Alles „schiskojenno“?

Jens Wonnebergers Roman „Sture Hunde“ erzählt von der Rückkehr in eine verdrängte Vergangenheit und von einer ungewissen Zukunft

Von Frank RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 1960 geborene, sächsische Autor Jens Wonneberger beschreibt in seinem Roman die fremd-vertraute Dorfidylle vergangener Zeiten. Man begibt sich mit dem Protagonisten auf Spurensuche, erlebt das Landleben in der Nachwendezeit mit den Augen eines nachdenklichen, nach Lösungen suchenden, illusionslosen Zeitzeugen.

Martin Rohrbach kehrt zum Begräbnis seines Vaters aus der Großstadt nach Ahornstein zurück. Entgegen aller Vorsätze und Mutmaßungen der Dorfbewohner entschließt er sich, im Haus seines Vaters auf dem Hügel zu bleiben. „Eine vorübergehende Mischung aus Überdruss und Sehnsucht“ lässt ihn seinen sicheren Arbeitsplatz in Frage stellen und fortan die Kündigung seiner beruflichen Existenz in Betracht ziehen. Das Haus, wie es alle nur nennen, war und ist ein verwunschener „Ort für Aussätzige“, fernab der lokalen Infrastruktur. Martin fügt sich nur schwer in die ihm so wohlbekannte Dorfgemeinschaft ein. Mit (n)ostalgischen Gefühlen trifft er auf die Dagebliebenen: seine Jugendliebe Linda, die von seinem ewigen Freund und Rivalen Gregor bereits wieder geschieden ist, die Zechkumpanen vergangener Zeiten, die in Gregors Trinkhalle allabendlich einkehren, die Väter, die Vergangenes nicht vergessen können, den alten Musiklehrer und den progressiven Bürgermeister, der in der Natur und dem Autobahnanschluss die Ahornsteiner Standortvorteile sieht. „Und natürlich Wellness. Wellness müsse unbedingt sein“.

Eigentlich hätte er dort in Ruhe sein Leben aufräumen können, Abstand von seiner Arbeit, dem Chef und Maria, seiner Kollegin, gewinnen können. Aber ein nie verjährter Verrat, undurchsichtige alte Freundschaften und seine Gefühle für Linda fordern Antworten und Entscheidungen. Und dann ist da noch der Feldsteinhügel vor dem Haus, unter dem das halbe Dorf eine Kiste, eine Truhe, ja einen Schatz vermutet – nur Martin ahnt nichts davon.

Die Handlung des Romans mag nicht wirklich mitreißen, dafür lässt Wonneberger Martin die Umgebung mit allen Sinnen wahrnehmen: Zustand, Farbe und Klang des Hauses sind rostig, es riecht „nach abgestandenem Leben“, draußen pfeift der Wind, der wie ein roter Faden durch das Buch weht, Sequenzen und Kapitel einleitet und abschließt. Gekonnt zurückhaltend sind die politisch-wirtschaftlichen Veränderungen der ehemaligen DDR eingefügt, erscheinen wie Selbstverständlichkeiten, ohne Klischees zu bedienen: Die Schusterwerkstatt ist zur Geschenke-Boutique, der Schuttabladeplatz zur Mülldeponie und der Gasthof „Zur Eiche“ zur Trinkhalle geworden. Die LPG Morgenröte ist ebenso Geschichte, wie die Schweinezuchtanlage und die Westtelefonate bei Martins Vater, der damals den einzigen diskreten Telefonanschluss besaß. Auf dem Dorfplatz gibt es Parkbuchten, einen Unterflurcontainer für Papier und einen Hundekottütenspender. Was gleich geblieben ist, ist der Wind, die Menschen und die herrlich banalen Dialoge in der Trinkhalle, wo man sich das Leben „nach ein paar Bier erträglich getrunken hat“. Für Dorfkneipe wie Kollegenstammtisch in der Stadt gilt: „die Stimmung ist besser als die Lage“. „Die Leute schimpfen gern über die Auswirkungen, solange sie die Ursachen nicht erwähnen müssen“, meint Martin und trifft damit den Nagel auf den Kopf.

Warum aber kehrt der Protagonist nach Ahornstein zurück? Ist es, „um diesen Bann der Erinnerungen aufzulösen, der kindlichen Unfassbarkeit der Dinge nach Jahren nun eine logische Erklärung oder wenigstens eine heitere Entsprechung entgegenzusetzen“? Wonneberger arbeitet nicht nur viele dieser Geschichtchen detailliert auf, er beschreibt mit ebensolchem Gespür die moderne (Großstadt-)Gesellschaft: „Die Chefs waren meist Idioten, die Neuen hatten keine Ahnung, die Bürokratie war ein einziges Hemmnis und natürlich fehlte es immer an Geld“. „Fische waren sie, eingesperrt in dieses Institutsaquarium, glitschige Fische, die mit ihren Mäulern gegen die Scheiben stießen und unentwegt zu sprechen versuchten und doch nur Luftblasen hervorbrachten.“

Man verliert sich gerne in diesem Text, in dem der Mohn zum „Blutfleck im Feld“ wird und das Auflösen einer Tablette im Wasserglas oder ein einziger Blick zum Ereignis werden. Was im Film Kameraeinstellungen oder Hintergrundmusik leisten, dafür setzt Wonneberger Wörter ein: „Sie sieht ihn an, erwartungsvoll und amüsiert wie eine Mutter, die ihrem Kind eine Frage stellt, obwohl sie die Antwort längst weiß, und deren Lippen sich schon stumm bewegen, während das Kind noch überlegt.“ Im sprachlich versierten, metaphorischen Stil des Autors besteht der Lesegenuss.

Titelbild

Jens Wonneberger: Sture Hunde. Roman.
Steidl Verlag, Göttingen 2011.
233 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783869303598

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