Re-Figurationen der Angst

Typologien des terroristischen Monsters im Gegenwartskino

Von Lars KochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lars Koch

Die Frage nach dem Zusammenhang von Angst, Terror und Gegenwartskino ist schwieriger zu beantworten als es zunächst scheint. Aktuelle Publikationen, die einen Nachweis über die ideologische Imprägnierung populärer Spielfilme im Dienste einer Politik der Angst erbringen wollen, reduzieren die Komplexität der Aufgabenstellung, weil sie schon voraussetzen zu wissen, was die Begriffe Angst, Terror und Gegenwartskino bedeuten (vgl. Bürger; Prince; Cettl).

Gegenüber einer solchen Ideologiekritik ist der nachfolgende Ansatz bescheidener perspektiviert. Er versteht sich als Versuch, exemplarisch Aspekte des kulturellen Imaginären des gegenwartsaktuellen Terrors zu rekonstruieren. Er will in diesem Sinne zeitdiagnostisch Arbeit an Begriffen leisten und zeigen, dass insbesondere das Gegenwartskino ein Ort ist, an dem das Phänomen „Terror“ in seinem ambivalenten Changieren zwischen Faszination und Angst zur Sprache und ins Bild kommen kann.

In einem zweiten Schritt geht es darum, den Inhalt des Begriffs „Terror“ genauer auszudifferenzieren. Jenseits politischer Adressierungen soll deutlich werden, dass sich ein tertium comparationis aller Emanationen des Terrors aus seiner konstitutiven Relationierung von Gewalt und kollektiver Angst ergibt. Die Wirkung des Terrors besteht in einer Entgrenzung von Bedrohungsgefühlen. Legt man den Fokus auf seine Affekt-und Wirkungsgeschichte, dann zeigt sich, dass er eine narrative Qualität aufweist, mit Hilfe derer man ein allgemeines Unbehagen in der Kultur zur Sprache bringen kann. Im Zeitalter der „global flows“ hat Angst Hochkonjunktur. Filmische Inszenierungen von Terror und Gewalt berichten in diesem Sinne immer auch davon, dass die Topografien der Gegenwart unübersichtlich und individuelle Zukünfte problematisch geworden sind. In der Imagination des Attentäters, der jederzeit zuschlagen und jedermann treffen kann, verdichten sich die Verunsicherungen der „flüssigen Moderne“ (Baumann) zu einer medial organisierten „Sozialfigur“ (Moebius, Schroer), die diffuse Angst in ein konkretes Furchtszenario zurückübersetzt. Aus dieser Überlegung resultiert der Ansatz, dem terroristischen Schläfer eine zweite Angst-Figuration zur Seite zu stellen: den Amokläufer. Wie der Schläfer, so ist auch der Amokläufer eine Chiffre absoluter Feindschaft, die ihren fantasmatischen Mehrwert daraus schöpft, nicht lesbar und nicht lokalisierbar zu sein. Schläfer wie Amokläufer personalisieren jene Friktionen, von denen Michel Foucault mit Blick auf die westliche Moderne behauptet, sie zögen sich wie „eine Schlachtlinie […] durchgängig und dauerhaft durch die gesamte Gesellschaft“ (Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft). Beide Figuren erlauben im Sinne einer „Heuristik der Furcht“ (Jonas) einen Blick auf die subkutanen Konfliktkonstellationen der Gegenwart. Ihr filmisches In-Aktion-Treten markiert einen diagnostischen Störfall, der als „reentry“ die diskursiven Voraussetzungen von Normalitätsvorstellungen und Ordnungen des Politischen sichtbar werden lässt. Geht man davon aus, dass an das Auftreten von Schläfern und Amokläufern Narrative der Transgression geknüpft sind, die von Ereignissen der Denormalisierung berichten, dann stellt sich unweigerlich die Frage nach Strategien und Politiken der Renormalisierung. Dementsprechend endet dieser Beitrag mit einigen Anmerkungen zu einer Politik der Prävention, die sich immer mehr als politische Signatur der Gegenwart herauskristallisiert.

I. Gegenwartskino und das kulturelle Imaginäre des Terrors

Nachfolgend soll der populäre Spielfilm als ein Medium begriffen werden, das fundamentale gesellschaftliche Konfliktlagen zur Sprache bringt und symbolischen Lösungen zuführt. Folgt man Lorenz Engell, so hat sich das Kino über die letzten rund 100 Jahre hinweg im Fokus auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse immer wieder als Seismograf, Katalysator und Reflexionsmedium von als krisenhaft erlebten Ausnahmezuständen erwiesen (Engell). Der Film ist nicht nur privilegierter Speicher des Zeitgeistes, sondern liefert als Bedeutungsgenerator zugleich einen Beitrag zu einer komplexen Signifikationsdynamik, die im Zuge einer Politik des Kulturellen die kommunikative Bewertung kultureller, sozialer und politischer Irritationen vorantreibt. Er übersetzt politische oder soziale Ereignisse auf dem Wege direkter Bezugnahme oder mittels Techniken der Substitution, Überzeichnung oder Verstellung in seinen eigenen audiovisuellen Kosmos.

