Dämonen, Geister und eine hingebungsvolle Passion

Elif Batuman huldigt in ihrem Essayband „Die Besessenen“ der russischen Literatur

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tolstoi, Dostojewski, Puschkin, Tschechow, Turgenew und Gogol – es sind Namen, die jeder kennt, Namen die für die große Blütezeit der russischen Literatur im 19. Jahrhundert stehen. Die amerikanische Journalistin Elif Batuman hat mit ihrem autobiografisch gefärbten Essayband „Die Besessenen“ eine hingebungsvolle Huldigung an ebendiese Autoren verfasst. Dabei vermengt Batuman gekonnt Anekdoten um Werk und Leben dieser Schriftsteller mit Aspekten der Literaturwissenschaft und ihren eigenen Erlebnissen als Studentin am amerikanischen College.

Bereits der Titel des Buches deutet die Passion Batumans für die russischen Literatur an: „Die Besessenen“ ist dem gleichnamigen Werk Fjodor Dostojewskis entlehnt, das im Deutschen auch als „Die Dämonen“ oder „Böse Geister“ bekannt ist. In ihrem Dostojewski-Aufsatz zeigt sich exemplarisch, was „Die Besessenen“ auszeichnet: die geschickte Verquickung von Autobiografischem mit Einblicken in die Literaturwissenschaft. Während Batuman, die sich im Grunde eher als Tolstoi-Anhängerin versteht, die Studienzeit zwischen Bibliothek, dem ewigen „Kreislauf von Seminaren und Kaffee, Kaffee und Seminaren“ schildert, streut sie immer wieder Handlungsfetzen aus dem Leben und Schreiben Dostojewskis ein und erkennt in seinen Romanfiguren Teile ihres Freundeskreises wieder. Durch diese Strategie des Verknüpfens gelingt es der jungen Amerikanerin mustergültig, Szenen aus Werk und Vita Dostojewskis zum Besten zu geben und gleichzeitig ihre eigene Lebensgeschichte zu erzählen.

Nebenbei gibt sich Batuman nicht nur als Kennerin der russischen Literatur zu erkennen. Zahlreiche Verweise auf Thomas Manns „Zauberberg“ – stellenweise vergleicht Batuman gar Ausschnitte ihres Lebens mit Hans Castorps Zeit im Davoser Sanatorium –, Balzacs Comédie Humaine, Lewis Carolls „Alice im Wunderland“ und vor allem auf den „Don Quijote“ von Miguel de Cervantes legen davon ein beeindruckendes Zeugnis ab.

Im Zuge der „Die Besessenen“ erzählt die gebürtige New Yorkerin nicht nur von den Werken Isaak Babels, Lew Tolstois und dem heute weitestgehend unbekannten Iwan Laschetschnikow, denen eigene Kapitel gewidmet sind, sondern auch von egozentrischen Professoren, eigenwilligen Schriftstellernachkommen wie im Falle Babel, chaotischen Literatur-Konferenzen und dem Sankt Petersburger Eishaus. Dabei sind es häufig humoristische Anekdoten, in die Batuman literarische Information kleidet. Auf die hundertbändige Tolstoi-Millenniumsedition beispielsweise weißt Batuman hin, indem sie berichtet, wie sie diese mit ihrer Badezimmerwaage in der Bibliothek gewogen habe und in jeweils zehnbändigen Häppchen auf das Gewicht eines Belugawals gekommen sei. Ähnliche, ebenso erheiternde wie informative Szenen finden sich zu Hauf in „Die Besessenen“, für das Batuman 2010 den mit 50.000 US-Dollar dotierten Whiting Writers’ Award erhielt.

Zugleich stellen diese autobiografischen Possen jedoch auch die größte Problematik des Buches dar: Bisweilen kippt das sonst wohl austarierte, anekdotisch-literarische Gleichgewicht unverhältnismäßig in Richtung der Lebenserzählung. Das ist vor allem in dem dreiteiligen Kapitel „Sommer in Samarkand“ der Fall, in dem Batuman von ihrer Sprachreise nach Usbekistan berichtet. Hier dominiert klar der autobiografische Part mit linguistischen Einschüben, die Literatur hingegen muss größtenteils in den Hintergrund treten –„Usbekistan war so etwas wie eine rückschrittliche Türkei mit einer noch deprimierenden Nationalliteratur“, bekennt so auch Batuman freimütig, dass der literarische Aspekt hier nur als Randelement auftritt. Diesem Kapitel ist vermutlich auch die Untertitelergänzung des Buches „…und ihren Lesern“ geschuldet.

Dieser Teil trübt den guten Eindruck, den „Die Besessenen“ ansonsten insgesamt hinterlässt, jedoch nur bedingt. Letztlich kommt Elif Batuman in jedem Fall ein großer Verdienst zu: Ihre Kreuzung aus Collegeroman und literaturkritischer Essaysammlung macht Lust auf Literatur. „Könnte ich heute noch einmal von vorne beginnen, würde ich mich wieder für die Literatur entscheiden“, fällt Batuman rückblickend ihr positives Resümee am Schluss. Und so wird auch der Verfasser dieser Zeilen in der nahen Zukunft mal wieder zu Dostojewski greifen – „Die Dämonen“ steht auf dem Programm, wie Batumans titelgebendes Buch in der Übersetzung von E. K. Rahsin heißt.

Titelbild

Elif Batuman: Die Besessenen. Abenteuer mit russischen Büchern und ihren Lesern.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttmann.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2011.
367 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783036956046

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