Freizügig und verklemmt zugleich

Charlotte Roche landet mit „Schoßgebete“ zum zweiten Mal einen programmierten Bestseller, der fürchterlich zäh zu lesen ist

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über den Feuchtgebieten erheben sich stoßseufzend die „Schoßgebete“, das zweite Buch von Charlotte Roche. Schon im Titel ist die Fortsetzung des urbanen Style-Konzepts ihres Erstlings signalisiert: Roche will ihre Klientel nicht verprellen. Dazu gehören nicht zuletzt auch die Medien, die gerne auf derartige Inszenierungen aufspringen. Insofern ist die Rechnung schon vor dem Erstverkaufstag aufgegangen.

Wo „Schoßgebete“ drüber steht, ist der Kitsch vermutlich nicht weit – ließe sich vorab erahnen. Die Titel-Mixtur aus Religion und Sex, Inbrunst und Brunst, Tränen und Fellatio erinnert an die präraffaelitischen Sehnsüchte des 19. Jahrhunderts, oder an schwülstige Tabubrüche à la Madonna. In dem Sinn funktioniert „Schoßgebete“ als Blickfang, der zweierlei Vermutungen zulässt. Es steht wirklich drin, was drüber steht; oder glücklicherweise nicht. A priori scheint jedoch klar: Wir öffnen hiermit ein auf mediale Aufmerksamkeit getrimmtes Produkt.

Nun denn: Der Roman beginnt wie verheißen. Ein Paar verknäult sich geschlechtsmäßig ineinander, wobei die Frau genau zu beschreiben versucht, wie sie dem Mann die Eichel lutscht und er ihr bei der vaginalen Selbstbefriedigung zusieht. Was auf den ersten Blick höchst freizügig anmutet, liest sich trotzdem eigentümlich verklemmt. Ein Widerspruch? Nicht unbedingt. Literatur ist ein Zusammenspiel von Form und Inhalt, beide sind aufeinander angewiesen, voneinander abhängig. Bereits auf den ersten Seiten demonstrieren Charlotte Roches „Schoßgebete“, dass Form und Inhalt hier auseinanderdriften, wofür primär die Sprache verantwortlich zeichnet, weil sie nicht trägt. Konkret klingt das dann wie folgt: „Wenn aber mein Mann das möchte, mach ich für ihn die größte Selbstbefriedigungsshow aller Zeiten. Wenn er zuguckt und mich dazu auffordert, dann gebe ich Vollgas. Ich reibe, und ich schubber, was das Zeug hält. Er guckt mir kein einziges Mal ins Gesicht.Ich bestehe dann ja auch nur aus Vagina!“ So schön kann Sexualität sein.

Es lässt sich nicht überlesen, dass Charlotte Roche mit einer ärmlichen Sprache operiert, die weder explizit präzise noch schön salopp und ordinär ist, sondern eher ungelenk. Kathy Acker und William S. Burroughs haben demonstriert, wie die Versautheit von Sex mit aller Drastik zu erzählen ist, und A.F.Th. van der Heijden veranschaulicht beispielsweise in „Die Movo-Tapes“, wie der sexuelle Akt hochauflösend genau beschrieben werden kann. Doch Charlotte Roche lässt ihre Erzählerin irgendwann mal „versaut“ sagen, und „fickt euch“, und dann noch: „Im Gegensatz zu mir kann er Dirty-Talk sehr gut“ – das wars dann an Schweinerei. Die Behauptung ersetzt die Gestaltung.

Das ist insofern ein Jammer, weil die Auflösung der geschlechtlichen Umklammerung nach dem ersten Dutzend Seiten umgehend in einen Akt der Körperwäsche und des Kochens mündet, was den guten Sex auf ironische Weise sogleich entzaubert und profaniert. Fraglich ist indes, ob hierfür nicht eher der Zufall als die ironische Absicht Pate gestanden hat.

Was aber erzählen die „Schoßgebete“ jenseits des werbestrategisch aufgeputschten Titels? Elizabeth Kiehl heißt die Erzählerin, die mit einem Georg zusammen lebt, über den wir kaum mehr als körperliche Eigenheiten und sexuelle Vorlieben erfahren. Elizabeth hat eine Tochter und geht regelmäßig in die Therapie, am liebsten, nachdem sie es mit Georg getrieben hat, um ihrer Therapeutin, Frau Drescher, zu zeigen, dass sie ein reges Sexleben hat. Im Grunde aber leidet Elizabeth unter Ängsten und Phobien, sie fühlt sich vom alltäglichen Dasein überfordert. Ihre labile Befindlichkeit, die auch beim Sex nur kurz verschwindet, wird von einem traumatischen Erlebnis grundiert, das Charlotte Roche im Zentrum des Buches erzählt – autobiografisch fundiert, wie man hört.

