, das steht jedoch auf einem anderen Blatt.

Titelbild

Harald Neuber: Das neue Kuba. In Bildern der Nachrichtenagentur Prensa Latina 1959/1969.
Rotbuch Verlag, Berlin 2011.
192 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783867891295

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