Wohl bekomm’s!

Über das Elend der Autorenhonorare für wissenschaftliche Texte

Von Dirk KaeslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dirk Kaesler

Ab dem 12. Oktober 2011 wird es wieder fröhlich zugehen auf den Ständen der großen und in den Kabinen der kleinen Verlage, wenn auch meistens erst am späten Nachmittag. Die Prosecco-Korken werden knallen, die kleinen Snacks und die Nussmischung werden herumgereicht, der Lärmpegel der Gelächter steigt, man vereinbart direkt oder per Handy, wohin man mit wem zum feinen Abendessen gehen soll. Wie in jedem Jahr wird sich auch dieses Mal die Branche auf der Frankfurter Buchmesse selbst feiern.

Nach außen hin werden sie gewiss wieder über die schlechten Geschäfte und die elende Konkurrenz durch die elektronischen Medien von iPad, Kindle und Konsorten klagen, die Damen in den Kostümen und die Herren in den Anzügen, vor allem dann, wenn einer der Autoren sich dem Stand eines der wissenschaftlichen Verlage nähert.

Dabei gibt es hinreichend Anlass zum Feiern, mit oder ohne Prosecco! Der aktuelle Marktreport des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gibt soeben bekannt: Umsatzplus beim Sachbuch, leichte Rückgänge bei der Belletristik und den Ratgebern. Insgesamt gibt es keinerlei ernsthafte Gründe zum Klagen.

Aus gegebenem Anlass werde ich mich für meine Oktober-Glosse auf den Bereich „Sachbuch“ konzentrieren, auch in eigener Sache.

Der Sachbuch-Markt

Fangen wir mit den Fakten an: Nach dem Marktreport des Börsenvereins kommt die „Warengruppe Sachbuch im Herbst 2011 auf einen Umsatzanteil von 11,6 Prozent. Dabei hat sich der Umsatz positiv entwickelt und um 16,3 Prozent zugelegt. Deutlich mehr als ein Drittel des Umsatzes von Sachbüchern kommt aus dem Bereich Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Das Segment weist aktuell einen Umsatzanteil von 37,9 Prozent (Vorjahr: 32 Prozent) an dieser Warengruppe auf und behauptet mit einem starken Umsatzwachstum von 38,6 Prozent seine prominente Stellung innerhalb der Sachbücher. Ebenfalls stabil sind die Warengruppen Lexika/Nachschlagewerke mit einem Umsatzanteil von 15,1 Prozent (Vorjahr: 17,7 Prozent) sowie Geschichte (13 Prozent; Vorjahr: 14,3 Prozent).“

Explizit genannt werden als die drei meistverkauften Bücher der letzten zwölf Monate im Bereich Sachbuch: „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin (DVA), „Ach so!“ von Ranga Yogeshwar (Kiepenheuer & Witsch) und „Empört euch!“ von Stéphane Hessel (Ullstein).

Ich bin nicht Autor eines dieser Bestseller. Als einer derjenigen jedoch, die seit vielen Jahren dabei mitwirken, dass die Segmente diverser deutscher und ausländischer Verlage sowohl bei Monografien im Bereich Gesellschaft als auch von Lehrbüchern, Lexika und anderen Nachschlagewerken florieren, beschäftigt mich derzeit und zunehmend mehr die Frage, wer mit welchen Anteilen an diesen insgesamt sehr erfreulichen Entwicklungen profitiert. Es geht ums Geld, auch wenn es für so manchen von uns Wissenschaftlern immer noch als geradezu anstößig gilt, davon zu reden.

Das Autoren-Honorar

Beginnen wir auch hier mit den – vermeintlich – ganz einfachen Fakten: Als „Autorenhonorar“ wird jene „Zuwendung“ bezeichnet, die der Autor eines Textes für dessen Nutzung durch andere erhält. Es ist ein „Honorar“ – also ein „Ehrengeschenk“ –, durch das der Erwerber des Textes – zumeist ein Verlag von Druckerzeugnissen – mit diesem Text ein Geschäft machen kann, indem er ihn veröffentlicht und damit – in aller Regel – Geld verdient.

