Der Zauber des Inauthentischen

Thomas Meinecke verkauft uns in „Lookalikes“ zwei Romane als einen

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach drei Jahren nun also wieder ein neuer Thomas Meinecke-Roman. „Roman“ in Anführungsstrichen, möchte man schreiben, denn Meineckes Bücher kommen ohne klassische Handlung aus. Eher geht es um ein Cluster von verschieden gewichteten Figuren, die sich Gedanken um Gender, Identität und Chicago House machen. Es wird zitiert, gesampelt, mit Textbausteinen gespielt. Dieses Prinzip variieren seine Bücher seit dem 1998 erschienenen „Tomboy“. Was zunächst einmal trocken klingt, macht aber großen Spaß. Wenn man sich für die aufgeworfenen Fragen interessiert und offen ist für den Zauber des Inauthentischen, folgt man den Figuren gerne durch das Labyrinth, aus dem es keinen zwingenden Ausweg gibt. Für den Fan, den Rezensenten eingeschlossen, hat das hypnotische Qualität.

Und so läuft ein wesentlicher Teil des Buches denn auch (fast) wie gehabt. Hauptsächlich in Düsseldorf lebt eine Gruppe von Figuren, die Josephine Baker, Justin Timberlake oder Serge Gainsbourg heißen. Ach ja, Britney Spears kommt auch vor, aber wir erfahren später, dass ihr Name eigentlich Günter ist und sie andere darin unterrichtet, wie man als Britney auftritt. Es handelt sich, wie man schnell merkt, allerdings nicht um die „echten“ Celebrities, sondern um deren Doppelgänger – „Lookalikes“ eben. Wobei sie nicht nur wie jene aussehen, sondern sich als Mitglieder eines Jacques Lacan-Arbeitskreises auch noch Gedanken um ihr Verhältnis zu den Dargestellten machen. Sie gehen deren Biografie nach, hören deren Musik, behalten aber stets die intellektuelle Distanz zu dem, was sie tun. Soweit und so spannend wie gehabt.

Mitten in diesen Roman hinein platzt aber plötzlich ein zweiter, und er kündigt sich an mit Sätzen wie: „Thomas Meinecke ist jetzt eine Romanfigur.“ Hineinplatzen ist wirklich das passende Wort, denn dieser Teil des Ganzen war so nicht geplant. Mitten in der Arbeit am Roman erhielt Meinecke eine Einladung ins Goethe-Institut im brasilianischen Salvador de Bahia, wo er sich intensiv mit Candomblé beschäftigte, der – inzwischen wieder zugelassenen – Religion der afroamerikanischen Sklaven. Die Figur „Thomas Meinecke“ erscheint dabei zwar in der dritten Person, und obwohl sie sich mit der Performativität der Rituale, der Geschlechtsidentität der von den Göttern Besessenen beschäftigt, macht sich ein unterschwelliges Streben nach so etwas wie „Authentizität“ breit, die die anderen Teile des Romans – und die meisten Thomas Meinecke-Texte überhaupt gerade nicht haben. So vorsichtig möchte man schreiben, wenn man weiß, dass Meinecke gerade ein Autor der Oberfläche, des Vermittelten ist, der mit dem „Wahren“ und „Echten“ gewöhnlich nicht viel am Hut hat. Irgendwie scheint dem Autor Meinecke die Figur „Meinecke“ auch nicht ganz geheuer zu sein – also wird sie wieder durch Texte abgesichert. Denn über Salvador de Bahia und die Candomblé-Tempel gibt es passenderweise einiges von Hubert Fichte, der dreimal nach Brasilien gereist war. So wird die Auseinandersetzung mit Candomblé gleich zu einer mit Fichte und dessen Selbstinszenierung. Während Meinecke den eigenen Namen verwendet, arbeitet Fichte meist mit dem alter ego Jäcki, wodurch Distanz zwischen Autor und Figur erzeugt wird – nicht zuletzt ein Modell, an dem sich der Autor abarbeiten kann. Thomas Meinecke scheint sich aber letztlich noch nicht ganz sicher, wie viel Nähe oder Distanz zu „Thomas Meinecke“ er braucht oder wünscht. „Genauso platt wie die anderen Figuren“, wie Meinecke im „Zeit“-Interview behauptet, scheint er denn doch nicht zu sein. Aber wer weiß?

Obwohl beide Stränge durch einzelne Links vernetzt sind (wie durch die Reise „Josephine Bakers“ nach Bahia), laufen sie doch meist unverbunden nebeneinander her. Eigentlich könnte man das für einen Nachteil halten, aber in der Praxis ergibt sich eine reizvolle Spannung. Man darf gespannt sein, wie es denn weitergeht mit „Thomas Meinecke“, ob er ein Dauergast im Œuvre seines Erfinders bleiben und sich weiter entwickeln wird – oder ob der nächste Roman (im Herbst 2014?) wieder etwas ganz anderes bringen wird. Der Rezensent möchte jedenfalls das Buch hochhalten wie Elke Heidenreich und dazu „Lesen“ ins imaginäre TV-Studio rufen!

PS: Wie wäre es denn eigentlich mit „Lookalikes“ 2.0 als digitaler Edition oder iPhone-App? Das wäre doch nur konsequent: Alle Textbausteine werden als Einzeldateien gespeichert, aus denen sich jeder seinen eigenen Roman-Remix bauen kann. Aber ob da Suhrkamp mitziehen würde?

Titelbild

Thomas Meinecke: Lookalikes. Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
393 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783518422458

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