Ein „Weimar unter Palmen“ in Text und Bild

Eine Dokumentation von Thomas Blubacher bietet Einblicke in das Leben der deutschen Pacific-Palisades-Emigranten

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Laufe der 1930er- und 1940er-Jahre verließen etliche Bewohner des deutschen Reiches den europäischen Kontinent und suchten in den USA Zuflucht vor der nationalsozialistischen Obrigkeit ihres Heimatlandes. Erstaunlicherweise verschlug es unzählige Kunstschaffende, unter ihnen einen Großteil der bedeutendsten Schriftsteller, Regisseure, Schauspieler und Philosophen Deutschlands, nach Pacific Palisades, einen Stadtteil Los Angeles’ und ein „Weimar unter Palmen“, wie es bald hieß. Von Theodor W. Adorno über Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque bis hin zu Fred Zinnemann – sie alle suchten im kalifornischen Paradies ein neues Refugium. Über diese Künstler und Denker hat Thomas Blubacher nun einen beeindruckenden Text-Bild-Band vorgelegt.

In der Dokumentation „Paradies in schwerer Zeit. Künstler und Denker im Exil in Pacific Palisades und Umgebung“ versammelt Blubacher Kurzporträts von 48 Kunstschaffenden. Dabei dient ihm die Exilzeit als Dreh- und Angelpunkt der jeweiligen Biografie, jedoch nicht als fixe Abgrenzung; so hat er stets die Vorgeschichte der geflüchteten Intellektuellen im Blick und geht in seiner Darstellung auch über das Kriegsende hinaus. Drei Studien mit überdurchschnittlicher Länge nutzt Blubacher, der seine Auswahl- und Ordnungskriterien leider im Dunkeln lässt, zur bedachten Einrahmung seines Buchs und streicht die Sonderrolle der hier Porträtierten heraus: Angefangen bei Salka Viertel, deren „Salon“ zeitweise als Zentrum der deutschen Exiltreffen fungierte, über Thomas Mann, dem „Goethe in Hollywood“ und „Kaiser aller deutschen Emigranten“, wie der Philosoph Ludwig Marcuse betonte, bis hin zum letzten Doppelporträt des Buches über das Ehepaar Feuchtwanger und ihrer Rolle als bedeutsamem Zentrum des Emigrantenlebens, die sie bereits im französischen Sanary-sur-Mer innegehabt hatten. Doch richtet Blubacher seinen Blick nicht ausschließlich auf die bekanntesten unter den Emigranten – auch heutzutage weniger geläufige Personen wie die österreichische Schriftstellerin Gina Kaus und der Rezitator Ludwig Hardt werden thematisiert.

Ein besonderes Augenmerk legt Blubacher auf die Frage nach dem materiellen Überleben der Exilanten in dem fremden Land. Während ein weltberühmter Autor wie Lion Feuchtwanger – zumindest finanziell – sorgenfrei leben konnte, gelang dies zahllosen anderen Emigranten nicht. Schriftsteller mussten sich als schlecht bezahlte Drehbuchautoren verdingen, Musiker komponierten für Filmscores, ehemals umjubelte Schauspieler fristeten in den USA ein Leben als Nebendarsteller.

Doch auch auf die Frage der deutschen Kollektivschuld geht Blubacher ein und stellt immer wieder anschaulich den tiefen Graben zwischen Vansittartisten und den Befürwortern eines „anderen“, besseren Deutschlands dar. Schließlich habe „die Wahrscheinlichkeit des Todes morgen“ nicht „die Verantwortung heute“ abgenommen, so Max Horkheimer; ein Verantwortungsgefühl für Deutschland war in allen Exilanten lebendig.

Ohnehin herrschte innerhalb der deutschen Emigrantenschaft alles andere als eitler Sonnenschein; unüberbrückbare Differenzen herrschten zwischen etlichen wichtigen Akteuren. Während Bertolt Brecht seinen Kollegen Thomas Mann nur „das reptil“ nannte, fällte wiederum der Literaturnobelpreisträger gegenüber George Tabori ein rigides Urteil über Lion Feuchtwanger: „Junger Mann, haben Sie die Perfektion der Einrichtung bemerkt, die 18.000 ledergebundenen Bücher, alle von ihm nicht nur gelesen, sondern auch verstanden und im Gedächtnis behalten, die abwechslungsreichen Schreibtische, einer, um im Liegen zu schreiben, ein anderer, um sitzend zu schreiben, ein dritter zum Stehen, und die prächtigen Schreibutensilien […] und was kommt bei all der Vollkommenheit heraus? Reine Scheiße.“

Solche und ähnliche Abneigungen betont Blubacher ausgesprochen stark und demonstriert anhand einzelner, ausgezeichnet ausgewählter Quellen die tiefschürfenden Ressentiments zwischen einzelnen Exilanten, die zwar häufig, jedoch nicht ausschließlich Thomas Mann trafen. So argwöhnte die Schauspielerin Luise Rainer beispielsweise über Brecht: „Er war wie eine Spinne, etwas, das ich nicht anfassen wollte“.

Neben diesen finanziellen und zwischenmenschlichen Problemen waren die Emigranten vor allem mit der Empfindung der Heimatlosigkeit und einem enormen Statusverlust konfrontiert, mit dem „Herzasthma des Exils“, wie Thomas Mann es nannte. Erich Maria Remarque brachte es wie folgt auf den Punkt: „ich lese, bewege mich, arbeite nicht mehr, schlafe, – alles etwas abwesend, ohne Rebellion, ohne Aufregung, einfach die Tatsachen hinnehmend, – daß wir in Deutschland nicht leben, weil wir demokratisch denken; – u. in einer Demokratie halb eingesperrt werden, weil wir aus Deutschland stammen.“ Während die Exilanten von den Deutschen geächtet und verfolgt wurden, waren sie in den USA sogenannte „enemy aliens“: Ausländer, die stets unter dem Verdacht der Spionage standen und in den überwiegenden Fällen vom FBI überwacht wurden.

Diese geballte Form der Kurzbiografien unterlegt Blubacher mit der offenkundigen Stärke des Bandes: dem ausgiebigen Bildteil. Zahlreiche Abbildungen illustrieren die Porträts. Private Fotos, Landschaftsaufnahmen, offizielle Dokumente und Plakate bieten anschauliche Eindrücke vom Leben im amerikanischen Exil – und zeigen anschaulich, dass ein Leben zwischen Sonne und Palmen nicht mit dem vollkommenen Glück gleichzusetzen ist. Oder, um es abschließend mit den Worten der streitbaren Komponisten- und Schriftstellergattin Alma Mahler-Werfel zu sagen: „Die Emigration ist eine schwere Krankheit an sich.“

Titelbild

Thomas Blubacher: Paradies in schwerer Zeit. Künstler und Denker im Exil in Pacific Palisades und Umgebung.
Elisabeth Sandmann Verlag, München 2011.
170 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783938045572

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