Die frühesten Formen der Autorenhonorare im Bereich der Texterstellung und -bearbeitung lassen sich bis in das 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Im 16. Jahrhundert war es übliche Praxis, die Autorenhonorare in Form von „Dedikationen“ – also beispielsweise Widmungen an den regierenden Fürsten oder Bischof – einzufordern. Diese wurden im Regelfall im Vorfeld nicht befragt und erhielten erst nach dem Druck des Werkes einen Anteil der Drucke mit dem Wunsch der Bezahlung unter Hinweis auf die Widmungen. So mancher weltliche oder geistliche Würdenträger fühlte sich derart geehrt, dass er dem Textproduzenten Geld oder geldwerte Vergünstigungen zukommen ließ.

Erst ab dem 17. Jahrhundert etablierten sich allmählich feste Honorare, die als „Pauschalhonorare“ bezeichnet und auf der Basis der Anzahl der Seiten und der Auflage einer Publikation berechnet wurden. Diese frühen Autorenhonorare wurden allerdings sehr häufig in Form von Tauschwaren bezahlt, beispielsweise dadurch, dass der Autor als Vergütung andere Druckwerke, Lebensmittel oder sonstige Dinge bekam. Hinzu kam, dass viele Verleger und auch Autoren es ablehnten, für geistige Erzeugnisse Geld zu bezahlen beziehungsweise anzunehmen.

Harald Steiner, seit Januar 2004 Bereichsleiter Verkauf beim Stuttgarter Thieme Verlag, schreibt in seinem bis heute grundlegenden Buch zur historischen Entwicklung des Autorenhonorars.

„Bis weit ins 18. Jahrhundert herrschte somit ein Bewusstsein vor, das dem Gelehrten die umfassende wirtschaftliche Verwertung seiner Werke verwehrte. Für seine literarischen Arbeiten wurde ihm zwar ein Honorar oder eine sonstwie geldwerte Gegenleistung durchaus zugestanden, doch war dieses nicht der eigentliche Sinn und Zweck seiner schriftstellerischen Tätigkeit, er sollte es zumindest nicht sein. […] Der Versuch, den materiellen Ertrag seiner Arbeiten möglichst hoch zu steigern oder gar fortgesetzt am erwirtschafteten Gewinn teilzuhaben, war mit seiner Standesehre unvereinbar. Überholte religiöse Vorstellungen, die geistige Werke, insbesondere Dichtungen, immer noch als Ausfluß einer höheren Inspiration, als Wiedergabe von etwas, das nicht vom Autor selber kam, trugen das ihre dazu bei.“

Man kann es auf den Punkt bringen: Für den Verfasser wissenschaftlicher Werke, einen Gelehrten also, war es unter seiner Ehre, Geld für die Ergebnisse seines wissenschaftlichen Forschens bezahlt zu bekommen. Eine „Ehrengabe“ anzunehmen war jedoch einigermaßen akzeptabel. Dieses Denken beherrschte nicht nur die Gelehrten, ein „Honorarium“ erwarteten auch Advokaten, Ärzte und Apotheker: sie alle zählten sich ja nicht zu den Kaufleuten, die eine Ware gegen Geld eintauschten. Harald Steiner überschreibt dieses Kapitel seines Buches sehr zutreffend mit „Der Dualismus Geist und Geld“.

Wen niemand kannte, der bekam kein Geld, er sollte sich damit begnügen, dass seine Gedanken publik werden konnten. War ein Autor jedoch berühmt, konnte er darauf setzen, dass ihm eine materielle Vergütung für seine Arbeit zuteil wurde, ohne dass er sicher sein konnte, von wem und wie hoch sie ausfiel. War er jedoch sehr berühmt, drohte die Produktion von „Raubdrucken“, durch die er möglicherweise noch berühmter wurde, finanziell jedoch leer ausging, da die unrechtmäßigen Verleger alles Geld für sich einsteckten. Die Situation war uneinheitlich und willkürlich, eine faire Regelung musste gefunden werden. Spätestens mit der Gründung des „Börsenvereins der Deutschen Buchhändler“ im Jahr 1825 in Leipzig – der Vorläuferinstitution des „Börsenvereins des Deutschen Buchhandels“ – wurde allmählich ein einigermaßen einheitliches Urheberrecht etabliert.

