Werden wir alle verdinglicht?

Über einen Sammelband zu „affektiven Objektberührungen in Wissenschaft und Kunst“

Von Malte VölkRSS-Newsfeed neuer Artikel von Malte Völk

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Kulturwissenschaft beschäftigt sich seit einigen Jahren in gesteigerter Intensität mit Dingen: Mit Gegenständen, die in ihren Beziehungen zu Menschen sozusagen als Kulturträger auftreten. Nach den exzessiven zeichen- und erkenntnistheoretischen Bewegungen der im besonderen Maße von postmodernen Theorien geprägten Kulturwissenschaft der letzten Jahrzehnte rückt nun also wieder das Material in den Blick. Diese Hinwendung zur materiellen Sphäre der Kultur ist zwar nicht unbedingt neu – schließlich hatte schon die Volkskunde als Vorgängerin der Kulturwissenschaft ein großes Interesse an der Sachkultur – und es scheint auch zweifelhaft, ob man schon von einem „material turn“ sprechen muss, wie es vereinzelt getan wird. Doch bietet diese Ausrichtung des Forschungsinteresses bei näherem Hinsehen erstaunlich spannende und weitreichende Möglichkeiten, deren Potential wohl noch lange nicht ausgeschöpft ist.

Der vorliegende Sammelband widmet sich der Frage nach der Bedeutung von Dingen sowohl für soziale und kulturelle Praktiken als auch für die Epistemologie und speziellere wissenschaftliche Erkenntnisprozesse. Dass dabei ein deutlicher Schwerpunkt auf der Ästhetik liegt, wird schon am Umschlag des Buches deutlich, auf dem Albrecht Dürers Kupferstich „Melencolia I“ zu sehen ist: ein Bild, das schon frühere disziplinäre Grenzgänger wie Erwin Panofsky, Fritz Saxl oder auch Walter Benjamin zu weitreichenden Überlegungen in Zusammenhang mit der Dingwelt geführt hat. Auch der Berliner Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme, dem diese Aufsatzsammlung in deutlicher Auseinandersetzung mit seinem Denken gewidmet ist, hat sich intensiv mit der „Melencolia I“ beschäftigt.

Während die melancholische Person dieses Bildes inmitten der ungenutzt herumliegenden Werkzeuge und Gegenstände in untätiger Grübelei versinkt, sind die Beiträge des Bandes in erfreulicher Weise weltzugewandt und gegenwartsbezogen. Geht es den Herausgebern doch erklärtermaßen darum, zwar von der Moderne als einem Zeitalter des dinglichem Fetischismus auszugehen, aber dabei die „kulturell produktive Seite fetischistischer Dingverhältnisse“ zu betonen. Indem der – vielleicht primär ästhetische – Impuls, Dinge emotional zu besetzen, universalisiert wird, messen die versammelten Beiträge das Verhältnis von Dingen zu menschlichen Emotionen in einem sehr weiten Rahmen aus: von historisch-anthropologisch orientierten Fragen nach den Manifestationen von Emotionen über die Rolle von Dingen in wissenschaftlichen Versuchsanordnungen bis zum Klassiker der Ding-Forschung, dem Phänomen des Sammelns.

Die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston (Chicago/Berlin) leistet in ihrer konzisen Untersuchung über „Projection and Perfect Passivity“ eine Art Genealogie des psychischen Mechanismus der Projektion, und zwar aus der Sicht der Dinge. Die übliche Perspektive auf dieses Phänomen wird umgedreht: Nicht die menschliche Psyche, die etwas auf ein äußeres Objekt projiziert, steht im Vordergrund, sondern eben jene Objekte. Auf was genau projiziert man eigentlich? Dabei wird deutlich, dass die Belehnung der Außenwelt mit psychischen Regungen des Subjektes einmal ganz materiell als schlichte Umkehrung des Perzeptionsprozesses gedacht worden war: In der Frühen Neuzeit war die Vorstellung verbreitet, man könne mit Gedanken auf materiell existierende Objekte tatsächlich einwirken, und zwar durch „subtle matter flowing from the brain“. Die – noch von Voltaire vertretenen – Theorien, die Gedanken einer Frau vor und während der Empfängnis könnten den entstehenden Embryo in seiner Form beeinflussen, legen etwa davon Zeugnis ab. Man wollte das ideale Medium – sehr beliebt waren auch Wolken – das durch keinerlei Eigenheiten den Prozess der Projektion stören könnte, was letztlich auf eine Verschmelzung von Subjekt und Objekt hinauslaufen würde: „the dream of thing and mind, object and subject made one“. Der von Daston hergestellte Zusammenhang mit dem Computer-Bildschirm als aktuellem Ausdruck der Illusion von einem solchen idealen Medium gibt zu denken: Sollten die grotesk wirkenden Vorstellungen aus der Frühen Neuzeit untergründig in veränderter Form heute noch virulent sein? Hat die Aufklärung sich so wenig durchgesetzt?

