Kritisches Kompendium der deutschen Richard Wagner-Rezeption

Zum dritten Teil von Udo Bermbachs Wagner-Trilogie

Von Stephan KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Udo Bermbachs Stimme gehört fraglos zu den profiliertesten und wichtigsten in der nahezu unüberschaubar großen Forschungslandschaft zu Leben und Werk Richard Wagners. Er vollendet seine Trilogie zu Wagner mit einem äußerst materialreichen Band, der nicht nur die beeindruckende Breite der Kenntnisse des Autors widerspiegelt, sondern zugleich seinem nachhaltigen Bedürfnis Ausdruck gibt, die teilweise verschlungenen Wege rezeptiver (Bayreuther) ‚Verfälschungen’ – so auch ein Stichwort im Untertitel – aufzudecken.

Nach „Der Wahn des Gesamtkunstwerks. Richard Wagners politisch-ästhetische Utopie“ (1994) und „Blühendes Leid. Politik und Gesellschaft in Richard Wagners Musikdramen“ (2003) liegt nun „Richard Wagner in Deutschland. Rezeption – Verfälschungen“ von ihm vor. Der Hamburger Politikwissenschaftler Bermbach setzt hier ein drittes Mal an, um in die Fülle der Wagner-Publikationen hinein zum einen sich zu positionieren und zum anderen Wagners Denken und Werk nachhaltig zu verorten. Dass bei der Größe des Forschungsgegenstandes und der Ausdehnung des Gebietes Richard Wagner gleichsam säuberlich und streng zwischen einer Masse von weniger erkenntnisfördernder Wagner-Literatur und seriösen Forschungsarbeiten und -beiträgen zu unterscheiden ist, erleichtert diese Aufgabe nicht. Doch Bermbach macht zu Beginn bereits klar, dass es ihm bei Wagner diesmal um „die Rezeptionsgeschichte seines politisch-ästhetischen Denkens“ geht.

Damit widmet er sich nicht nur einem – bisher – wenig beackerten Feld, sondern kümmert sich um einen Komplex in der Wagner-Forschung, der einiges an Kontroversen enthält. Bermbach beschreibt diese in seinem Band mit großer und überzeugender fachlicher und sachlicher Souveränität. Er zeigt in mehreren Linien und sehr detailliert die Denktraditionen einer vor allem Bayreuther Wagner-Rezeption auf, die von Deutschtümelei über simplifizierende politische Instrumentalisierungen bis hin zum pervertierenden ideologischen Missbrauch durch die Nationalsozialisten reicht. Deren hauptsächliche Stichwortgeber und Initiatoren gehören dem über den gesamten Band hinweg immer wieder erwähnten (engeren) ‚Bayreuther Kreis‘ an. Dessen wichtigste Mitglieder und intellektuelle Vordenker, wie beispielsweise Houston Stewart Chamberlain, Hans von Wolzogen oder Curt von Westernhagen stellt Bermbach ausführlich anhand ihrer Schriften und vor allem ihrer Beiträge in den „Bayreuther Blättern“ vor.

Als sehr praktisch erweist sich dabei auch, dass Bermbach jeweils in einer Fußnote eine bio-bibliografische Übersicht liefert, wenn er im Haupttext eine weitere wichtige Person und deren Denken analysiert. Er verfolgt bei allen behandelten Autoren und Akteuren die ideologisch-intellektuelle Inanspruchnahme von Wagners politisch-ästhetischem Denken – dies gehört (spätestens) seit „Der Wahn des Gesamtkunstwerks“ bei Wagner unbedingt zusammen – und seinem künstlerischen Programm und Schaffen durch die Mitglieder des ‚Bayreuther Kreises‘ und spürt deren Überzeugungen und Ausnutzung von Wagners Schriften und Werken bis tief in deren Argumentationszusammenhänge und etwa deren nationalistisch-konservative Verwurzelung nach.

Die Klarheit der Hauptargumentationsstränge resultiert in dem materialreichen und scheinbar weitverzweigten Band daraus, dass der betrachtete zeitliche Abschnitt sehr klar abgegrenzt ist und dessen Grenzen nur vereinzelt und mit guten Gründen verlassen werden. Dieser Zeitraum gleicht (im Kern) dem Erscheinungszeitraum der „Bayreuther Blätter“, 1878-1938, und der unmittelbaren Nachkriegszeit bis etwa Mitte der 1950er-Jahre. Die deutliche Nachvollziehbarkeit der Argumentation unterstützt weiterhin die Struktur des Bandes insgesamt. So beleuchtet Bermbach die Rezeptionsgeschichte von Wagners künstlerischem, ästhetischem und politischem Werk je eingehend anhand einzelner Komplexe, wie etwa ‚Bayreuth und die Moderne‘, ‚Bayreuther Theologie‘, ‚Stationen der Ring-Deutungen seit 1876‘ oder ‚Hitlers nazifizierter Wagner‘. Es gelingt Bermbach dabei sehr überzeugend, die immer wieder erfolgte (politische-ideologische) Inanspruchnahme des Wagner’schen Werkes und Wirkens in der Bayreuther Rezeption aufzuweisen, ohne dass dabei außer Acht bliebe, diese Verwendungsstrategien genau darzustellen und auch in Wagners Schriften beziehungsweise Werken die Stellen und Zusammenhänge anzusprechen, die den jeweiligen Interpreten von besonderem Nutzen für ihre Zwecke zu sein schienen. In welcher Weise Wagners Schaffen zumeist in Verfremdung seiner selbst eigentlich zum bloßen Mittel zum Zweck wurde, belegt Bermbach zweifellos. Es ist dabei immer wieder die Herauslösung einzelner Aspekte aus Wagners Denken oder einzelner Momente aus seinen Werken, an der Bermbach durch (Re)Kontextualisierungen nachweist, wie Verkürzungen und Verengungen der meist weitaus komplexeren Wagner‘schen Texte und Werke den jeweiligen Autoren zu deren Ausnutzung gedient haben. Dies zeigt etwa das Beispiel von Bernhard Försters Projekt eines ‚Neu-Germaniens‘ im südamerikanischen Urwald (Kapitel ‚Richard Wagners Weg in den Urwald‘), anhand dessen Bermbach nicht nur fragen, sondern zeigen kann, dass Förster sich auf Wagner „berief […], weil er sich bei ihm in der Tat in selektiver Weise bedienen konnte, ohne auf den Gesamtzusammenhang seines Denkens zu achten“. Dies ist an dem argumentativ klar belegten Nachweis zu erkennen, dass Hitlers Beanspruchung eine völlige Verkehrung des Wagner’schen Werkes ist und hauptsächlich dessen nazistische Ausbeutung darstellt.

Diese Stellen stehen exemplarisch für Bermbachs insgesamt unzweideutig kritischen Ton und die breite Differenzierung der einzelnen Argumentationsfelder, mit denen der Band sich weiterführend auch als äußerst fundierter Ansatz lesen lässt, über die Wagner-Rezeption außerhalb der deutschen Grenzen nachzudenken, wie dies 2010 etwa bei einem Kongress an der Wiener Europäischen Musiktheater-Akademie mit Blick auf den „Ring des Nibelungen“ geschah.

Titelbild

Udo Bermbach: Richard Wagner in Deutschland. Rezeption - Verfälschungen.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2011.
508 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783476018847

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