Heute wird die Honorarzahlung für Autoren in Deutschland nach Paragraph 32 des „Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte“ (UrhG) geregelt.

Das entscheidende Stichwort darin lautet „Angemessene Vergütung“. Im Gesetz – zuletzt im Dezember 2008 geändert – steht, dass eine Vergütung dann „angemessen“ sei, „wenn sie im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses dem entspricht, was im Geschäftsverkehr nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsmöglichkeit, insbesondere nach Dauer und Zeitpunkt der Nutzung, unter Berücksichtigung aller Umstände üblicher- und redlicherweise zu leisten ist.“

So ist er, unser geliebter Gesetzgeber: Er tauscht einfach die Worte „angemessen“ durch „üblich“ und „redlich“ aus und meint, damit hätte er das Problem gelöst. Diese auslegungsbedürftigen Formulierungen schreien geradezu nach Präzisierung und Verbesserung. Beides wird seit langem gefordert, interessanterweise sowohl von den diversen Interessenvertretungen von Autoren als auch seitens mancher Verlage. Ganz offensichtlich war der herrschende Wildwuchs der Regeln selbst der damaligen Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, derart zuwider, dass unter ihrer Moderation im Juli 2005 nach mehreren Verhandlungsrunden „Gemeinsame Vergütungsregeln für Autoren belletristischer Werke in der deutschen Sprache“ zwischen dem Verband deutscher Schriftsteller in der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (VS) und neun Belletristik-Verlagen vereinbart wurden, in denen es vor allem um diese sechs Punkte geht:

1. Als „Richtwert“ für den „Normalfall“ ist ein Honorar von 10 Prozent als Beteiligung des Autors an den Verwertungseinnahmen festgesetzt. Wenn es „beachtliche Gründe“ – sie sind nicht vage, sondern genau genannt – gibt, kann die Beteiligung auf bis zu acht Prozent vom Nettoladenpreis reduziert werden, bei besonderen Verkaufserfolgen kann eine „ansteigende Vergütungsstaffel“ in Kraft treten.

2. Eine gestaffelte Beteiligung beim Verkauf von Taschenbuchausgaben abhängig von der Verkaufszahl: fünf Prozent bei einer verkauften Auflage von bis zu 20.000 Exemplaren, 6 Prozent bei bis 40.000, sieben Prozent bei bis 100.000 und acht Prozent bei über 100.000 Exemplaren. Hinzu kommt eine Beteiligung von vier bis sechs Prozent bei einer Sonderausgabe, deren Preis mindestens ein Drittel unter dem Preis der Originalausgabe liegen muss.

3. Bei der Verwertung von Nebenrechten wie der Nutzung in buchfremden Medien oder bei der Umsetzung zu Drehbüchern erhält der Autor 50 bis 60 Prozent der Lizenzgebühren.

4. Im Normalfall erhält der Autor einen Vorschuss durch den Verlag.

5. Auf Wunsch des Verlages überträgt der Autor die Nutzungsrechte an den Verlag.

6. Je nach marktwirtschaftlichem Potenzial und literarischem Wert sind Autorenhonorar beziehungsweise Gewinnverteilung frei verhandelbar.

Mit dieser Vereinbarung, die zwar formal nur für jene sechs Verlage gilt, die unter der „Schirmherrschaft“ des Börsenvereins mitgewirkt haben – Berlin-Verlag, Fischer, Hanser, Antje Kunstmann, Lübbe, Piper, Random House, Rowohlt und Seemann-Henschel – sollte jedenfalls ein Maßstab gesetzt werden, an dem die Gerichte auch bei Streitigkeiten mit anderen Verlagen das „angemessene Honorar“ bemessen sollten. Sie seien, so der damalige VS-Vorsitzende Fred Breinersdorfer, selbst Rechtsanwalt und erfolgreicher Drehbuchautor, „eine wirksame Absicherung gegen Honorardumping“.

