Unsere Total-Kalamität

Ernst Jüngers Briefwechsel mit Carl Schmitt

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Briefwechsel der beiden Rechtsintellektuellen Ernst Jünger und Carl Schmitt erstreckt sich über 53 Jahre - vom 14. Juli 1930 bis zum 17. Juli 1983. Gleichwohl fällt es schwer, ihn als Dokument einer Freundschaft zu lesen. Zu unterschiedlich sind die persönlichen Haltungen, Ziele und Überzeugungen.

Carl Schmitt gehörte zu den bedeutendsten Staatsrechtlern der Weimarer Republik. Seit seiner Schrift "Die Diktatur" (1921) plädierte er für eine Relativierung des positiven Rechts. In Carl Schmitts Staatstheorie entschied der Souverän - nicht mehr das Recht - über die Ordnung: "Im Ausnahmefall suspendiert der Staat das Recht". Die Legitimität des Parlamentarismus sah er lediglich in der technischen Effizienz der Führerauslese begründet. Mit seiner Rechtsauffassung wurde er zum Kronjuristen des "totalen" Staats, wie er 1933 auftrat. Anfang der 30-er Jahre entwickelte Schmitt starken Ehrgeiz, politischen Einfluss in Berlin zu gewinnen. Er vertrat nach dem sogenannten "Preußenschlag", der Absetzung der Regierung Braun im Juli 1932, die Regierung Papen vor dem Staatsgerichtshof. Zwei Jahre später rechtfertigte er die Morde infolge des "Röhm-Putsches" als "Staatsnotwehr" und leistete der nationalsozialistischen Rassenlehre publizistisch-juristische Schützenhilfe. Er erhoffte sich eine Schlüsselposition im Vorzimmer der Macht, doch wurde er immer wieder marginalisiert und 1936 schließlich denunziert: Schmitt erhielt aufgrund ideologischer Unzuverlässigkeit ein bis 1941 geltendes Reiseverbot.

Ernst Jünger war in den 20-er Jahren ein Wortführer des "neuen Nationalismus", entfernte sich aber geistig und räumlich von den Zentren der neuen Macht. Er lehnte einen Sitz im Reichstag ab und zog im Dezember 1933 von Berlin nach Goslar. Er verzichtete auf eine Mitgliedschaft in der nationalsozialistisch ausgerichteten Dichterakademie, und er verbot dem "Völkischen Beobachter", aus seinen Büchern Texte nachzudrucken. Kurz, er wollte in diesem neuen Staat, ganz im Gegensatz zu Carl Schmitt, nichts werden und nichts erreichen und er sah Schmitts Engagement für die Nazis als folgenschweren Fehler an. So kam es bereits 1934 zu einem heftigen Streit. Jünger konstatierte in seinem Brief an Schmitt vom 11.11.1934 die "wachsende Bösartigkeit des Gesprächs".

Trotz ihrer Differenzen hielten sie daran fest, gelegentlich Briefe und Bücher auszutauschen und bezogen auch ihre Familien in diese ›Freundschaft‹ mit ein. Carl Schmitt wurde Pate von Jüngers zweitgeborenen Sohn Carl Alexander, Schmitts Frau und Tochter Anima waren bisweilen Gast bei Familie Jünger in Kirchhorst. Der von Helmuth Kiesel reich kommentierte Briefwechsel gibt nun Einblick in einen seltsam steifen Pfauentanz zweier Intellektueller: Sie unterhalten sich über Philosophie, Juristerei und Medizin (und leider auch Theologie), über Politik und Literatur, Astrologie und Mythologie und das Ende der Geschichte. "Heiliges Geschwätz", möchte man ausrufen, wenn die beiden - durchaus mit Klarheit und Brillanz begabten Männer - geistige Dunkelmännerei betreiben und über den Ursprung des Freimaurertums aus der Rosenkreuzerei spekulieren. Oder wenn sie in opaken Redeformen über die politische Lage räsonnieren.

Ernst Jünger und Carl Schmitt teilten die Überzeugung, dass alle Politik einen "metaphysischen Kern" habe; aus dieser Erkenntnis entstehen Teile ihrer beiden Œuvres: "Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre", so Carl Schmitt, "sind säkularisierte theologische Begriffe". Das Dilemma dieser "politischen Theologie" sei, dass sie Macht weder ethisch noch kulturell oder ideologisch fundieren könne. Der Begriff des Politischen ist daher nur als Verhältnis von "Freund" und "Feind" definierbar. Das Freund-Feind-Denken aber ist bei beiden Autoren auf je unterschiedliche Weise ausgeprägt. Beide lehnen soziologische oder psychologische Ursachenforschung zur Konfliktbewältigung ab. Die sehr begrenzte, mehr intuitive Erkennbarkeit der Welt, etwa durch die Erfahrung von Macht, führt bei Jünger zur Ästhetisierung der Politik und zu einer eigenen Staatstheorie ("Der Arbeiter"), die einen neuen Menschentypus definiert, der als technisches Instrument politischer Macht herangezüchtet wird. Bei Carl Schmitt führt sie zu einer Staatsform, in der der "Souverän" die letztbegründende Instanz der Rechtsordnung und ihrer Transformationen ist.

