Ein Fässchen Glück

In der Anthologie „Tintenfass“ geht es ums Glück.

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Anlässlich der Frankfurter Buchmesse versammelte der Zürcher Diogenes Verlag auch in diesem Jahr Auszüge aus seinem Programm. „Tintenfass“ heißt das Format, ironisch untertitelt mit: „Das Magazin für den überforderten Intellektuellen“. Es hat als solches eine bewegte Geschichte hinter sich. Seit 1997 erscheint das „Tintenfass“ nun regelmäßig einmal jährlich zur Frankfurter Buchmesse, mehr als Anthologie im Taschenbuchformat denn als Literaturzeitschrift. Dem „überforderten Intellektuellen“ werden kleine Literatur-Häppchen zu einem bestimmten Thema angeboten. 2011 geht es um einen Topos, der in puncto „Häufigkeit der literarischen Verarbeitung“ allenfalls von der „Liebe“ übertroffen wird: „Glück“.

Doch der Umstand, dass ein Begriff desto klarer wird, je häufiger er Verwendung findet, trifft wohl für beide Begriffe nicht zu, für Liebe nicht und für „Glück“ erst recht nicht. Glück ist ein unbestimmter, vielleicht auch unbestimmbarer Begriff, der gerne aus dem philosophischen Diskurs ausgeklammert wird, obwohl er dort seit Aristoteles hineingehört, weil er für diesen Diskurs einerseits zu vage und andererseits zu anspruchsvoll ist. Eine Objektivierung von „Glück“ scheint unmöglich, da der Glücksbegriff hinsichtlich seiner Theoriefähigkeit hoch umstritten ist. Ethiken, die auf „Glückskalküle“ beziehungsweise auf den Vergleich von zwei resultierenden Zuständen im Hinblick darauf, welcher der beiden denn nun die größere „happiness“ bereitstellt, scheitern an dieser Stelle sehr schnell. Glück ist wichtig, vielleicht sogar das Wichtigste, darin sind sich alle einig, doch was dieses Gefühl genau ist, vermag Niemand genau festzustellen.

Wie gut, dass es da die Literatur gibt, die als Vermittlungsinstanz zwischen Lebenswelt und Elfenbeinturm das Konzept umkreist und der Leserin beziehungsweise dem Leser Angebote macht, mal mit hohem Anspruch, mal humorvoll. Namhafte Autoren von Epikur bis Paulo Coelho, vom Dalai Lama bis Kurt Tucholsky, von Denis Diderot bis Doris Dörrie präsentieren ihre Antworten auf die Frage: „Was ist Glück?“, die im „Tintenfass“ zum Paradoxon mutiert: „Macht Glück unglücklich?“ Mit dieser Leitfrage fangen die Macher der Anthologie das ambivalente Wesen des Glücksbegriffs gut ein: Die allzu angestrengte Glückssuche macht unglücklich.

Die Texte sind nicht nur aus verschiedenen Epochen und weisen nicht nur inhaltlich ganz unterschiedliche Zugänge zum Glück auf, sondern lassen sich diversen Genres zuweisen: Es lassen sich philosophischen Abhandlung (nicht nur Epikur [„Über das Glück“] und Diderot [„Ein glücklicher Mensch ist ein Weiser], auch Schopenhauer [„Glück“] kommt selbstverständlich zu Wort) ebenso finden wie Kurzgeschichten (etwa Astrid Rosenfelds „All die falschen Pferde“), Gedichte (zum Beispiel der unnachahmliche Wilhelm Busch [„Fortuna“], gleich zweimal Heinrich Heine [„Das Glück ist eine leichte Dirne“; „Frau Fortuna“]) und Märchen (Brüder Grimm: „Hans im Glück“). Eine umfangreiche Aphorismensammlung bietet genug Stoff für die Grußkarten der nächsten Jahre, die an anspruchsvolle Freunde oder „überforderte Intellektuelle“ gehen sollen. Karikaturen (unter anderem von Jean-Jacques Sempé) setzen das Glück bissig ins Bild.

Der Diogenes Verlag legt eine interessante Sammlung vor, die mit ihrem hohen Unterhaltungswert Lust auf mehr macht. Bleibt die Frage: Macht die Lektüre des Buchs glücklich? Sagen wir es so: Man ist hinterher auch nicht unglücklicher als zuvor.