Für die Autoren wissenschaftlicher Texte sind solche Regeln aus der Belletristik zuweilen reines Wunschdenken. „Frei verhandelbar“ ist hier das Zauberwort: Wer verhandelt wie frei und fair mit wem?

Der VS in verdi stellt im Netz eine ganze Sammlung von „Musterverträgen“ zur Verfügung, deren Lektüre jedoch eher zu Enttäuschungen führt. Immer dort, wo es spannend wird, finden sich Striche oder Punkte: Beim (garantierten Mindest-)Honorar, bei der Beteiligung an der Verwertung der Nebenrechte und bei den Freiexemplaren. Geradezu rührend mutet es an, wenn man liest, dass der Verlag die „erste Korrektur“ übernimmt und die Anzahl von „Sonderdrucken“ des eigenen Beitrags in den Vertrag eingetragen werden muss: Heute kann man als wissenschaftlicher Autor schon froh sein, wenn man eine PDF-Datei des eigenen Beitrags unaufgefordert zugeschickt bekommt. Wie sagte mir die freundliche Rechtsanwältin in der Rechtsabteilung des Börsenvereins, Susanne Barwick, am Telefon: „Bei wissenschaftlichen Publikationen steht der Aufwand für Produktion und Lektorat oft in keinem Verhältnis zu den Erlösen. Darum können dort zumeist solche Regeln wie im Bereich der Belletristik nicht angewendet werden.“

Insgesamt wird das Urheberrecht heute durch vier Mächte zunehmend mehr bedroht, die hier wenigstens aufgezählt seien:

1. Das zunehmend häufigere Plagiieren in quasi allen Medien, vor allem jedoch in den elektronischen Medien. Der wackere Versuch, sich gegen diese Entwicklung zu wehren, der mit der „Leipziger Erklärung zum Schutz geistigen Eigentums“ vom März 2010 unternommen wurde – zu deren Erstunterzeichnern Günter Grass, Günter Kunert, Erich Loest, Christa Wolf zählten – kann als wirkungslos verpufft eingeschätzt werden.

2. Das notorische „Google Book Settlement“, über dessen Problematik ich an dieser Stelle auch nichts Neues mehr sagen kann, zu dem derzeit noch ähnliche Bestrebungen auf europäischer Ebene kommen.

3. Die „Open-Access“-Politik vor allem der Wissenschaftsförderungsorganisationen, zu denen nun auch noch die soeben von der Berliner Wählerschaft so belohnte „Piratenpartei Deutschland“ kommt, die die de facto-Enteignung von Autoren von Texten für die nicht-kommerzielle Nutzung propagiert.

4. Aber es sind auch manche Verlage, die sich die schwache Machtposition gerade der wissenschaftlich arbeitenden Autoren zunutze machen, wobei man fairerweise zwischen reinen Wissenschaftsverlagen und den Fachverlagen unterscheiden muss.

Warum sind wir schwach? Vor allem weil es zu unseren Pflichten als Wissenschaftler gehört, die Ergebnisse unserer Arbeit öffentlich zu machen, weil unsere beruflichen Etappen auch daran gemessen werden, wie viel wir wo publiziert haben. Und weil viele Verlage wissenschaftlicher Texte das ausnützen. Und weil wir uns zu selten darüber empören und dagegen wehren. Und weil viele von uns sich immer noch in jener Geisteshaltung wiegen, die Armin Mallinckrodt in seiner Schrift „Ueber Deutschlands Litteratur und Buchhandel“ von 1800 mit seinem Loblied auf den traditionellen Gelehrten beschrieb: „Der edle Schriftsteller hat ja ohnehin höhere Zwecke, als Eigennutz; ihn lohnt daß süsse Bewußseyn, seinen Mitmenschen durch die Mittheilung seiner Kenntnisse genützt, sich Ehre und Achtung beim Publikum und auf die Nachwelt erworben zu haben.“