Als Teil der Repräsentationsordnung einer Gesellschaft artikulieren sich in den filmischen Bildwelten „aktuelle soziale Diskurse“ und „gesellschaftliche Konflikte“ (Mai, Winter). In einem solchen „Krisenkino“ (vgl. Koch, Wende) werden zurückliegende Einschnitte normalisierend evoziert und künftige Konfliktlagen imaginiert. Filme können als kognitive Karten des politisch Unbewussten gelesen werden (vgl. Jameson), die grundlegende Verteilungen der Macht gemäß den Codes ihrer dispositiven Programmierung zur Ansicht bringen und Anschlusskommunikation ermöglichen. Die populärkulturelle Imagination ist eine Projektionsfläche, auf der die schlimmsten Ängste einer Epoche als ästhetisches Ausgangsmaterial in Szene gesetzt werden können. Der Film wird so zu einem Medium des „Gefahrensinns“ (Engel, Siegert, Vogl), der in seinen Geschichten von Infiltration, Infektion und Konfrontation zeigt, welchen terroristischen Anfeindungen die scheinbare Sicherheit der gesellschaftlichen Normalität ausgesetzt sein könnte.

Ist damit das Kino einerseits ein Ort, an dem spezifische Gefahrenhorizonte imaginiert und Rezipientenkörper mit Hilfe von Immersionstechniken terrorisiert werden können, so zeitigt das Genre des Krisenfilms andererseits in der Summe der von ihm erzählten Geschichten einen gegenteiligen Effekt: Der spezifische Reiz, der für viele Zuschauer von den erzählten Geschichten ausgeht, liegt neben den ästhetischen Sensationen, mit denen diese ausgestattet sind, auf narrativer Ebene darin begründet, dass jeder Anomalie auf dem Wege diegetischer Verkettungen eine Rückkehr zum status quo ante nachfolgt. Das Krisenkino steht unter einem konservativen Regime, das einen spezifischen Zugriff auf die „Aufteilung der sinnlichen Welt“ (Rancière) und das Schicksal der in ihr handelnden Akteure hat und das Gewaltereignis als Ausgangspunkt einer weitestgehenden Renormalisierung darstellt (vgl. Link). Ist mit diesem Hinweis einerseits eine Kritik an der affirmativen Haltung des Hollywood-Kinos verbunden, so bleibt im Hinblick auf die Terror-Angst allerdings die Frage bestehen, wie solche Filme emotionspolitisch zu bewerten sind, die das angst-induzierende Terror-Szenario kritisch hinterfragen. Diesem gegendiskursiven Film ist positiv anzurechnen, dass er die gemeinhin invisibilisierte Einheit der Unterscheidung von Freund und Feind in ihren naturalisierenden politischen Effekten sichtbar macht. Solange er sich dabei aber weiterhin in den ästhetischen Konventionen des Populären bewegt, läuft er Gefahr, die Bedrohungsplausibilität des Terrors in Form eines konsumierbaren „otherings“ latent zu halten und sich so selbst als untergründiger Parasit seiner auf der Oberflächenebene behaupteten Deeskalationspolitik zu positionieren.

II. Figurationen des Terrors: Schläfer und Amokläufer

Die in steigender Frequenz die Zeitungsschlagzeilen bevölkernden office-, campus-und school-shootings auf der einen Seite, die Anschläge von New York, London und Madrid auf der anderen, haben die Begriffe ‚Amoklauf‘ und ‚Terroranschlag‘ zu ‚schwarzen Löchern‘ der westlichen Gegenwartskultur werden lassen, die in paradigmatischer Weise die Auslegungsbedürftigkeit der modernen Lebensverhältnisse heraufbeschwören. Das besondere Angst-und Verunsicherungspotenzial dieser beiden Figurationen resultiert aus einem erklärungsbedürftigen Ausbruch radikaler Feindschaft, der „aus der Mitte der Gesellschaft selbst stammt“ (Vogl, „Gesetze des Amok“). Das zerstörerische Andere ist im Fall von Amokläufer und Schläfer eben nicht das ganz Andere, das über einen Akt der Negation genau zu bestimmen wäre, sondern Teil des kollektiven Selbst. Verstanden als Wiederkehr der verdrängten Peripherie im Zentrum gibt es im Falle des Schläfers oder des Amokläufers keine Demarkationslinie, die es gestatten würde, den gesellschaftsfeindlichen Gewalttäter „genau auszumachen, [denn] er befindet sich selbst im Herzen jener Kultur, die ihn bekämpft“ (Baudrillard).