Vor acht Jahren, am Vorabend ihrer Hochzeit mit Stefan (dem Vater ihrer Tochter) verlor Elizabeth ihre drei Brüder durch eine Autokarambolage in Belgien. Die Mutter überlebte. Dieses traumatische Ereignis ist das geheime Zentrum, der eigentliche Roman, in den die Heldin tragisch verwickelt ist. Todeswünsche begleiten sie seither. Wie ein schlechter Film vergegenwärtigt sie sich im Kopf das Geschehen, das sie selbst gar nicht miterlebt hat. „Der Unfall ist alles, was daran hängt, fühlt sich so an, als wäre er vor ein Tagen passiert. Es fühlt sich nicht an, als wäre die Zeit seitdem vergangen. Ich bin gefangen in den Tagen, in denen das passierte, ich komme einfach nicht darüber hinweg.“ Wo sich Elizabeth immer wieder neu daran erinnert, erhält auch ihre Sprache Kontur und Prägnanz.

Der tragisch helle Moment in diesem Buch bleicht an seinen Rändern leider schnell wieder aus, etwa wenn Elizabeth Sätze äußert wie: „Sie (die Mutter) lebt, aber ist schwer verbrannt? Mit was man sich so rumschlagen muss im Leben.“ Augenblicklich fällt der literarische Ernst wieder in einen geradezu albernen Sprechgestus zurück, der folgerichtig auch gleich wieder in den Puff führt.

Darin besteht das Kerndilemma dieses Buches. Charlotte Roche hätte durchaus etwas zu erzählen, worauf sie sich aber nur halbherzig einlassen will – und kann. Stattdessen arrangiert sie darum herum eine Prosa, die zerredet, was im literarischen Kern angerichtet wird. Bloß noch unfreiwillig komisch wirken die therapeutischen Gespräche bei Frau Drescher. Auf diese Weise finden die beiden Geschichten nie zusammen. Der Mutterkomplex versinkt hinter einem pseudofeministischen Popanz, der partout Alice Schwarzer für die sexuelle Verklemmtheit haftbar machen will. Georg, dieser Sexmaniac scheinbar ohne Arbeit, bleibt dagegen ein Geist in den Untiefen des Ehebettes.

Grundsätzlich hat Charlotte Roche Mühe damit, einfach zu erzählen. Jeden narrativen Fluss bremst sie permanent mit irgendwelchem Beweisen und Bedeuten. Selbst die verblüffend wohlwollende Kritik in der „F.A.Z.“ durch Felicitas von Lovenberg hat dem Roman attestiert, dass er keine stilistische Meisterleistung darstelle, er wolle vielmehr die Menschen erreichen. Mit schlechter Sprache? Es ist ein Trugschluss zu meinen, ein auf Direktheit und Gegenwärtigkeit zielender Stil bedürfe nicht der literarischen Formung. Gute Texte, gerade da wo sie zuspitzen, basieren auf einer ästhetischen Überzeugung, die auch für die Leser spürbar wird. Exakt daran aber mangelt es hier der Sprache wie der Dramaturgie. Charlotte Roche hat für ihre „Schoßgebete“ keine taugliche Form gefunden, vielmehr eiert sie zwischen ernster Tragik und alberner Zickerei. Einerseits spielt ihre Prosa mit dem Mittel der spontanen monologischen Erzählung, wofür sie aber zu aufgesetzt und zu wenig kohärent wirkt. Andererseits erlaubt sie sich zu viele sprachliche Unzulänglichkeiten, um präzise zu beschreiben. Die Erzählerin ist selten um die banalste, gebräuchlichste, albernste Wendung verlegen. So bleibt als Fazit, dass sich diese „Schoßgebete“ übers Ganze fürchterlich zäh lesen. Ohne Form wird der Ernst, der diesem Buch auch innewohnt, zerredet und verkleistert.

Literarische Figuren müssen weder klug noch sympathisch sein, auffallend ist aber schon, wie sich Roches Erzählerin mit aller Macht dümmer stellt als sie wirklich sein kann – ist das der Kern der antifeministischen Spitze, die dem schwülstigen Buch mit einbeschrieben ist?

Eine Frage muss zum Schluss erlaubt sein. Was hat sich eigentlich ein literarischer Verlag wie der renommierte Piper Verlag dabei gedacht, dieses Buch in derartiger sprachlicher Armut herauszugeben? Mit wenig Aufwand hätte man ihm wenigstens die schlimmsten sprachlichen Einfältigkeiten verzeihen können. Ist die Bilanz erst geschönt, ist auch der Ruf schon beschädigt.

Titelbild

Charlotte Roche: Schoßgebete. Roman.
Piper Verlag, München 2011.
280 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783492054201

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