Ausblick in die Leere

Guðmundur Óskarsson beleuchtet die private Seite der isländischen Bankenkrise

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 7. Oktober 2008 meldete die isländische Online-Bank Icesave Insolvenz an und zog ihr Mutterhaus, die Landsbanki, mit in den Strudel der Finanzkrise. Damit wurde einem einst profitablen Geschäft unvermittelt der Boden entzogen. Es taten sich Abgründe auf für die betrogenen Sparer in Großbritannien und den Niederlanden einerseits, andererseits für die entlassenen isländischen Mitarbeiter wie Markús und Harpa. Im Rückblick wüsste Markús tatsächlich das eigene Tun nicht anders zu beschreiben als mit einer großen Illusion unter dem Titel „Was kommen soll“. Bloß kam es anders. Die Icesave-Geschäfte waren „nicht auf die Wirklichkeit gebaut“, sie kollabierten unter dem Druck der globalen Finanzkrise.

Pump

Markús hat schon Tage vor dem 7. Oktober geahnt, dass die spekulativen Geschäfte schief gehen könnten. Und dennoch sitzt der Schock tief, als seine Abteilung dicht gemacht wird. Die väterliche Antwort am Telefon: „Vielleicht hättest du damals doch Isländisch studieren sollen“, klingt wie bitterer Hohn, wie eine Absurdität. Auf einmal war der Traum ausgeträumt, der Job weg. Wenig später trifft es auch seine Freundin Harpa. Erst noch waren sie ein Paar, das vom Glück verfolgt schien, und auf einmal leben sie ohne Zukunft. Auch für Harpa ist die Situation nicht leicht, doch sie findet immerhin einen Zwischenjob in einer Schule. Wenn sie ihrem Freund länger als nötig vorflunkert, täglich zur Arbeit zu gehen, dann nur, um diesen zu schützen.

Für Markús ist die Entlassung eine Kränkung, mit der er nur schwer zurecht kommt. Zwar versucht er seinen Mut zu behaupten, doch immer weniger lässt sich verleugnen, dass ihn Angst und Depression einholen. Er geht in den Straßen Reykjaviks spazieren, weicht seinen Kollegen von einst aus und beginnt – auf Anraten eines Freundes –, Tagebuch zu schreiben. Auf den lauten Knall folgt das leise Abgleiten, das Markús sorgsam protokolliert.

Die Beziehung hält dieser Probe nicht stand. Harpa erkennt es zuerst: „Ich habe Angst. Ich dachte immer, dass Liebe genug ist, aber jetzt habe ich nur noch Angst.“ Wobei sie sich weniger um sich selbst sorgt als um ihren Freund. Sie versucht wieder Boden unter den Füßen zu bekommen, indem sie sich um Arbeit kümmert und die täglichen Verrichtungen bewältigt. Markús dagegen schafft es nicht einmal, auf Harpas dringlichsten Wunsch hin sich endlich beim Arbeitsamt zu melden. „Mein Markús ist anscheinend eine Bank, die zusammengebrochen ist“, kommentiert Harpa die Lage schonungslos – und zieht eine Konsequenz daraus, indem sie zu ihren Eltern zurückkehrt. Sie versteht diesen Schritt nicht als Preisgabe ihrer Liebe, sie schützt sich bloß selbst gegen das Abgleiten in Düsterkeit und Resignation. Derweil frisst die Angst immer stärker Markús’ Seele auf und höhlt sie aus. „Ich weiß, was in den letzten Tagen passiert ist“, notiert er ins Tagebuch, „kann diese Ereignisse aber nicht als Teil meines Lebens bezeichnen“. Ja, ihm beginnt diese „totale Gefühllosigkeit“ zu gefallen, die ihn umfängt; dieser Mutwille, „seine marode Vergangenheit niederzureißen und alle Nägel rauszuziehen“. Gibt es da noch Hoffnung?

Guðmundur Óskarsson erzählt in seinem Roman „Bankster“ eine persönliche Privatgeschichte der globalen Finanzkrise. Der Autor selbst hatte im verhängnisvollen Jahr 2008 für die Landsbanki gejobbt. Doch die verhängnisvollen Vorgänge in der Bank kommen hier nur am Rande zur Sprache. In den literarischen Fokus rückt Óskarsson das Bild einer Gesellschaft, die auf Werte wie Profit und Kredit aufgebaut ist und sich deren Gesetzen willig ergeben hat. Markús ist ihr idealer Repräsentant, der vom Habitus des Bankers – oder wie man neuerdings sagt, des Banksters als Zusammenzug aus Gangster und Banker – nicht mehr loskommt. Die schlimmste Kränkung erfährt er, als ihm mitgeteilt wird, das Limit seiner Kreditkarte sei überschritten. „Die Worte ,Limit überschritten‘ klangen wie eine Verurteilung zum Ausschluss aus der Gesellschaft, mit unendlich tiefer Stimme verkündet.“ Damit fällt auf einmal aller Stil und alle Würde von ihm ab, die er sich Kraft des Geldes bisher erworben hat. Er steht nackt da, ängstlich und desillusioniert, er will die Abgründe gar nicht erkennen, in die er langsam hinabgleitet. Er spürt sie unmerklich. Was ist das für ein Leben, in dem einer wie er „gerade mal dreißig, ausgebildet und arbeitslos“ sein kann? Um wenigstens den Alltag zu bestreiten, ist er gezwungen, „reale“ Deals einzugehen. Gegen Bargeld verhökert er einem windigen Kunstaufkäufer seine Bilder.

Das alles ist subtil und zurückhaltend in Form von Markús’ Tagebuch erzählt. Guðmundur Óskarsson verzichtet auf jegliche Spezialeffekte, er lässt einfach seinen Erzähler die eigene Verwirrung protokollieren und je nach mentaler Verfassung die eigene Schreibweise variieren. Dass die Form dabei selber immer wieder leicht aus den Fugen gerät und vom Erzähler versuchsweise wieder eingerenkt wird, ist ein nicht geringes Verdienst des Autors – und seiner Übersetzerin Anika Lüders, die in der deutschen Version keinerlei Anlass gibt, an Markús’ behutsamem Zerfall zu zweifeln.

Ob da noch Hoffnung ist? „Das Bedauern ist eine vom Menschen geschaffene Privathölle“ hat sich Markús fest an der Innenseite der Schädeldecke eingebrannt. Vielleicht vermag die Liebe aber doch Wunder zu wirken, denn am Ende seines Tagebuches formuliert Markús eine ganze Reihe von Postkarten an seine Liebste.

Titelbild

Guðmundur Óskarsson: Bankster. Roman.
Übersetzt aus dem Isländischen von Anika Lüders.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2011.
254 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783627001773

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