Ein Kessel Schwarzes

Gerhard Fouquet und Gabriel Zeilinger betrachten Katastrophen im Spätmittelalter

Von Jürgen RömerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Römer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Katastrophen, Krisen oder – modern gesprochen – Extremereignisse prägten alle Menschen des vormodernen Europa tief. Existenzielle Bedrohungen für Leib, Leben und Gut wiederholten sich in unschöner Regelmäßigkeit. Wie weit wir Mitteleuropäer heute davon entfernt sind, wird deutlich daran, dass die Autoren dieses kleinen Bandes immer wieder Fernsehbilder aus den bekannten Krisenregionen Afrikas und Asiens bemühen müssen, um ihren Text für die Gegenwart zu illustrieren. Aus der Sicht der beiden Sozial- und Wirtschaftshistoriker Gerhard Fouquet und Gabriel Zeilinger stehen im Mittelpunkt des Bandes Katastrophen und ihre Bewältigung vornehmlich in der Zeit vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. Katastrophen als unerwartete, sich rasch vollziehende Ereignisse und Krisen als sich allmählich entwickelnde Bedrohungen und Beschwernisse des Lebens verändern, so die Autoren, die Lebensverhältnisse mindestens einzelner Gesellschaftsgruppen. Daher beziehen sie neben reinen Naturereignissen wie Erdbeben, Hochwasser und Sturmfluten auch menschlich beeinflusste wie Hunger, Feuer, Epidemien und Schiffsuntergänge ein. Obwohl Fouquet und Zeilinger sich ausdrücklich davon distanzieren, „das Buch zur Krise“ geschrieben zu haben, lässt sich ein solcher Eindruck nur schwer vermeiden, wenn rein menschengemachte Krisen wie Kriege oder extreme Geldwertschwankungen zum Kanon der hier betrachteten Gegenstände gezählt werden.

Angst ist eine prägende Grunderfahrung mittelalterlichen Lebens, und man stimmt den Autoren gerne zu, dass viel von dieser Angst aus dem Kontakt mit einer als abweisend, wenn nicht gar feindlich empfundenen Natur entstand. Allem romantischen Verklärungsgerede zum Trotz lebten die meisten Menschen in vormoderner Zeit nicht im – wie auch immer gearteten – Einklang mit der Natur. Sie waren stattdessen den ständigen Kapriolen etwa des Wetters in einer Schutz- und Hilflosigkeit ausgesetzt, die für rundumgesicherte Stadtbewohner des 21. Jahrhunderts schwer nachvollziehbar ist. Der Gegensatz zwischen Land und Stadt spielt dabei bereits im Mittelalter eine große Rolle, da die Stadtmauern gegen manche Gefahren Schutz zu bieten vermochten. Andererseits erfahren wir in erster Linie aus den Städten etwas über die Fährnisse des Lebens vor 500 oder 700 Jahren; auf dem Dorf gab es niemanden, der etwas aufschrieb. Daher bleibt der Blick, den uns die Autoren der Zeit auf das Leben ermöglichen, ein einäugig blinder, weil er die Lebenswelt von mehr als 90% der Bevölkerung, das Land nämlich, nahezu komplett ignoriert. Das Landleben, soviel immerhin lässt sich erkennen, war noch gefährdeter und schwieriger als das in der Stadt.

Schon im ersten Abschnitt, der den Krankheiten gewidmet ist, wird zwischen Naturereignissen unterschieden, die die Menschen eher als Strafe Gottes interpretierten, und menschengemachten Nöten, deren Verursacher im Rahmen der göttlichen Weltordnung auch benannt wurden. Die Trauer um verstorbene Kinder sei im Mittelalter so groß gewesen wie zu allen anderen Zeiten, verkünden die Autoren und wollen dies mit einem Lutherzitat belegen. Nach dem Tod seines Töchterchens Elisabeth schreibt Luther in einem Brief über seine Trauer, die ihm „ein trauriges, fast weibisches Herz“ hinterlassen habe: „Nie zuvor hätte ich geglaubt, daß die väterlichen Herzen bei ihren Kindern so weich werden.“ Zum Einen mag man füglich darüber diskutieren, ob Luther der perfekte Zeuge für mittelalterliche Lebenseinstellungen ist, zum Zweiten kann man dieses Zitat aber auch genau andersherum verstehen: Luther wundert sich über die große Trauer, da er dergleichen offenbar bisher nicht gekannt hat, auch nicht aus seiner Lebenswelt.

Der Band führt nun durch das Pandämonium der vormodernen Schrecken. Quellenberichte aus Städten, sehr häufig süddeutsch-schweizerischen Reichsstädten und Bistumssitzen, sorgen für vermeintlich unverstellten Einblick in die Katastrophen und ihre Bewältigung. Kurze Interpretationen und Erläuterungen stellen Manches klar und rücken Perspektiven des modernen interessierten Lesers zurecht. Mag dieser sich an der Aneinanderreihung von zeitgenössischen Berichten ergötzen, so fehlt dem historischen Vorgebildeten ein wenig die Zusammenfassung, die Zuspitzung, etwa auf Fragen nach der theologischen Interpretation der Zeitgenossen und den Auswirkungen auf die Volksfrömmigkeit.

Wir wissen, dass das auch in diesem Buch weitergetragene Bild vom einheitlich frommen Mittelalter in der jüngsten Zeit, etwa durch die Arbeit von Dorothea Weltecke zu Unglauben und Glaubenszweifeln im Mittelalter, Risse bekommen hat. Davon ist in dem vorliegenden Buch nichts zu spüren. Die Frage „Warum lässt Gott, wenn es ihn denn gibt, das alles zu?“ mag durchaus auch im Mittelalter angesichts von Katastrophen gestellt worden sein. Zu fragen wäre darüber hinaus, ob Dinge, die sich ständig wiederholen, wie etwa Hochwasser in Basel, tatsächlich als Extremereignisse begriffen werden können. Der Eindruck, man habe aus den im Allgemeinen gut bekannten Quellentexten einen Kessel Schwarzes angerührt und mit ein paar garnierenden Erläuterungen zum schaudernd-schönen Genuss angeboten, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wenngleich das nicht immer überzeugend lektorierte Buch insgesamt sicher einen guten, ersten Überblick über sein Thema gibt.

Titelbild

Gerhard Fouquet / Gerhard Zeilinger: Katastrophen im Spätmittelalter.
Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2011.
170 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783805343626

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