Beide Figurationen beharren zudem darauf, dass sie sich nicht nach den üblichen systemimmanenten Verrechnungsmethoden normalisieren lassen, sondern als untauschbarer Rest das System bekämpfen wollen und werden. Die Substantialität dieses störenden Rests ist die plötzliche, nicht voraussehbare Gewalt des Anschlags, die sich in einem zivilen Milieu als unvermittelter Ausbruch von Chaos und Tod manifestiert. Schläfer und Amokläufer sind als „fusion figures“ (Donna Harraway) zu begreifen, die in der Erzeugung von Terror nicht mehr zwischen legitimer Kampfzone und Hinterland, zwischen Kombattanten und Unbeteiligten unterscheiden.

Die von Amokläufer und Schläfer ausgeübte Gewalt ist nicht unbedingt der Motivation nach, aber im Hinblick auf die von der Umgebungsgesellschaft wahrgenommene Art ihrer Manifestation vergleichbar. Schläfer und Amokläufer üben autotelische Gewalt aus: „Autotelische Gewalt zerstört den Körper nicht, weil es dazu kommt, sondern um ihn zu zerstören. […] Autotelische Gewalt ist die Gewalt, die uns am meisten verstört, die sich dem Verständnis, auch dem Erklären weitestgehend zu entziehen scheint“ (Reemtsma). Diese Gewalt-Form, die sich nur schwer Zweck-Mittel-Relationen zurechnen lässt, findet in der massenmedialen Alltagskommunikation keinen Ort, an dem sie ungeschminkt zur Sprache kommen kann. Einzig die Populärkultur eröffnet eine Bühne, auf der sie ab und an die sozialen Fiktionen symbolischer Eindeutigkeit durchstößt und als Einbruch des Realen für Unruhe sorgt.

Das Besondere der Gewalttaten absoluter Feinde ist ihre Vehemenz. Die von ihnen ausgehenden Bedrohungsszenarien irritieren unseren risikokalkulierenden Umgang mit Zukunft nachhaltig, weil sich die dort artikulierende Aktionsmacht den typischen Formen von Handlungsrationalität und Effizienzdenken widersetzt. Neben der Wahllosigkeit der Opfer schockiert der Anschlag die Gesellschaft auch deshalb, weil er spätmoderne Zeitbudgets auf Punkt-Zeit zusammen surren lässt. „Wie das Attentat ist der Amoklauf Gewalt ohne Vorwarnung“ (Sofsky). Diese Plötzlichkeit der Tat ist es, welche autotelische Gewalt und moderne Zeiterfahrung sinnlich kurzschließt. Spielfilme wie etwa Abel Ferraras „The Funeral“ (USA 1996) oder Michael Hanekes „71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“ (Österreich 1994) inszenieren den Amoklauf als einen todbringenden Akt, der vom kalten Schweigen des Täters begleitet wird. Aufgrund dieses auffälligen sozialen Musters ordnen sie den Figuren des Schläfers und des Amokläufers eine besondere ästhetische Valenz zu, weil sich in der Kombination von Plötzlichkeit und Stummheit – die Gespenstigkeit der Amok-Szene ergibt sich auch aus der Wortlosigkeit der Tat – ein Moment des Dämonischen manifestiert, von dem schon Sören Kirkegaard zu berichten wusste, dass sein Auftreten einen enormen Überwältigungseffekt impliziert: Nicht das entsetzlichste Wort, das aus dem Abgrund der Bosheit hervorspringt, vermag die Wirkung hervorzubringen, wie die Plötzlichkeit des Sprunges, die innerhalb des Bereiches des Mimischen liegt. [… A]lle Verzweiflung und alles Grauen des Bösen zusammengefasst in einem einzigen Wort ist nicht so grauenvoll, wie es das Schweigen ist (Kierkegaard).

Dieses Schweigen, das mehr sagt als tausend Worte, ist ein „Abbruch von Beziehungen“ (Benjamin, 184) im Medium der Nicht-Sprache, die Verweigerung einer Adresse, an die die hermeneutische Frage nach dem „Warum?“ der Tat gerichtet werden könnte. Die zeitliche Unbestimmtheit des In-Aktion-Tretens macht die Fantasmen des Schläfers und des Amokläufers filmisch de facto zu Figurationen des Terrors im Sinne Anne Radcliffes, die diesen schon 1826 mit dem Modus einer bangen Erwartung verbindet (vgl. Radcliffe). Dort, wo das Kino von Schläfern und Amokläufern erzählt, spielt es die Klaviatur eines kollektiven „Erwartungsaffekts“, der angesichts ihrer unheimlichen Gespenstigkeit die Unsicherheit der Zukunft in Szene setzt. Ernst Blochs Definition der Angst als einer „Erwartung nach der unbestimmt-finsteren Seite, nach der Seite des würgenden, starrenden Nichts im Real-Möglichen“ (Bloch) hin, übersetzt sich im Szenario von Terror-beziehungsweise Amok-Ereignissen in eine temporale Struktur, die sich als ein Ineinander von gespannter Zeitdehnung und katastrophischer Punkt-Zeit beschreiben lässt: „Die Prognose ist düster: Als Produkt der Gewalt, die ihn zu unterdrücken sucht, schuf der Terrorismus ein Trauma, das nicht durch Trauer gelindert werden kann, weil das Herz des Traumas nicht das vergangene Ereignis ist, sondern die Angst vor einem zukünftigen Ereignis, dessen katastrophische Natur nur geraten werden kann“ (Derrida, „Autoimmunisierungen“).

In der Imagination von Schläfer und Amokläufer artikuliert sich ein Wissen um den „verborgene[n] Einschluss einer gefährlichen Zukunft in der Gegenwart“ (Engell, Siegert, Vogl), das unsere Medienerzählungen in besonderer Weise affiziert. Amok und Terror stellen Denormalisierungsereignisse dar, die eine Absage an die „Kontinuität des Zeitbewusstseins“ (Bohrer) personifizieren und ein latentes Wissen davon anzeigen, dass an der äußeren Grenze geopolitische und der inneren Grenze sozioökonomische Spannungsintensitäten nach einer Kanalisierung suchen. Das besondere Angstpotenzial von Schläfern und Amokläufern resultiert aus der schockierenden Wucht der Tat in Korrelation zur Unterbestimmtheit der jeweiligen Akteure: „Es ist“ – so Gilles Deleuze – „ein dürftiges Konzept zur Herstellung eines Ungeheuers, verschiedene Bestimmungen aufzuhäufen oder das Tier überzudeterminieren. Besser lässt man den Untergrund aufsteigen und die Form schwinden“ (Deleuze).

Schläfer und Amokläufer machen Angst, weil sie nicht lesbar sind, weil in der Gefahrenanamnese das Zusammenspiel von „Ordnung und Ortung“ (Carl Schmitt) fehl läuft. Deutlich wird dieser Befund eines feindspezifischen Orientierungsverlust in einer Szene aus Spike Lees Spielfilm „Inside Man“ (USA 2005): Beim fluchtartigen Verlassen der Bank sind Bankräuber und Geiseln gleichermaßen in Arbeitsoveralls und Masken gekleidet und damit für die Polizei nicht zu unterscheiden. Der nachfolgende Versuch, die wimmelnde Masse der anonymisierten Körper erkennungsdienstlich zu ordnen, zu unterscheiden, wer Freund und wer Feind ist, scheitert, weil weder physiognomisch noch habituell eine Differenz erkennbar ist.

Die Proliferation der Unterscheidungsproblematik, die sich in „Inside Man“ vom eigentlichen Terrorkontext emanzipiert, zeigt, wie omnipräsent die Figuren Schläfer und Amokläufer im populären Film der letzten Jahre sind. Es braucht keine konkrete inhaltliche Referenz, um das angstimprägnierte Bedrohungspotenzial der Unlesbarkeit dramaturgisch einsetzen zu können. Bringt diese Nicht-Lokalisierbarkeit und Unlesbarkeit des Feindes an sich schon ein Moment tiefer Beunruhigung mit sich, so verstärkt sich dieses noch durch die zeitliche Durchkreuzung von Normalzeit und Tatzeit: Für den Schläfer wie für den Amokläufer gilt, dass ihr Verletzungsextremismus darin besteht, dass auf ihren jeweiligen avant coup keine Reaktion und keine zeitnahe Gegengewalt folgen kann. Die Handlungsmöglichkeiten der gewaltsamen Verteidigung oder planbaren Abwehr sind sehr begrenzt. Die soziale, politische und polizeiliche Antwort auf die Plötzlichkeit der Gewalt ist stets eine des après coup, eine des hoffnungslosen Zu-spät. Zwischen Aktion und Reaktion besteht eine fundamentale Asymmetrie, die aus dem „Auslöschungswissen“ (Sloterdijk) der Akteure herrührt.

Prägnant kommt dies in einer Szene aus dem an das Columbine-Highschool-Massaker angelehnten Film „Elephant“ (USA 2004) von Gus van Sant zum Ausdruck, in der einer der beiden späteren Amokläufer die Schulmensa besucht und – von den anderen Schülern völlig unbemerkt – sein Einsatzgebiet akribisch kartiert. Indem die Kamera den wissenden Zuschauer auf die ahnungslosen Gesichter der späteren Opfer blicken lässt, reproduziert sie genau jenen kollektiven Erwartungsaffekt der Angst, der aus dem Verhältnis von spezifischem Amok-Wissen und Nicht-Lokalisierbarkeit des Amok-Ortes resultiert. Soll es dennoch möglich sein, gegenüber der Latenz von Amokläufern und Schläfern Strategien der Abwehr zu implementieren, so bedarf es einer möglichst konkreten Vorstellung darüber, wer wann und wo angreifen könnte. „Abwehr ist damit immer auch ein epistemologischer Vorgang, ein Prozess der Erzeugung und Formatierung von Wissen: in diesem Fall des Wissens vom Feind“ (Horn).

Nimmt man vor dem Hintergrund dieser Überlegung Carl Schmitts Diktum, wonach der Feind unsere eigene Frage als Gestalt sei, ernst (Schmitt), dann bekommt das Nachdenken über absolute Feindschaft eine zweite Ebene, die die kulturelle Konstitution der westlichen Gesellschaften selbst betrifft. Hier wird das Denken Giorgio Agambens relevant, der im Hinblick auf die Sichtbarmachung der latenten Exterritorialisierungspraktiken der Gesellschaft die Figur des „Homo Sacer“ (vgl. Agamben) profiliert hat, einen Typus des nackten Lebens, der als eingeschlossener Ausgeschlossener konstitutiv für die soziale und politische Kohärenz der Gesellschaft ist. Hieran anschließend ist der Feind „das gespeicherte Wissen von Ausschlussprozessen“ (Vogl, „Warum brauchen Völker Feinde“). Filmische Erzählungen über Schläfer und Amokläufer leisten genau dies: Arbeit am Begriff und Profil von Feindschaft. Dass es sich dabei nicht um die Verarbeitung eines ganz Anderen handelt, sondern um die mediale Evokation einer Irritation, die von den sozialen Prozessen der westlichen Gesellschaft als ein ihr Äußeres selbst produziert wird, zeigt sich, wenn die Attribute in den Blick geraten, die die filmischen Repräsentationen der beiden Angst-Figuren in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft als unheimliche Doppelgänger bestimmen.

III. Das Schläfer-Fantasma als Perforierung der Wahrnehmung

Amokläufer wie Schläfer zeichnen sich durch eine Handlungsradikalität aus, die das an Dekonstruktion und Kulturrelativismus geschulte Denken der westlichen Gesellschaft irritiert. Amokläufer und Schläfer sind bereit, den eigenen Tod als Waffe einzusetzen. Beide Figurationen rekurrieren in ihrem Tun auf einen elitären Wahrhaftigkeitsbegriff, der keine Kompromisse macht. So opak die Beweggründe von Amokläufern und Schläfern realiter sein mögen, deuten die spärlichen charakterlichen Zeichnungen ihrer filmischen Doppelgänger auf eine Form existenzieller Unbedingtheit, die ebenso fasziniert wie beängstigt.

So legitimieren beide Film-Figurationen ihr Handeln aus einem Leiden an der „atonalen Welt“, an einer Welt, der ein Punkt, ein Ort möglicher Unterbrechung fehlt (Badiou). Diese „äußerste Komplexität der Welt“ erzeugt eine „unbestimmte Angst“ (Luhmann), die die klärende Tat als Transformation von „Flüssigkeit“ in Eindeutigkeit attraktiv erscheinen lässt. Als Akteure, die mit ihren Aktionen eine „negation of a given order“ (Ernesto Laclau) artikulieren, werden sie zu Vehikeln literarisch-medialer und theoretischer Transgressionsfantasien, die eine andere Gesellschaft jenseits aktueller Normierungsdiskurse imaginieren.

Hierher rührt ihr implizites Faszinationspotenzial auf die Gegenwartskultur: Das Auftreten von Schläfern und Amokläufern verweist auf eine Welt, in der sich die Ereignisse von den Gründen abgekoppelt haben und beinhaltet das implizite Versprechen, die überbordende Komplexität nicht widerstandslos hinzunehmen. Damit bieten Schläfer und Amokläufer als populärkulturelle Re-Figurationen der Angst eine Projektionsfläche, auf der die aus der Unübersichtlichkeit und Nichtrepräsentierbarkeit des Weltsystems resultierende, diffuse Angst in konkrete Furchtszenarien zurückübersetzt werden kann. Dementsprechend lassen sich beide Figurationen als Repräsentationen unterschwelliger sozio-ökonomischer und politischer Friktionen lesen, die im Untergrund der vermeintlichen Konsensgesellschaften des Westens ein Eigenleben führen.

Eine solche Lektüre, die sich nicht für die Stimmigkeit individualpsychologischer Fallgeschichten interessiert, sondern fragt, welche Anschlusskommunikationen das Auftreten von Schläfern und Amokläufern in den Diskursen unserer Gegenwartskultur ermöglicht beziehungsweise voraussetzt, soll hier anhand zweier Filmbeispiele angedeutet werden. Zunächst zur Figur des Schläfers, die – man den denke an die Fernsehserien „24“ (USA 2001-2009), „Sleeper Cell“ (USA 2005-2006) und „Jericho“ (USA 2006-2008), oder an Spielfilme wie „Panic Room“ (USA 2002), „Body of Lies“ (USA 2007) oder „Traitor“ (USA 2008) – in den Bildwelten der Gegenwart nahezu omnipräsent ist.

Der Schläfer beerbt als Faszinationsgestalt die Figur des kommunistischen Verschwörers, wie er im Spielfilm der 1950er- und 1960er-Jahre profiliert wurde, transponiert den an diesen gekoppelten, paranoischen Impuls einer militärischen Denkweise aber in eine zivile Aufklärungslogik und verpflanzt ihn in die vertrauten Settings der Vor-und Innenstädte. Dieser Switch lässt aus der fraglosen Zuhandenheit der bekannten Stadt-Topografie eine unheimliche Vorhandenheit urbaner Einsatzzonen werden: „Der Schläfer ist jedermanns Nachbar und gerade damit eine höchste, weil unmerkliche Gefahr. […] Seine Geschichte ist die Geschichtslosigkeit, seine Kennung die Unauffälligkeit, seine Gefährlichkeit das Nichtstun. […] Er repräsentiert so etwas wie Systemangst, dass heißt eine Angst davor, dass wir hier, in dieser Gesellschaft, tagtäglich unbestimmte Gefahrenadressen produzieren“ (Vogl, „Die Unheimlichkeit des Terrorismus“).

Setzt sich der Schläfer als Figur gefährlicher Mimikry in Szene, so reagiert die Umgebungsgesellschaft hierauf mit Verfahren der Abwehr, die auf Praktiken der Ortung aufbauen. Den interiorisierten Feind zu markieren, ihn kenntlich zu machen, ist zentrale Aufgabe von Polizei und Geheimdiensten. Da Semiotik und Intentionalität des Schläfers trotz aller nachrichtendienstlichen Anstrengungen nicht ohne weiteres zu eruieren sind, kommt es zudem zu einer die Zivilgesellschaft perforierenden Entgrenzung des Verdachts, der als eine neue Form der „Kontrolle […] die Gesamtheit sozialer Beziehungen durchdringt“ (Hardt, Negri). Das Kino greift die sich auftuende Spaltung zwischen Oberfläche und submedialen Raum auf, unterwirft sie einer Dramaturgie des Indizienparadigmas und koppelt die zur Ansicht gebrachte Spurenlese an Verfahren der Wahrheitsproduktion, deren zentrale Praktik die der Folter ist.

Folter ist seit 2001 – herausgefordert durch die Realitätsreferenz Abu Ghraib, aber begründet auch in der Sehnsucht, das Wahrhaftigkeitsversprechen unbedingter Feindschaft im Medium des Schmerzes als ideologische Verwirrung zu desavouieren – als gewalttätige Produktion von Selbstpreisgaben und Geständnissen zu einem zentralen Sujet aktueller Spielfilme und Fernsehserien geworden. Während die Fernsehserie „24“ im Hinblick auf die Rechtfertigung brutalster Verhörmethoden eine ambivalente Haltung einnimmt und immer wiederholt die utilitaristische Denkfigur „Einen opfern, Tausende retten“ ins Spiel bringt, tendieren aktuelle US-amerikanische Filmproduktionen wie „Civic Duty“ (USA 2006), „Rendition“ (USA 2007) oder „Unthinkable“ (USA 2010) dazu, die Folter-affine Rationalität des Gefahrenvorgriffs in ihrem Verhältnis zur Rechtsordnung zu untersuchen und vor allem die normativen Kosten herauszustellen, die die Preisgabe von Bürgerrechten nach sich zieht.

Ein deutscher Film, der eine solche Reflektion des Klimas der Angst geleistet hat, ist Benjamin Heisenbergs „Schläfer“ aus dem Jahre 2005. „Schläfer“ beobachtet, wie nach 9/11 auch in der Peripherie der deutschen Normalität ein Verdachtsdenken um sich greift, das mit bürgerlichen Grundrechten nur schwer zu vereinbaren ist. „Schläfer“ zeigt, was passiert, wenn es im Namen von Gefahrenabwehr zu einer staatlichen Indienstnahme von Zivilpersonen kommt, die – ihrerseits zu „Schläfern“ umfunktioniert – in den Nahbereich von verdächtigen Personen eindringen und Informationen liefern sollen. Heisenbergs Film interessiert sich weniger für die nachrichtendienstliche Faktizität des Schläfers als vielmehr für die Effekte der „Autoimmunisierung“ (vgl. Derrida, „Autoimmunisierungen“), die das Schläfer-Fantasma in der Umgebungsgesellschaft erzeugt.

Die Forderung nach permanenter Wachsamkeit ist Ausgangspunkt einer verdachtsinduzierten Proto-Paranoia, die sich im Spannungsfeld von Zufall und Zeichenhaftigkeit auf der Suche nach einem Decodierungsschlüssel selbstreferenziell um sich selber dreht. Der Film beginnt mit einer Szene in einem Münchener Park, in der der ehrgeizige Biologie-Doktorand Johannes (Bastian Trost), gerade von Berlin in die bayrische Landeshauptstadt gezogen, wie beiläufig von einer Vertreterin des Verfassungsschutzes in ein Gespräch verwickelt und dazu aufgefordert wird, ein Auge auf den zukünftigen Kollegen Farid (Mehdi Nebbou) zu haben, weil dieser in terroristische Aktivitäten verstrickt sein könnte.

Dieser Konjunktiv, der kontradiktorisch zur verfassungsrechtlich geforderten Unschuldsvermutung steht, ist das eigentliche Thema des Films. Für die Art und Weise, wie der im Raum stehende Verdacht die Wahrnehmung des Protagonisten präformiert, findet Heisenberg eine narrativ wie ästhetisch gelungene Lösung. Die sich im Fortgang anbahnende Freundschaft zwischen Johannes und Farid steht von vorneherein im Schatten von Misstrauen und Zweifel. Johannes begibt sich, getrieben von beruflichen und privaten Konkurrenzgefühlen, auf eine Spurensuche, wobei der Film es vermeidet, das ambivalente Taumeln zwischen „conspiracy“ und „contingency“ zu vereindeutigen.

Den ersten Besuch von Johannes in der Wohnung Farids etwa zeigt Heisenberg in mit der Handkamera gedrehten Bildern, die der Kadrierung eine unruhige, nervös-suchende Ausstrahlung verleihen. Gleichwohl Farid einen westlichen Lebensstil pflegt und eine Forscherkarriere anstrebt, gewinnt der Blick auf einen Gebetsteppich, auf dem eine Fernbedienung liegt, im Kontext des Verdachts sofort eine terroristische Qualität. Hier, wie in anderen Momenten, in denen der Film mit sehr statischen Bildkompositionen arbeitet, die eine kalte Atmosphäre von Latenz und Beobachtung erzeugen, verschiebt sich die Frage nach der terroristischen Gefahr weg von der Möglichkeit einer Tat und hin zum frei flottierenden Fantasma der Unterwanderung.

Die vom Verfassungsschutz ausgesprochene Aufforderung zur Beobachtung wirkt auf Johannes wie ein Akt der Interpellation, der seine Subjektivität neu kalibriert und die Vertrautheit seines Lebensumfelds mit einem Schlag außer Kraft setzt. Der von Johannes gegenüber Farid geäußerte Satz, „das Schlimmste im Leben ist, dass man jeden verstehen kann“, zeigt zudem, wie sehr das Schläfer-Phantasma der Unlesbarkeit als Komplementarität zu einem postmodernen Habitus der situationsbezogenen Selbsterfindung und des rollensensiblen Spiels mit den Zeichen fungiert.

Dass Farid am Schluss des Films festgenommen wird und Johannes es unterlässt, ihn durch ein Alibi zu entlasten, ist nur konsequent in einer Welt untergründiger Friktionen, in der Wissen nicht moralische Verpflichtung, sondern Basis einer taktischen Überlegenheit ist. Heisenbergs „Schläfer“ führt dementsprechend einerseits vor, welche Rückkopplungseffekte die im Namen der Gefahrenabwehr betriebene Militarisierung des Alltäglichen nach sich zieht. Andererseits zeigt der Film in der Figur des vermeintlichen Schläfers, dass der Feind expressis verbis als unsere eigene, Gestalt gewordene Frage zu begreifen ist. Gerade weil der Feind strukturell unterbestimmt bleibt, entsteht ein Gefahrensinn, der jede Frage nach der Verhältnismäßigkeit als Verharmlosung negiert. Das spezifische Noch-Nicht der von der Figur des Schläfers ausgehenden Gefahr legitimiert eine Politik der Prävention, die sich als Falte im Sinne von Gilles Deleuze denken lässt, als Modus einer Verwerfung des Rechtssystems.

IV. Der Amoklauf als kulturkritisches Narrativ

Auch für den Amokläufer ist die Tat ein kommunikativer Akt, der zwar eine Differenz setzt, dessen Informationswert aber nur schwer zu erfassen ist. Seit dem Beginn der westlichen Kulturgeschichte des Amoks stehen Beobachter ratlos vor Ereignissen, die sich als „typische Katastrophe[n] in westlichen Gesellschaften“ (Vogl, „Epoche des Amok“) auf einer Beobachter-Ebene erster Ordnung kaum narrativ renormalisieren lassen, auf der Beobachter-Ebene zweiter Ordnung allerdings eine intrinsische Verbindung zum Schläfer-Fantasma aufweisen, vor allem dann, wenn man auf die Medienerzählungen schaut, die von ihrem Auftreten initiiert werden. Zunächst als Phänomen malaiischer Kriegspraktiken in portugiesischen, englischen und holländischen Reiseberichten des 16. und 17. Jahrhunderts beschrieben, später in medizinisch-psychiatrischen Diskursen als pathologischer Körperzustand verortet und auch in die literarische Fiktionalität einwandernd (vgl. Vogl, „Zur Geschichte von Gefahr und Gefährlichkeit“), realisiert sich die Ausbreitungsgeschichte des Amok seit den 1960er-Jahren als massenmediales Phänomen (vgl. Christians). Dies insbesondere auch dadurch, dass sich die Erschütterungswirkung des Ereignisses als Zusammenspiel von Tat und Berichterstattung darstellt, geknüpft an das Eingeständnis, dass zwar das „Das“ konstatiert, aber kaum das „Warum?“ befriedigend geklärt werden kann. Als Störung der Normalität, die kollektive Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte auseinander treten lässt, wird der Amok zur Herausforderung und zum Attraktor des Populären, das sich vor allem auf die Verunsicherung artikulierende „Inszenierung einer hyperbolischen Kriegslandschaft mitten in einem scheinbaren Frieden“ (Vogl, „Epoche des Amoks“) fokussiert.

