„Die Reihen der Jugend“

Über Laurynas Katkus’ Essay-Band „Kabuff“

Von Kay ZiegenbalgRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kay Ziegenbalg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Laurynas Katkus, geboren 1972 im litauischen Vilnius, beherrscht das anfallartige Schreiben. Will sagen: Er vermag es, bunt und quer, aber doch formvoll und stimmig zu schreiben. Der Essay-Band „Kabuff“ beginnt mit einer verwirrten Rückkehr aus dem Tagtraum und verbleibt fortan in einer seltsamen Mischung aus klarer Erinnerung und undurchschaubarer Melancholie. Die Texte über eine Jugend zwischen Sowjetlitauen und der postsowjetischen baltischen Republik kommen in nüchterner Sprache daher, die nur vage an den eruptiven Beginn erinnert – ohne ihn aber nicht denkbar wäre. Die Ausgangslage, der sich der Erzähler im Auftaktessay widmet – er hatte sich „unter dem Einfluss von Rotwein unvorsichtiger Weise an der Leberpastete übergessen und träumte die ganze Nacht lang schwindlig drückende Träume, in denen immer wieder Vaselinedampf und durchsichtige Damenblusen erschienen“ – kehrt an anderer Stelle gleichermaßen kühl und melancholisch wieder, als die erste Liebe ansteht. Das leicht verzweifelte Werben mit sehr überraschenden Erfolgen kann allerdings nur für eine kurze Episode der Zweisamkeit sorgen, bevor die Angebetete nach einigen mysteriösen Anzeichen plötzlich verschwindet. Der Gang des Mädchens in den Tod deutet sich an, wird aber auch nicht gerade nahe gelegt. Der Verlust spielt sich aber auch einen Schritt früher ab, als das Verschwinden selbst schon den endgültigen Schlag gegen die Schwärmerei ausführt.

„Kabuff“ öffnet und durchstreift ein Gewirr aus tragischen Konstellationen, Hornbrillen, Karoröcken und Disziplinierungsmaßnahmen, die Jugendliche in der Diktatur aushalten mussten. Gleichzeitig aber gelingt es ihm, dieses Aushalten ins Aktive zu wenden und hoffnungsvolle Strategien gegen die kollektive Ödnis zu schildern. Dabei wird nicht vergessen, dass neben der sowjetischen Komponente der Biografie noch jene Aufgaben zu bewältigen sind, die man gemeinhin als Adoleszenzfragen bezeichnet.

Die Musikrezeption der Cliquen richtet sich nach einer ungewöhnlichen Musikgeschichte, die nicht nach dem Erscheinen der Platten, sondern nach der Reihenfolge des Schmuggels verläuft. Gereinigt vom Alltag wird die Musik genannt, die so ins Land kam. Gereinigt vom Klatsch und Neuheits-Druck der Musikindustrie fallen die Platten in einen Hörerkreis, dessen Markt nicht analysiert war. Umso stärker erregten sie dagegen die kommunistischen Sittenwächter, die in den Schuldiskos wohl am liebsten sittsame Formen des höfischen Tanzes gesehen hätten. Um neun Uhr geht das Licht an. Was also von der Punkbewegung nach Vilnius schwappte, war dann doch nicht vom Alltag zu reinigen. Und auch, wenn nicht alle Jugendlichen mit den Punks etwas anfangen konnten, hatten sie doch ihren Stellenwert: „Die Punks hatten einen Stil, und ein Stil ist der Anfang einer Ethik.“

Kunstvoll amalgamiert Kaktus das persönliche Erleben des Erzählers (das wird schon der Autor selbst sein können) und von dessen Mitmenschen in der Diktatur, die in einer beeindruckenden Personifizierung an den Schauplätzen des Geschehens präsent ist. „So war der Alltag der altersschwachen Diktatur.

Da sie bei jedem Schritt stehen bleiben musste, um Luft zu holen, war sie nicht mehr in der Lage, die wichtigsten Probleme der Wirtschaft in den Griff zu bekommen, die politischen Gegner zu überwinden, und zerrte deswegen, um ihr parkinsonsches Zittern zu verbergen, die wehrlose Jugend an den Haaren.“

Als der eiserne Vorhang dann endlich fällt, offenbaren sich schnell neue Wirklichkeiten. In England lernt er, dass linke Ideologien, von denen er durchaus genug hatte, zum romantischen Common-Sense des Westens gehören, während in Litauen die Energie der Literatur versiegt und Künstler und Intellektuelle mangels Feindbild ins 19. Jahrhundert flüchten. Die neue Diskurse scheinen aufgesetzt, wo das Vakuum, dass die für beendet erklärte Revolution zurücklässt, mit der Freud‘schen Libido-Lehre aufgefüllt wird. Deren kritische emanzipatorische Interpretation fällt natürlich ohne akuten Befreiungsbedarf einfach weg.

Katkus gelingt es, eine Welt voller Improvisation und Verzweiflung, voller Hoffnung und Verhaltenskontrolle mit seinen Worten leichtfüßig zu zeichnen. Die Übersetzungen sind ausgesprochen gut und lesen sich wie aus erster Hand. Einige Fußnoten mussten sein, um regionale Bezeichnungen zu klären.

„Kabuff“ erscheint in der Literaturreihe der Akademie Schloss Solitude, die Katkus 2008/09 auf eine Empfehlung von Juli Zeh hin beherbergte. 1998 erschienen die ersten Gedichte, 2004 folgten Übersetzungen von Walter Benjamin und Hölderlins „Hyperion.“

Titelbild

Laurynas Katkus: Kabuff. Essays.
Übersetzt aus dem Litauischen von Akvil? Galvosait?, Cornelius Hell und Markus Roduner.
Akademie Schloß Solitude, Stuttgart 2011.
133 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783937158556

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