Die Kritik an Aufklärung und Moderne ist in der größtenteils postmodern geprägten Ding-Forschung sehr dominant. Der Frankfurter Philosoph Wolfgang Detel geht diesem Phänomen in seinem Beitrag über „Subjekt und Objekt, Kultur und Natur“ in der Sphäre der Geistesphilosophie nach. Ausgehend von den auf die Dingwelt ausgerichteten Kulturtheorien, wie sie etwa von Hartmut Böhme und Bruno Latour vertreten werden, fokussiert Detel sich auf die „intime Verschränkung von Subjekt und Objekt“. Diese werde oftmals in ihrer Komplexität unterschätzt. Die postmoderne Kritik an starren Trennungen von Subjekt und Objekt, von Natur und Kultur mache es sich oftmals zu einfach – zumal solche starren Trennungen überhaupt nicht zum Kernbestand der Moderne gehörten, sondern höchstens temporär überbetont worden seien – und übersehe die Gefahr eines Abdriftens in die Beliebigkeit, in der dann auch wissenschaftliches Denken sich selbst abschaffen würde.

Bezogen auf das Thema des Sammelbandes ließe sich dann wohl konstatieren: Menschen und Dinge sind zwar untrennbar miteinander verwoben – aber doch unterschiedlich. Detel gelingt es, philosophisch höchst anspruchsvoll und differenziert zu argumentieren, ohne sich wiederum in eine positionslose Unverbindlichkeit zurückzuziehen, wie es doch in der Kulturwissenschaft leider immer noch häufig geschieht. Dieser Vorschlag, bei aller Kritik an Aufklärung und Moderne nicht gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten, stellt einen der seltenen Momente des Sammelbandes dar, in dem ein Bezug zu den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen hergestellt oder zumindest angedeutet wird. Davon würde man sich mehr wünschen, zumal viele Beiträge immer wieder spannende Vorlagen für die Frage nach gesellschaftlichen Implikationen liefern. Auch würde es sich eigentlich geradezu aufdrängen, beim Thema der affektiven Dinge den Begriff der Verdinglichung – der ja durch seine vulgärmarxistische Verwendung keinesfalls erledigt ist und in der Sozialphilosophie aktuell diskutiert wird – zumindest einmal in Betracht zu ziehen. Sind die Dinge heute nicht in der Regel auch Waren?

Der Sammelband bietet auf ansprechende Art einen Überblick über die aktuelle Forschung zum Thema – fast könnte man ja sagen: über den Stand der Dinge – und setzt dabei zugleich auch weiterführende Impulse. Die Beiträge sind allesamt sehr kenntnisreich und lesenswert, das Thema insgesamt zukunftsweisend. Die Situation scheint sich zuzuspitzen. Schon gibt es Berichte über künstliche Kuschel-Robben, die, fähig, auf Berührungen zu reagieren, zur Unterhaltung von Demenzkranken eingesetzt werden sollen. Es bleibt also noch viel zu untersuchen über das Verhältnis der Menschen zu den Dingen. Wenn wir schon alle dereinst im Alter von technischen Wesen gepflegt werden, dann sollte man doch zumindest hoffen können, jene Roboter seien nach den neuesten Erkenntnissen der kulturwissenschaftlichen Theoriebildung programmiert.

Titelbild

Natascha Adamowsky / Robert Felfe / Marco Formisano / Kirsten Wagner (Hg.): Affektive Dinge. Objektberührungen in Wissenschaft und Kunst.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
224 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783835309562

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch