Nach dem Crash ist vor dem Crash

Thomas Wolfes Porträt der feinsten und feisten Gesellschaft Manhattans im Jahr vor der Großen Depression

Von Almut OetjenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Almut Oetjen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Wolfe (1900-1938), weltberühmt geworden durch sein Debüt „Schau heimwärts, Engel“ aus dem Jahr 1929, erzählt in „Die Party bei den Jacks“ eine ebenso faszinierende wie ernüchternde Geschichte über Manhattans Upper Class und deren Dienerschaft.

Im Zentrum des Romans steht das Ehepaar Frederick und Esther Jack, er ein vor vierzig Jahren aus Koblenz eingewanderter jüdischer Börsenmakler und Selfmade-Millionär, sie eine gefeierte Bühnenbildnerin. Das Ehepaar lebt mit zwei Kindern, Sohn und Tochter, beide in den Zwanzigern, in einem Luxusapartment im neunten Stock eines Hochhauses an der Vanderbilt Avenue in Manhattan, umgeben von Hausmädchen, Dienstmädchen, Köchin und Butler.

Unterbrochen von Rückblicken auf Fredericks Leben wird der Ablauf eines einzigen Tages im Leben der Jacks erzählt, vom morgendlichen Aufstehen, den Vorbereitungen für die große Party, dem Eintreffen der Gäste, dem Auftritt des Drahtpuppenspielers Piggy Logan, dem Ausbruch eines Feuers im Kellergeschoss des Hochhauses, der Evakuierung des Gebäudes, dem Tod zweier Menschen. Die Gäste, das sind drei Dutzend Privilegierte aus der Welt des Geldes, Geistes, Glamours. Manikürt und unerschütterlich gefallen sie sich in ihrer Exklusivität und entfalten ein breites Spektrum an Gefühlen, Eigenschaften und Bedürfnissen: Liebe, Verzweiflung, Eifersucht, Hass, Neid, Grausamkeit, Stolz, Witz, Liebreiz, Frivolität, Schamlosigkeit. Korrupte Polizisten schleppen kistenweise konfiszierten Alkohol an, Debütantinnen in halbseidener Begleitung geben sich die Ehre ihres unangekündigten Besuchs. Für Esther besteht der Höhepunkt der Party in dem – wenngleich unwilligen– Erscheinen ihres Geliebten. George ist das Alter Ego von Thomas Wolfe, eine groteske Randfigur, die das Treiben distanziert betrachtet und sich fragt, was sie noch mit der Geliebten verbindet.

Das Leben der Jacks, kartiert, kontrolliert und auf der Erfolgsskala nach oben hin offen, ist eine durchritualisierte, niemals gefährdete Karrieremaschine. So scheint es zumindest. Wäre da nicht Fredericks anfänglicher Alptraum, in dem er nach Koblenz zurückgekehrt ist und seinen ehemaligen Schulfreunden von seinen Erfolgen vorschwärmen will, aber angesichts ihres Elends verstummt. Oder die Vibrationen, die durch das Gemäuer ziehen und von der U-Bahn verursacht werden, die das Gestein Manhattans aushöhlt. Die Jacks fürchten keinen Kollaps, weder den des Gebäudes, noch den ihrer gesellschaftlichen und finanziellen Positionen. Wie ihre Freunde ignorieren sie die Vorboten des Börsencrashs und ihres tiefen Falls, über den der Leser in Kenntnis gesetzt wird.

Die Welt der Jacks mutet fantastisch, fast utopisch an mit ihrer nach oben strebenden Architektur aus Glas und Stahl, glanzvoll, sicher und harmonisch. Doch aus Sicht der kleinen Leute ist Manhattan eine eher trostlose Angelegenheit. Sieht man genau hin, könnten die himmelstürmenden Gebäude jederzeit einbrechen wie die spekulativ aufgeblähten Aktienkurse.

Thomas Wolfe liefert das Porträt einer Gesellschaft, die er aus eigener Anschauung kannte. Präzise und lebhaft schildert er bekannte Celebrities, lässt sie reden, in Worten, Gestik und Mimik. Da ist beispielsweise die exaltierte Erbin, die an beiden Enden brennt und ein Leben am Rande des Selbstmords führt. Oder der führende Kopf des Finanzwesens, Lawrence Hirsch, der sich als selbstloser Anwalt der Unterprivilegierten medienwirksam von der Öffentlichkeit feiern lässt, aber seine Millionen durch Ausbeutung eben jener Klasse scheffelt und bedenkenlos auf streikende Arbeiter schießen lassen würde.

Im Kernstück des Romans lässt Wolfe zwei Fahrstuhlführer, die in dem Hochhaus arbeiten, eine politische Diskussion darüber führen, ob die Reichen ihre Freunde oder Feinde sind. Der unüberbrückbare Abgrund zwischen den gesellschaftlichen Schichten, der Groll der Kleinen auf die Großen, wird nochmals deutlich durch das Hausmädchen Molly, das frustriert und alkoholisiert nach 20 Jahren im Dienst der Jacks kurz vor dem Rausschmiss steht.

Ein Glanzstück des Romans bildet die herrlich respektlose Offenheit und Gnadenlosigkeit, mit der Wolfe die Mechanik des Feuilletons am Beispiel des zum großen Künstler und Publikumsliebling hochgejubelten Piggy Logan verdeutlicht, der sich auf der Party der Jacks doch nur als armseliger Stümper erweist.

Thomas Wolfe arbeitete zwischen 1930 und 1937 an „Die Party bei den Jacks“. Es war eines von vielen Projekten, die er in den 1930er-Jahren verfolgte. Die editorische Notiz der Manesse-Ausgabe schildert die schwierige Aufgabe, nach dem Tod des Autors 1938 den Text, der sich in verschiedenen Textstufen und -varianten im Nachlass fand und teilveröffentlicht wurde, zu rekonstruieren. Die Originalausgabe erschien 1995, 2011 veröffentlichte Manesse nun die erste Ausgabe auf Deutsch. Ergänzt wird das Buch durch ein Nachwort von Kurt Darsow.

Der Roman ist aus vier Gründen lesenswert: der eindeutigen Haltung des Erzählers, der Aktualität der Themen, der genauen Beobachtungsgabe sowie der Präzision und Opulenz der Sprache.

Titelbild

Thomas Wolfe: Die Party bei den Jacks.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Susanne Höbel.
Manesse Verlag, München 2011.
352 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783717522348

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