Stille der Worte

Am 1. November 2011 wurde die österreichische Schriftstellerin Ilse Aichinger 90 Jahre alt. Anlässlich dieses Ereignisses ist nun ein Band mit Interviews erschienen. Er gibt einen Überblick über Denken und Schreiben dieser bedeutenden Autorin

Von Michael EschmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Eschmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sprache war für sie schon als Jugendliche ein Lebensmittel im wörtlichen Sinn. Mit Worten wehrte sie sich gegen eine kalte, biologische Existenz, die in Wirklichkeit nur eine Zumutung für jeden Menschen sei. Eine Revolte gegen die Biologie. „Weil die Biologie ja ein Überfall ist auf die Existenz. Mein Zorn auf die Biologie ist alt. Ich habe schon als Kind erfahren, dass es kein Vorteil ist, da zu sein. Es ist ein schwerer Nachteil.“

Selbst Atmen ist ein Akt der Unfreiheit. Nur Sprache ist anders: Ihr ambivalenter Charakter von Banalität und Offenbarung, verlangt einen bedachten und sparsamen Umgang. Sie alleine ist der Schlüssel zum Verständnis des Daseins. „Schreiben heißt sterben lernen“. Aichingers literarisches Werk ist klein und übersichtlich geblieben. Nur ein einziger, teils autobiografischer Roman „Die größere Hoffnung“ ist im Jahr 1948 erschienen. Ein erster Erfolg. Danach kamen immer wieder lange Schreibpausen. Es entstanden aber auch Texte, die eigentlich gesprochen werden müssen: Kurzprosa, Hörspiele und Gedichte.

Jetzt ist Sprache nicht nur Werkzeug, sondern eine selbständige, unabhängige Form der Ästhetik. Diese Klangfarben hat sie einmal mit Musik verglichen. Letztlich kann auch diese nur gehört, jedoch nicht unbedingt verstanden werden. Grund ist die „Metaphysik“ der Worte. In Dichtung offenbart sie sich und wird spürbar. Jeder von uns hat eine eigene, unverwechselbare Sprache, die erst mit dem Tod wieder verschwindet. „Sprache ist privat, sie betrifft den Einzelnen, jeden Einzelnen“, schreibt Aichinger.

Die vorliegenden Interviews sind eine interessante Zeitreise durch dreiundfünfzig (Lebens-)Jahre. Sie machen neugierig. Dem Text eine CD mit ausgewählten Gesprächspassagen aus vier Rundfunkinterviews beizulegen, war ein kluger Schachzug des Verlages. Der Leser wird dadurch automatisch auch zum Hörer: Man legt beides, Buch und CD, nur ungern wieder aus der Hand. Und zum Thema Abschied sagte sie einmal: „Vielleicht erkennen wir einander nur richtig in einem Licht von Abschied, und vieles, das wir sonst vergeuden würden, erscheint uns darin kostbar“.

Titelbild

Ilse Aichinger: Es muss gar nichts bleiben. Interviews 1952-2005.
Edition Korrespondenzen, Wien 2011.
250 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783902113795

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