Insgesamt scheinen wir uns auf jene Zustände zurückzubewegen, von denen oben in dem Zitat von Harald Steiner die Rede war: Das „Ehrengeschenk“ reduziert sich darauf, ein Exemplar des gedruckten Textes – sei es als Monografie, als Sammelband, als Lexikon, als Zeitschriftenheft – in den Händen zu halten und einen Eintrag in das eigene Schriftenverzeichnis machen zu können. Jenen, die es im wissenschaftlichen Betrieb geschafft haben, eine sichere Position zu erlangen, wird ohnehin oft und leichtzüngig gesagt, dass sie es ja wohl „nicht nötig“ hätten, sie müssten ja nicht davon leben, sondern bekämen eine – angeblich üppige – staatliche Alimentation für das Produzieren ihrer Texte.

Damit meine unmaßgeblichen Anmerkungen nicht allein als das übliche kulturpessimistische Verfallsgeschwätz eingeordnet werden können, sei diese Beurteilung sowohl mit einem kleinen persönlichen Rückblick als auch mit einer sehr aktuellen Erfahrung illustriert, die zum Auslöser dieser ganzen Nach-Denklichkeiten wurde.

Ein kleiner persönlicher Rück- und Augenblick

Am 4. Juli 1971 unterzeichnete ich meinen ersten Herausgebervertrag für einen Sammelband von Texten von und über Max Weber. Mein direkter Vertragspartner war Berthold Spangenberg (1916-1986), der als Inhaber der Nymphenburger Verlagshandlung unterzeichnete. Diesem endgültigen Vertragsabschluss waren viele ausführliche Gespräche zwischen dem damals 27jährigen Studenten der Soziologie und Politischen Wissenschaft der Ludwig Maximilians-Universität München und dem damals 55jährigen leidenschaftlichen Verleger, Mitbegründer und Mitinhaber des Deutschen Taschenbuch Verlags (dtv) in Spangenbergs schöner Verlags-Villa in der Romanstraße 16 in München-Nymphenburg vorausgegangen. Eigentlich hätte es der Herr Verleger und persönliche Verlagsinhaber weder nötig gehabt, direkt mit dem potentiellen Herausgeber zu verhandeln, noch hätte er die vielen Stunden persönlich dafür aufbringen müssen, er hätte das alles auch an einen seiner Lektoren delegieren können. Sein Selbstverständnis als Verleger hätte das jedoch nicht zugelassen.

Dabei war der Verlag gerade im Jahr 1971 nicht nur in das Rampenlicht der Feuilletons, sondern auch des Bundesverfassungsgerichts geraten, weil er die erste Werkausgabe der Arbeiten von Klaus Mann veröffentlicht hatte. Durch dessen Roman „Mephisto“ empfand der Adoptivsohn und Alleinerbe des Schauspielers und Intendanten Gustav Gründgens (1899-1963) dessen Andenken verunglimpft und hatte das Verbot der weiteren Veröffentlichung des Romans aus dem Jahr 1936 beantragt. Die legendäre „Mephisto-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1971 gilt bis heute in der deutschen Rechtswissenschaft als Grundsatzurteil zur Kunstfreiheit und zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

Der fünfseitige maschinengeschriebene Vertrag zwischen dem Verlag und mir sah vor, dass der Herausgeber als Honorar für jedes verkaufte und bezahlte Exemplar ein prozentuales Honorar in Höhe von 6,5 Prozent des Betrags erhält, den der Verlag aus dem Verkauf erhält, einen Vorschuss („Garantiesumme“) bei Vertragsabschluss von 1.000,00 Deutsche Mark gezahlt bekommt, an den Nebenrechten zur Hälfte beteiligt ist und von der ersten Auflage 15 Freiexemplare erhält. Und ganz selbstverständlich bekamen alle Autoren der in der Sammlung aufgenommenen Texte – darunter Reinhard Bendix, Herbert Marcuse, Jürgen Habermas, Thomas Luckmann, Wolfgang J. Mommsen, Karl Loewenstein, Eric Voegelin – ein anständiges Pauschalhonorar.