In dem wohl lückenlos dokumentierten Briefwechsel, der sich über fünf Jahrzehnte erstreckt, manifestiert sich ein doppelter Untergang der bürgerlichen Welt, wie sie seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts bestand: Politisch in der Machtübernahme der Nazis und ihrer institutionalisierten Barbarei; materiell durch die verheerenden Kriegsschäden, die infolge der wachsenden Überlegenheit der alliierten Kriegsmächte die Zivilbevölkerung hart getroffen haben. Jünger, der seit seinem Umzug 1933 nach Goslar diverse weitere Wohnsitze in der Provinz ausprobierte, blieb mit der Familie von Bombenangriffen weitgehend verschont; Carl Schmitt, der nach wie vor in der Reichshauptstadt wohnte, wurde im August 1943 ausgebombt und zog nach Plettenberg ins Sauerland, "keineswegs bedrückt oder traurig", wie er schrieb. "Trostelexier für betrübte Zeiten" war beiden die "Total-Kalamität" im Werk von Léon Bloy.

Nach 1945 erlebten beide Autoren eine Einschränkung ihrer bürgerlichen Rechte: Jünger, weil er sich weigerte, den "Fragebogen" der Alliierten auszufüllen, Carl Schmitt, weil er verdächtigt wurde, den Nazis juristisch den Weg an die Macht geebnet zu haben. Der vormalige Staatsrat wurde im Dezember 1945 aus dem Staatsdienst entlassen, an eine Professur war nicht mehr zu denken. Zweimal wurde er in ein Internierungslager in Berlin-Lichterfelde verbracht, und 1947 sollte er sich in Nürnberg für die "Philosophie der Konzentrationslager" verantworten. Doch kam es zu keinem Prozeß.

Carl Schmitt hat sich von der "folgenschwersten Entscheidung" seines Lebens, nämlich "Hitlers Legalität" zu erweisen, nie wieder erholt; er blieb bis zu seinem Tod 1985 weitgehend isoliert; sein "Glossarium" mit Aufzeichnungen der Jahre 1947 bis 1951 zeigt, dass er seinem Briefpartner Jünger Ansehen und Erfolg neidete. Denn Jünger gelang es bereits 1947, das Publikationsverbot in Deutschland zu umgehen und 1949 endgültig aus der Isolation herauszutreten. Er blieb zwar umstritten, war aber in den 80-er Jahren zum Kronzeugen der deutsch-französischen Verständigung geworden.

Außenseiter blieben sie dennoch beide; mit der bundesrepublikanischen Gesellschaft, ihren Institutionen und ihren Ehrungen wollten sie so wenig wie möglich zu tun haben. Keiner von beiden übernahm ein politisches Amt oder eine öffentliche Funktion. Beide entzogen sich weitgehend den verschiedenen Netzwerken, die nach der Zerschlagung der totalitären Strukturen von ehemaligen Aktivisten des Hitler-Regimes ins Leben gerufen worden wären. Carl Schmitt immerhin war Identifikationsfigur der "Academia Moralis e. V.", die ihn mit einem Sonderkonto finanziell unterstützte. Jüngers Briefe und Werke beschreiben den Weg einer fortschreitenden Verinnerlichung der Herrschaft. Idealbild dieser zweiten inneren Emigration ist der Anarch, der - im Gegensatz zum Monarchen - nur sich selbst beherrschen möchte, und der - im Gegensatz zum Anarchisten - keinen Ehrgeiz in die Abschaffung der bestehenden Ordnung legt, die ihm schlicht gleichgültig ist. Während Carl Schmitt in seinem publizistischen Schaffen von der eigenen Person weitgehend absehen konnte, operiert Jüngers Werk mit der Fiktion, der Autor selbst stehe im Zentrum des Œuvres und betreibe eine "Sinnstiftung des eigenen Schicksals".

Der Herausgeber erweist sich in dieser Edition als guter Kenner der Schriften Ernst Jüngers und Carl Schmitts. Er kann zentrale Begriffe ihres Denkens auch in ihrem jeweiligen Werk verorten und durch gezielte Querverweise miteinander vernetzen, selbst wenn sie en passant fallen wie der Begriff des "pouvoir neutre", der vermittelnden "neutralen Instanz", die in Schmitts Verfassungslehre von 1928 und in seinem Buch "Der Hüter der Verfassung" von 1931 eine wichtige Rolle spielt. Der Briefband bietet gut 450 Seiten Kommentar, Nachwort und Faksimiles, doch wird das Arbeiten mit ihm dadurch unnötig erschwert, dass man auf einen Index der Namen und Sachen verzichtet hat. Gespart wurde damit nichts, denn nun müssen im Kommentar ständig Rückverweise auf frühere Kommentierungen erfolgen. Auch die Bibliographie ist eine Zumutung, die meisten zitierten oder erwähnten Titel muss man sich aus dem Anmerkungsapparat mühsam zusammensuchen, wenn man nicht gleich auf andere Quellen zurückgreifen will.

Titelbild

Ernst Jünger: Briefwechsel Carl Schmitt. Hrsg., komment. u. mit einem Nachw. v. Helmuth Kiesel.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1999.
892 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3608934529

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