Wissenschaft als Mittel im Statuskampf

„Akademischer Kapitalismus“: Richard Münch analysiert Veränderungen an den Universitäten

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Idealwelt der Universitätsreformer ist recht überschaubar: Mittels einer Handvoll von Kriterien wird die Leistung von Wissenschaftlern und ganzen Institutionen gemessen. Die besten werden durch Geld und Ehre belohnt; doch auch die Verlierer verbessern sich, weil sie endlich dem Wettbewerb ausgesetzt sind und sich bemühen, bei der nächsten Überprüfung besser abzuschneiden.

Die Öffentlichkeit bekommt die Ergebnisse in Form von Ranglisten präsentiert. Zum einen bedeutet dies eine Form der Rechenschaft für die investierten Steuermittel. Zum anderen verwandeln sich die Studierenden in Kunden, die durch eine solche Marktübersicht das beste Angebot auswählen können. Die Logik funktioniert sogar, wenn – marktwirtschaftlich gesprochen – die Nachfrage nach Studienplätzen das Angebot übersteigt. Dann wählen eben die besten Institute die besten Bewerber aus. Wenn die Elite bei der Elite lernt, dann – so will es jedenfalls die Theorie – ist wissenschaftliche Exzellenz garantiert.

Ganz ohne weiteres wird dies aber nicht geglaubt. Gerade in den Universitäten gibt es allerhand Gemurre. Nun gut, könnte man sagen: Es gebe eben auch Verlierer, und in diesem Fall handele es sich um schlechte Verlierer. Oder: Das System sei in Deutschland neu, noch nicht ganz ausgereift, aber die Mängel werde man sicherlich bald überwinden.

Die Frage ist aber doch, ob es um Mängel im neuen System geht oder ob das System selbst falsch ist. Der Bamberger Soziologe Richard Münch setzt sich in seinem neuen Buch eingehend mit dem „akademischen Kapitalismus“, den er im Kommen sieht, auseinander. Er analysiert die wichtigsten Elemente der Reformen und fragt nach den Auswirkungen auf die Wissenschaft.

Zentral in seinen Untersuchungen ist die Rolle der Rankings. Will man eine bisher weitgehend egalitäre Universitätslandschaft hierarchisieren, so muss man dafür Kriterien finden. Das vielbeachtete Shanghai-Ranking der weltweit 500 sichtbarsten Universitäten wertet vor allem Nobelpreisträger und Aufsätze in vom Science Citation Index gelisteten Fachzeitschriften. Erstere lassen sich nicht ohne weiteres herbeizaubern, bei letzteren kann man schon eher etwas tun. Münch weist nach, wie mit dem Journalartikel eine einzige Form wissenschaftlichen Arbeitens alles andere in der Wertung verdrängt – Monografien, Handbuchartikel, Rezensionen und alles, was wissenschaftliche Ergebnisse in die außeruniversitäre Öffentlichkeit holt.

Das hat Folgen, wie Münch anhand seines Fachs, der Soziologie, aufweist. Der Schwerpunkt auf einem wissenschaftlichen Genre beeinflusst die Wahl von Thema und Methode. Die meistzitierten und daher gelisteten Zeitschriften befinden sich im englischsprachigen Raum. Wer für eine große Sprachgemeinschaft schreibt, bringt es zwangsläufig auf mehr Zitationen. Nunja, könnte man fragen, weshalb reichen deutsche Soziologen nicht einfach englischsprachige Artikel bei amerikanischen Zeitschriften ein? Tatsächlich tun sie es, vermehrt sogar. Doch geht das auf Kosten von Untersuchungen der deutschen Gesellschaft, die in den USA wenig interessieren. Spezifisch europäische Theoriestränge, die auf das Desinteresse amerikanischer Gutachter stoßen könnten, sterben ab.

Am Ende steht nicht Wettbewerb, sondern viel vom inhaltlich Gleichen. Da renommierte Zeitschriften viele Aufsätze bekommen und viele davon ablehnen, ist die Qualität zuverlässig. Doch ist jeder Text mit Blick auf die möglichen Gutachter verfasst und wird vermutlich jedes Risiko vermieden. Wissenschaftliche Durchbrüche sind auf diese Weise kaum zu erwarten.

Jedenfalls wird, wer dieses Spiel mitspielt, durch einen guten Platz im Ranking und bei der Mittelvergabe belohnt. Oder doch nicht? Münchs weitere Untersuchungen wecken Zweifel. Detailliert analysiert er die wissenschaftliche Produktivität von Instituten. Das ist schwieriger als es klingt, und tatsächlich machen es sich diejenigen, die Ranglisten publizieren, in der Regel zu einfach.

Große und gut ausgestattete Institutionen publizieren mehr Aufsätze als kleine und arme – um das zu wissen, genügt ein wenig Alltagserfahrung. Tatsächlich kommen viele mit allerhand Aufwand erstellte Rankings nicht über die ein wenig ausgeschmückte Nacherzählung dieser Trivialität hinaus. Die Produktivität ergibt sich hingegen erst aus dem Verhältnis von Mitteleinsatz und Ergebnis. Hier schneiden bei Münch die mittelgroßen Institute am besten ab; die kleinen leiden an mangelnder Ausstattung und bleiben deshalb schwach, und die großen verbrauchen möglicherweise zu viel Aufwand für die eigene Verwaltung.

Die Konzentration auf wenige große Einrichtungen, wie sie die Exzellenzinitiative vorantreibt, bedeutet also tatsächlich eine Minderung der wissenschaftlichen Produktivität. Um Vielfalt und Wettbewerb zu fördern, wäre es viel sinnvoller, die für eine ergiebige Arbeit notwendige Mindestausstattung an möglichst vielen Standorten herzustellen.

Problematisch ist aber schon der Vergleich von Standorten statt von Wissenschaftlern. Für einzelne Institute würden sich ganz andere Resultate ergeben, ließe man ein oder zwei besonders schreibfreudige Forscher weg. Die angeblich fauleren Professoren – oder vielleicht auch diejenigen, die sich in der Lehre engagieren oder Bücher statt Aufsätze fürs peer review schreiben – profitieren vom Erfolg der Stars. Das ist nicht gerecht, aber systemkonform: Tatsächlich treten nun nicht mehr einzelne Forscher in einen Austausch ein, sondern ganze Fachbereiche oder Universitäten in einen Wettbewerb. Ins Zentrum rückt die Institution, die Person hingegen wird zum Mittel, abrechenbare Leistungen zu erbringen.

Dies nun führt unvermeidlich zu Misstrauen: Will nicht vielleicht dieser Professor oder jene Professorin den eigenen Steckenpferden nachgehen? Die durch die Reformen in fast allen Bundesländern gestärkten Hochschulleitungen und die fast flächendeckend installierten Hochschulräte wachen darüber, dass nicht etwa Kreativität in fürs Ranking irrelevante Nebenbereiche investiert wird. Misstrauen aber führt meist zur Anpassung, jedenfalls dann, wenn systemkonformes Verhalten belohnt wird. Anpassung aber bedeutet eine Verschiebung der Verhaltensmotivation.

Zuvor waren Institution und Geld im Idealfall nur Mittel, der wissenschaftliche Fortschritt stand als Zweck im Mittelpunkt. Nun kehrt sich das Verhältnis um: Es wird diejenige Wissenschaft betrieben, die Geld und Mittel einbringt. Natürlich ließen sich auch früher schon Erkenntnisstreben und Statuskämpfe nicht völlig trennen, natürlich gibt es auch im neuen System noch ein Interesse an der Sache. Doch betreiben die nun erfolgreichen Wissenschaftler ein Gaming the System: Produziert wird, was dem Status dient.

Das führt gerade nicht zu Wettbewerb: quantitativ nicht, weil sich die Mittel immer mehr an wenigen, erfolgreichen Standorten konzentrieren, und qualitativ, weil sich alle Beteiligten am Mainstream, der positive Gutachten verspricht, orientieren. Die Hierarchien verfestigen sich, gerade weil es immer mehr vom Immergleichen gibt. Zum einzigen Unterscheidungsmerkmal wird die Institution, an der Wissenschaft betrieben wird.

Das lenkt zunehmend Geldmittel in Marketing und Repräsentation. Die amerikanischen Spitzenuniversitäten sind auf diesem Weg schon sehr weit, und ihren exorbitanten Studiengebühren entspricht sicherlich nicht ein entsprechendes Vielfaches der Ausbildungsqualität verglichen mit anderen Institutionen. Vielmehr zahlen die Kunden für den Ruf der Universitäten, in der Hoffnung, ihn später ökonomisch verwerten zu können.

Diese Entwicklungen zeichnet Münch mit guten Argumenten und gestützt auf reiches Datenmaterial nach. Freilich hätte der wichtige Inhalt eine bessere Form der Darbietung verdient gehabt. Allzu deutlich ist noch, dass das Buch aus verschiedenen Aufsätzen zusammengestellt wurde. Es stören zahlreiche Wiederholungen, und ohne Probleme hätte sich mindestens ein Drittel des Textes streichen lassen.

Methodisch ist das Buch keineswegs konsistent. Zielt es, laut Einleitung, auf die „Konstruktion von Idealtypen“, so hebt Münch in späteren Kapiteln oft genug doch wieder auf das Verhältnis von Reformkräften und beharrenden Gegenkräften ab. Wahrscheinlich ist das auch erkenntnisfördernder. Sein eindrücklichstes Beispiel sind die teilweise kaum studierbaren neuen BA-Studiengänge, die er als Kompromisslösung deutet. Unter zeitlichem Gesichtspunkt haben sich die Reformer durchgesetzt, die möglichst viele Studierende ohne eigentlich wissenschaftliche Qualifikation in möglichst kurzer Zeit durchschleusen möchten – inhaltlich aber hat die berufsständische Professorenschaft den Großteil des Stoffes aus den alten Prüfungsordnungen gerettet, jetzt eben auf sechs Semester komprimiert.

Nur punktuell diskutiert Münch, was seinem Buch den Titel gibt: inwiefern es sich um einen „akademischen Kapitalismus“ handelt. Hier ist der Punkt, wo weitere Überlegungen produktiv ansetzten könnten. Sicherlich gibt keine notwendige Verbindung zwischen dem Kapitalismus überhaupt und dem gegenwärtigen Angriff auf die Hochschulen. Wilhelm von Humboldt etwa, wirtschafts- und sozialpolitisch ein überzeugter Liberaler, hat in Preußen vor 200 Jahren seine Hochschulreform in einer Phase der Marktöffnung durchgeführt und damit jenen Wissenschaftlertyp befördert, den Münch jetzt vom Aussterben bedroht sieht.

Gehört der „akademische Kapitalismus“ also in eine ganz bestimmte Phase des ökonomischen Kapitalismus? Münch deutet das an, indem er die Veränderungen an den Universitäten mit dem Siegeszug des New Public Management begründet. Tatsächlich setzt sich betriebswirtschaftliches Denken auch bei Funktionen des Staates immer mehr durch, und institutionsanalytisch ist Münchs Argument richtig, dass Politiker, die dem Hauptstrom folgen, damit die sicherste Option wählen. Doch ist damit die Frage nicht beantwortet, wann und warum der Strom gerade in diese Richtung zu fließen begonnen hat.

Ist also „akademischer Kapitalismus“ nur eine Metapher? Zumindest macht Münch deutlich, dass es zu einem funktionierenden Wettbewerb gerade nicht kommt, sondern zu einer Monopolisierung. Das Angebot wird dabei immer weiter eingeschränkt, analog zur Nachfrage, die auf dem neugeschaffenen Bildungsmarkt von zwei Seiten kommt. Die Studierenden sind immer weniger an einer fachlichen Ausbildung mit einem Gebrauchswert interessiert und immer mehr am Tauschwert, den der Abschluss an einer angesehenen Institution darstellt; der Staat als Hauptgeldgeber orientiert sich an einem stets verengten Katalog von Kriterien, die angeblich Leistung messen.

So gesehen, lässt sich – über Münch hinaus – der akademische Kapitalismus als ein Beitrag zur Selbstabschaffung des gesamten Systems begreifen. Die Marktwirtschaft funktionierte auch deshalb, weil bestimmte Bereiche ihrer Funktionslogik entzogen waren. Nun gerät, dem Gerede von der „Wissensgesellschaft“ zum Hohn, der Inhalt der Wissenschaften zum bloßen Anhängsel der institutionellen Statuskämpfe. Dies vollzieht sich nicht, indem ein Markt den Staat ersetzt, sondern indem der Staat durch ständige Überprüfung von Nebensächlichkeiten Markt nachspielen lässt. Interessant wäre die Frage, inwieweit dies repräsentativ für eine neue und vielleicht letzte Entwicklungsstufe des Kapitalismus ist.

Titelbild

Richard Münch: Akademischer Kapitalismus. Über die politische Ökonomie der Hochschulreform.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
458 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783518126332

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