Am 29. Juli 1971 traf das Geld auf meinem Konto ein, der Band erschien im April 1972. Im Februar 1976 war das letzte Exemplar der Erstauflage von 1.900 Exemplaren verkauft, zu einer Neuauflage war es nicht mehr gekommen, weil der Verlag durch Spangenberg aus rein persönlichen und keineswegs aus finanziellen Gründen verkauft worden war und der neue Eigentümer kein Interesse an wissenschaftlichen Büchern hegte. Es war auch das Ende zwei weiterer meiner Bücher, die ich mit der „Nymphe“ gemacht hatte: die Druckfassung meiner Dissertationsschrift von 1977 endete bereits ein Jahr später im Ramsch, genannt „Modernes Antiquariat“.

Nicht gänzlich ohne Rührung blätterte ich durch den dicken Aktenordner mit der umfangreichen Korrespondenz. Im Jahr 1974 verkaufte Spangenberg seinen selbständigen Verlag an die Herbig-Verlagsgruppe, mittlerweile gehört das Label „nymphenburg“ zur Münchner Herbert Fleissner-Verlagsgruppe. Nichts erinnert mehr an die inhaltliche Tradition, die Spangenberg, der ehemalige Widerstandskämpfer der anti-nationalsozialistischen Gruppe „Bayerische Freiheitsbewegung“ und Herausgeber der legendären Zeitschrift „Der Ruf“, begründet hatte. Der annoncierte „Erfolgstitel“ der gegenwärtigen „nymphenburg“ ist das Werk des früheren Werbeleiters, Ruediger Schache, „Das Geheimnis des Herzmagneten“, mit dessen Hilfe die Leser endlich dem Geheimnis der zwischenmenschlichen Anziehung auf die Spur kommen können.

Diese ersten Erfahrungen des noch nicht einmal diplomierten Soziologen mit dem Verlagswesen sollten mich über die anschließenden Jahrzehnte des Publizierens begleiten und prägen. Jeden Verleger messe ich seitdem an dem noblen Grandseigneur Berthold Spangenberg aus Dresden, der unter dem Pseudonym „Jörg Junker“ selbst eine deutsche Kulturgeschichte veröffentlicht hatte. Denn, sowohl als Autor als auch als Herausgeber ist es mir immer weniger oft zufriedenstellend gelungen, für mich selbst und „meine“ Autoren eine faire Vergütung auszuhandeln, mit leeren Händen ging ich bislang jedoch noch nie davon – außer in einem einzigen Fall bei einem der „Sammelbände“. Dennoch bleibt nach insgesamt mehr als vierzig Jahren der Erlebnisse in diesem Bereich – von den journalistischen will ich hier gar nicht erst reden – unter dem Strich die Erkenntnis, dass die Dinge sich insgesamt dramatisch verschlechtert haben.

Dazu der angekündigte Bericht über eine ganz aktuelle Erfahrung: Seit dem Jahr 1989 in der ersten und seit September 2002 in der zweiten Auflage wird das „Wörterbuch der Soziologie“ von der Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft in Stuttgart bei Uni-Taschenbücher (UTB) – ebenfalls in Stuttgart – verkauft. In diesem, vom Kieler Kollegen Günter Endruweit und der Konstanzer Kollegin Gisela Trommsdorf herausgegebenen Werk – das für die Gründlichkeit und Ausführlichkeit seiner Beiträge immer wieder gelobt wurde – haben mein ehemaliger Marburger Mitarbeiter Matthias Koenig und ich zwei Einträge verfasst: „Charisma“ und „Rationalität“. Die ursprünglich gedruckten 15.000 Exemplare scheinen demnächst verkauft zu sein, so dass wir im vergangenen Herbst die Anfrage der dritten, neu dazugekommenen Herausgeberin, der Dortmunder Kollegin Nicole Burzan, erhielten, ob wir nicht für die geplante dritte Auflage sowohl unsere beiden bisherigen Einträge überarbeiten, sondern auch weitere übernehmen wollten. Wir sagten zu und übernahmen den neuen Eintrag zum Lemma „Gesellschaft“; für die Zusendung der Verträge wurde um die Adressen gebeten.

