„Schwamm“ vs. „Hundefreund“

Der Band „Karl Kraus – Franz Werfel. Eine Dokumentation“ widmet sich dem Verhältnis zwischen Karl Kraus und Franz Werfel. Wie konnte aus der freundschaftlichen Beziehung eine erbitterte Feindschaft werden?

Von Max BeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Max Beck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den bekanntesten Auseinandersetzungen von Karl Kraus mit seinen Zeitgenossen gehören sicherlich die mit dem Theaterkritiker Alfred Kerr, ebenso wie jene mit Maximilian Harden und Imre Békessy. Auch die Polemiken gegen das Feuilletonistische, als dessen Verursacher Kraus Heinrich Heine ausmachte, wurden breit rezipiert. Zu den weniger bekannten Kontroversen gehört jedoch die mit Franz Werfel. Im Göttinger Wallstein Verlag ist nun ein Band erschienen, der das Verhältnis von Kraus und Werfel dokumentiert und kommentiert.

Zunächst ist das Verhältnis zwischen beiden durchaus freundschaftlich geprägt. Vermittelt durch Willy Haas beginnt der – zu dem Zeitpunkt nur schriftliche – Kontakt Werfels mit Kraus. 1911 erscheinen die ersten Gedichte von Werfel in der „Fackel“, weitere folgen. Werfel ist ergebener Bewunderer von Kraus, die frühen Briefe legen davon Zeugnis ab: „Nein, diese beiden letzten Fackeln!! […] Gibt es noch Steigerungen? Werden sie für die Menschen noch erträglich sein. Sind die Pharaonenwunder noch Wunder?“

Doch 1913 kommt es zum Bruch. Kraus empfindet tiefe Zuneigung für Sidonie Nádherny von Borutin, die sich bei einer Theater-Aufführung geringschätzig gegenüber Werfel verhält und ihn als „Judenbub“ bezeichnet, was sie später auch selber eingesteht. Werfel kolportiert daraufhin Geschichten über Nádherny. Als Kraus von den Gerüchten erfährt, schlägt das bisher freundschaftliche Verhältnis – zunächst nur seitens Kraus – in erbitterte Feindschaft um. Doch diese Entzweiung steht bei Kraus für mehr, es ist im Endeffekt ein Bruch mit dem gesamten Prager Dichterkreis.

Werfel versucht zunächst noch, das Verhältnis mit Kraus zu retten, bleibt damit jedoch erfolglos. Mehrfach schreibt er ihm Briefe. Doch Kraus ist alles andere als an einer Aussöhnung interessiert. Er schreibt an Nádherny: „Der Brief [von Werfel; M. B.] ist die Empörung eines Schwammes, dem man zugemuthet hat, daß er Wasser durchlasse. Zu widerlich!“ Werfel unterschätzt, was im Band anhand zahlreicher Beispiele belegt ist, Kraus’ kompromisslose Haltung und Konsequenz, was ihn immer wieder zu Fehleinschätzungen der möglichen Reaktionen von Kraus verleitet und ihn dazu bringt, eine aussichtslose Versöhnung mit Kraus anzustreben.

Doch die nunmehr zur Verachtung gewordene Sicht auf Werfel äußert sich nicht nur in privaten Briefen. 1914 polemisiert Kraus in der „Fackel“ gegen den „Kindheitsvirtuosen“ Werfel. Der versucht weiterhin, in seinem Verhältnis zu Kraus wieder an die alten Zeiten anzuknüpfen. Er bittet Kraus mehrfach um Entschuldigung, Kraus bleibt jedoch bei seiner ablehnenden Haltung.

Aber auch Werfel polemisiert nun öffentlich gegen Kraus. Er schreibt unter anderem die – zu Lebzeiten unveröffentlichte – „Geschichte eines Hundefreunds“ sowie in der „Neuen Rundschau“ ein Gedicht mit dem Titel „Einem Denker“, die beide eindeutig auf Kraus gemünzt sind.

Walter Benjamin betonte bereits 1931 die Rolle des Mimischen bei Karl Kraus, der „in der Glosse nachmacht“ und „in der Polemik Fratzen schneidet“: „Die Zitate der ,Fackel’ sind mehr als Belegstellen: Requisiten von mimischen Entlarvungen durch den Zitierenden.“ Jenes Mimen ist auch in der Auseinandersetzung mit Werfel Teil der Kritik. Das Zitieren und Mimen Werfels erfolgt, um das „Brecheisen des Hasses“ in den „feinsten Fugen“ (Benjamin) von Werfels Haltung anzusetzen.

In den zahlreichen Polemiken gegen Werfel in der „Fackel“ stehen meist die gleichen Vorwürfe im Zentrum, nämlich Werfels epigonale Lyrik und seine unkritische Positionierung im Ersten Weltkrieg. Kraus, erbitterter Kriegsgegner, der sich unter anderem mit seinem Antikriegsdrama „Die letzten Tage der Menschheit“ und dem Aufsatz „In dieser großen Zeit“ klar gegen den Krieg und die dahinterstehende Kriegsphrasen produzierende Presse positionierte, ist Werfels Haltung ein Gräuel.

Selbst das letzte Heft der „Fackel“, erschienen im Jahr 1936, widmet sich noch einmal in aller Ausführlichkeit Franz Werfel. Dieser ist zu dieser Zeit bereits ein bekannter Schriftsteller und widmet sich nur noch selten seinem Rivalen Kraus.

Der von Eva Willms und Christian Wagenknecht – Herausgeber der „Schriften“ von Karl Kraus – zusammengestellte, editierte und kommentierte Band ist nicht nur für Kraus-Belesene als Dokumentation eines vermeintlichen literaturhistorischen Nebenschauplatzes zu empfehlen. Er eignet sich ebenso als ungewöhnlicher Einstieg in die Kraus-Lektüre, um das Kraus’sche Verständnis von Polemik kennen zu lernen. Gerade durch die scheinbare Nichtigkeit des Anlasses der Auseinandersetzung wird die Arbeitsweise und Konsequenz, die aus Kraus’ Sprachverständnis folgt, deutlich. Kein Vergleich ist die Fehde zu der Langeweile heutiger „Feuilletondebatten“, die sich meist durch mäßige polemische Schlagkraft auszeichnen.

Die jeweiligen Briefe und Beiträge von Werfel und Kraus sind im Band chronologisch geordnet, kommentiert und mit erklärenden Fußnoten versehen, so dass sich die jeweiligen Zusammenhänge leicht erschließen. Dass Wagenkecht und Willms bei Kraus einen „pawlowschen Reflex“ diagnostizieren, schmälert allerdings die ansonsten fundierte Kommentierung. Auch wenn der „pawlowsche Reflex“ eine Metapher sein mag: Derlei Aussagen naturalisieren Kraus’ Polemik doch als reinen Reflex, was weder einem vernünftigen Kritikbegriff noch der Kraus’schen Polemik gerecht wird. Denn diese ist mitnichten – und mag man sie auch für noch so „unfair“ halten – ein konditioniertes Verhalten.

Titelbild

Karl Kraus / Franz Werfel: Karl Kraus - Franz Werfel. Eine Dokumentation.
Herausgegeben von Christian Wagenknecht und Eva Willms.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
342 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783835309838

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