Überleben genügt nicht

Hwang Sun-Won schreibt einen Roman über die koreanische Nachkriegszeit

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Krieg, wenn er aus ist, ist noch lange nicht aus. Zum Beispiel so: Ein Trupp erkundet ein scheinbar verlassenes Dorf. Spuren deuten darauf hin, dass vor nicht allzu langer Zeit der Feind da war. Nun aber sind alle Bewohner geflüchtet, bis auf eine Frau mit ihrem Baby, das wohl einen Marsch nicht überlebt hätte. Zunächst verläuft alles gewaltlos, der Trupp zieht sich auch zurück. Doch nachts schleicht sein Befehlshaber zu ihr, schläft mit ihr und berichtet danach seinen Leuten: „Sie fürchtete sich und wollte, dass ich bei ihr bleibe. Das ging ja aber wohl nicht, oder? Also musste ich sie loswerden. Das war’s.“

Natürlich war es das nicht. Zwar kümmert sich niemand um eine Leiche mehr in dem an Massakern überreichen Korea-Krieg. In der Endphase 1953 war das Töten allzu normal geworden. Doch lasten die vergangenen Verbrechen genauso wie die verlorenen Freunde auf der kleinen Gruppe von Unteroffizieren, deren Kriegs- und Nachkriegsschicksal Hwang Sun-Won in seinem zuerst 1960 erschienenen Roman „Bäume am Abhang“ schildert.

Der Feldwebel Hyeon-Tae, der in jener Nacht zu einem der unzähligen Mörder wurde, ist eigentlich kein schlechter Kerl. Seinen Freunden, besonders dem zurückhaltenderen Tong-Ho, hat er mehr als nur einmal das Leben gerettet. Er lädt großzügig ein, er sorgt für seine Freunde, er hasst die Feinde nicht. Dennoch bringt er den Menschen, denen er begegnet, am Ende Unglück. Kaum jemand, der den Krieg überlebt, kommt unbeschädigt durch die Nachkriegszeit, deren Schilderung den Großteil des Romans ausmacht. Nach dem Waffenstillstand beschäftigen sich die Soldaten im Militärlager mit Alkohol, Prostituierten und schlimmen Erinnerungen. Im Zivilleben wird es dann nicht besser, und eine Messerstecherei gilt nicht als große Sache.

Der Roman ist gut konstruiert. Anders als die koreanischen Leser vor einem halben Jahrhundert dürften deutsche Leser heute kaum Identifikationsmöglichkeiten mit den Hauptfiguren finden. Psychologie und Handlungsführung aber sind derart überzeugend, dass die Lektüre spannend bleibt. Das Thema bleibt ohnehin aktuell: Die meisten derer, die Gewalt intensiv erlebt haben, sei es als Täter oder als Opfer, sind in ihrer Persönlichkeit davon gezeichnet.

In gewisser Weise ist dies ein Männerbuch, insofern die Hauptfiguren alle Männer sind. Doch ist das Verhältnis zwischen den Geschlechtern durchgehend Thema – nicht zufällig ist das Gewaltopfer in der Eingangsepisode eine Frau. Verhängnisvoll ist jedoch nicht nur die brutale Sexualität ihres Mörders Hyeon-Tae. Auch die kruden Vorstellungen seines Antipoden Tong-Ho, die auf Reinheit und Moral fixiert sind, fordern Opfer. Am Ende behauptet sich, auf gänzlich unerwartete Weise, allein dessen Verlobte Sug.

Die Übersetzung wirkt nah am koreanischen Sprachduktus, manchmal vielleicht etwas zu nah. Leider fehlt ein Nachwort, das Autor und historischen Kontext vorstellt; es hätte dazu beitragen können, dass der Roman die verständigen Leser findet, die er verdient. Zu hoffen ist, dass weitere Bücher des in Südkorea äußerst angesehenen Hwang Sun-Won das deutsche Publikum erreichen.

Titelbild

Sun-Won Hwang: Bäume am Abhang. Roman.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee und Martin Herbst.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2011.
236 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783826046223

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