Wie vereinbart, lieferten wir die drei Texte fristgerecht zum 17. Dezember 2010. Am Tag darauf kam die Bestätigung des Eingangs mit der Bitte um Nachsicht wegen des Vertrags, da der Verlag Lucius & Lucius sein gesamtes Lehrbuchprogramm an die UVK Verlagsgesellschaft in Konstanz – hervorgegangen aus dem ehemaligen Universitätsverlag Konstanz – vergeben werde. Dann kam Weihnachten, Ostern und der Sommer – und am 5. September 2011 eine Email. Darin wurde dem/r „Sehr geehrten Autor/in“ mitgeteilt, dass UVK das komplette UTB-Programm des Verlags Lucius & Lucius mit den Programmschwerpunkten Wirtschaft und Soziologie übernommen habe. Man freue sich darauf, im kommenden Jahr eine dritte Auflage des „Wörterbuchs der Soziologie“ zu veröffentlichen, bedanke sich für die Mitarbeit an diesem Projekt und sende anbei „die verbindliche Mitarbeitervereinbarung“ – zur Kenntnis!

Weitere Details nenne ich hier nicht, wer weiß, welche juristischen Fallstricke sich dann entfalten würden. Es ist aber auch ganz einfach erzählt: Für sämtliche Verwertungsrechte und Nutzungsarten an den Beiträgen erhalten wir vom Verlag zwei Freiexemplare des Werks sowie die Berechtigung, weitere Exemplare des Wörterbuchs für den eigenen Bedarf mit einem Rabatt von 30 Prozent des Ladenpreises zu beziehen sowie mit einem Rabatt von 25 Prozent andere Titel aus dem Verlagsprogramm zu kaufen! Die Beleg- und Autorenexemplare dürfen jedoch unter keinen Umständen weiterverkauft werden, das wird in § 4 der „Mitarbeitervereinbarung“ nachdrücklich festgehalten. Diese ist nicht unterschrieben, es ist auch kein Platz für die eigene Unterschrift, die „Vereinbarung“ ist ja auch „nur“ zur Kenntnis zu nehmen, das aber „verbindlich“. – Aus Solidarität mit den Herausgebern und im Interesse des gesamten Unternehmens haben wir diesem „Angebot“ zugestimmt, eine ausführliche erläuternde Erklärung des Geschäftsführers hat dabei geholfen.

Vor Kurzem hatte ich einen Antrag zu begutachten, bei dem ich mein Urteil darüber abgeben sollte, ob der Druck eines wissenschaftlichen Textes von insgesamt 200 Druckseiten aus Steuermitteln subventioniert werden soll oder nicht. Als Autor selbst kennt man ja in aller Regel eine solche Kalkulation nicht: Mit Interesse studierte ich also die für den Antrag vorgeschriebene Aufstellung. Für die Produktion der geplanten Gesamtauflage von 450 (hoffentlich verkauften) Exemplaren wurde ein Betrag von EUR 8.620,00 angesetzt, beantragt wurden insgesamt EUR 12.430,00, in denen ein Betrag von EUR 6.000,00 als „Open Access-Zuschuss“ deklariert wurden. Der geplante Ladenpreis wird mit EUR 26,90 angegeben. – Mal angenommen, der Verlag verkauft tatsächlich die 450 Exemplare, dann werden insgesamt EUR 12.105,00 in die Kassen der Buchhändler und des Verlags fließen. Nimmt man den Zuschuss von EUR 12.430,00 dazu, ergibt sich ein Gesamtbetrag von EUR 24.535,00. Der betreffende Verlag verkündet auf seiner Homepage, dass sein Programm aktuell 1.500 lieferbare Titel umfasst, zu denen jährlich etwa 80 Neuerscheinungen sowie circa 15 Neuauflagen kommen.

Natürlich weiß auch ich, dass in dieser Rechnung heute auch noch die Buchhandels- und sonstige „Mittler“-Rabatte auftauchen müssen, dass die Online-Lieferanten hohe Rabatte fordern, dass Auslieferungskosten, die Bibliotheks- und Kopierabgaben an die VG Wort und die Künstlersozialversicherung zu Buch schlagen. Und auch ich weiß, dass die Verkaufszahlen wissenschaftlicher Publikationen nicht gerade steil bergauf gehen. Dennoch, wenn man an den Marktreport des Börsenvereins denkt, sollte doch die eine oder andere Flasche Prosecco in Frankfurt möglich sein, nicht wahr? An mir jedenfalls sollte es nicht scheitern: Die Arbeit war sehr gut, der Autor ein hoffnungsvoller Nachwuchswissenschaftler, er wird sich freuen, wenn er das Buch in Händen halten wird.

Für das Gutachten, für das ich nicht nur die gesamte Arbeit, sondern auch noch eine Vielzahl dazugehöriger Unterlagen gründlich lesen musste, bekam ich – wie für alle sonstigen Gutachten, die ich in den vergangenen Jahrzehnten im Wissenschaftsbetrieb erstellt habe – kein Honorar. „Selbstverständlich“, es geht ja um die Verantwortung der Kollegenschaft und vor allem dem wissenschaftlichen Nachwuchs gegenüber. Das Selbstverständnis von uns Wissenschaftlern, dass diese Arbeit als Teil der wissenschaftlichen Selbstkontrolle zu unseren professionellen Aufgaben zählt, sollte man von Zeit zu Zeit immer wieder aufs Neue durchdenken. Früher bekam man von manchen der Fördereinrichtungen wenigstens einen schönen Sonderband oder sogar eine Druckgrafik, das hat seit Jahren anscheinend auch aufgehört.

Das Fachsprech der Buchmacher

Wer die Berichte über die Pressekonferenz zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse verfolgte, hatte den Eindruck, er befinde sich im Reich des Orwell’schen Neusprech. Bei seiner Ankündigung eines „fulminanten Aufbruchs in ein neues Zeitalter des Publizierens“ sprach der studierte Betriebswirt und Buchmessegeschäftsführer Juergen Boos vom „Ende der Linearität“ und dem Aufbruch in eine „neue Komplexität des Publizierens“. Die bisherige Verwertungskette „atomisiert sich, verzweigt sich an jeder Schnittstelle“. Statt einzelner Autoren gebe es viele gleichberechtigte Partner in „dreidimensionalen Verwertungsräumen“, für die Boos „eine neue Nomenklatur“ forderte.

Soll dieses sprachlich einigermaßen fragwürdige Gerede verschleiern, dass die Beziehungen zwischen den Produzenten jener Texte mit denen deren Verwerter Geld machen, noch komplizierter geworden sind? Es scheint endgültig Geschichte zu werden, dass man sich als (wissenschaftlicher) Autor mit „seinem“ Verleger an einen Tisch setzt und über ein gemeinsames Vorhaben spricht; dass es ein Lektorat gibt, das diesen Namen verdient; dass es eine kleine Feier gibt, wenn das Produkt des Arbeitens gedruckt vorliegt. Möglicherweise passiert das in einzelnen Fällen, aber das will man ja gar nicht (mehr) erhoffen, wenn man kein Bestseller-Autor ist.

Anstelle einer „neuen Nomenklatur“ würde mir auf jeden Fall die bisherige Terminologie von guter Leistung und guter Gegenleistung und ein einziger „Verwertungsraum“ vollkommen genügen: eine faire Beteiligung an jenen Erlösen, die Verleger durch die Verwertung meiner Arbeit erzielen. Dann möge dem Finanzamt sein Anteil an den Einkünften aus „selbständiger Arbeit“ auch leichteren Herzens gegönnt sein.

Und dann stoße ich auch gerne auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit an, – wenn’s sein muss, auch mit Prosecco, obwohl ich einen guten Winzersekt vorziehen würde. In jedem Fall: Wohl bekomm’s.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag gehört zu Dirk Kaeslers monatlich erscheinenden „Abstimmungen mit der Welt“.