Gus van Sants „Elephant“ etwa zeigt den Amoklauf zweier Schüler an einer Highschool als genau dies: ein generalstabsmäßig geplanter Angriff, der aber eigentlich kein Motiv erkennen lässt. Die vermeintlichen Indizien, die der Film vorführt – Ego-Shooter-Spiele etwa, oder eine Faszination der beiden Täter beim Schauen alter NS-Aufnahmen im History-Channel – werden nur zitiert, um sie in ihrem Missverhältnis zu der sich am Schluss des Films bahnbrechenden Gewalt vorzuführen. Die Tat selbst wird in so prosaischen Bildern gezeigt, dass man unweigerlich Zuflucht bei allgemeinen Reflexionen über den Einbruch des Realen oder den Zusammenhang von Unfall und Moderne suchen möchte.

„Elephant“ reproduziert jene doppelte Erschütterungswirkung, die den Amok zu so einem irritierenden Ereignis macht: Er erzeugt einen Riss, der ebenso die Biografien der Opfer aus der Bahn fallen lässt, wie er die gängigen Normalisierungserzählungen in ihrer Hilflosigkeit vorführt. Einen einfacheren, weil die „Lücken der Erklärbarkeit“ (Vogl, „Der Amokläufer“) ausfüllenden Weg nehmen Filme wie „Taxi Driver“ (USA 1976) oder „Falling Down“ (USA 1993), die weiße Männer mittleren Alters in den Mittelpunkt ihrer Narrationen stellen und deren Amokläufe einer kulturkritischen Imprägnierung unterziehen. Travis Bickle (Robert de Niro), die Hauptfigur in „Taxi Driver“, wie auch der von Michael Douglas gespielte William Foster aus „Falling Down“, der aufgrund des programmatischen Nummernschilds seines Wagens als Personifikation einer „D-Fense“ in die Geschichte der Amokfiguren eingegangen ist, starten ihre Feldzüge gegen die Gesellschaft als Akte der Selbstverteidigung, als Gegenwehr gegen eine unverständliche, bedrohliche Umwelt.

Vor allem Travis Bickle realisiert in seinen der Tat vorausgehenden Reden ein Motiv der Reinigung, das in einem symbolischen Akt den status quo ante wieder einsetzen und damit die Verdorbenheit der Gegenwart auf die Eindeutigkeit einer imaginierten besseren Vergangenheit zurückführen will. Paradigmatisch für dieses Projekt einer gewaltsamen Realisierung restitutiver Kulturkritik steht Bickles Appell „Just go out and do somethin’!“, den der Film zunächst als einen erotisch imprägnierten „Kult der Waffen“ (Christians) inszeniert, bevor es dann zum finalen Gewaltakt kommt.

Sehr viel stärker als „Elephant“ interessiert sich „Taxi Driver“ für die psychische Struktur seiner Hauptfigur. Bickle, der als Soldat am Vietnam-Krieg teilgenommen und danach nicht mehr recht Fuß gefasst hat, figuriert als ein lebendes Trauma, das vom eigentlichen Skandalon des Krieges und dem beschädigten US-amerikanischen Selbstbild schweigt und stattdessen die Zustände an der Heimatfront als dekadent brandmarkt. Bickles Wille zur Tat erweist sich als Versuch, die eigene Identität in einer idealisierten Rolle als Held neu zu integrieren, ein Verfahren, dass an die Stelle des kreatürlichen Leidens an der Niederlage die Coolness der kalten, gepanzerten Persona setzt. Die Rollenwahl des Travis Bickle, die im amerikanischen Western und hier namentlich in den Darstellungen Clint Eastwoods unzählige Muster vorfindet, ebenso wie der Umstand, dass „Falling Down“ den Amoklauf von D-Fense in einem Fast-Food-Restaurant beginnen lässt und sich damit an den realen Fall des Vietnam-Veteranen James Huberty anlehnt, der 1984 in einer McDonalds-Filiale 22 Menschen tötete, zeigt einmal mehr, dass sich die realen und fiktionalen Geschichten absoluter Feindschaft gegenseitig durchdringen.

Bickle, der sich selbst mit dem Thomas Wolfe-Zitat „There is no escape. I’m god’s lonely man“ charakterisiert, figuriert ebenso wie der mit dem Motto „Don’t forget me!“ in die Schlacht ziehende D-Fense, als die auf die Exterritorialisierungspraktiken der Gesellschaft verweisende Personalisierung eines Unbehagens, das sich angesichts eines Lebens in der verwalteten Welt latent einschleicht und in spezifischen Rahmenkonstellationen in Gewalt übergeht. Die Tat setzt dann an die Stelle der Anonymität bürokratischer Strukturen das persönliche und damit immer auch vermeintlich authentische Moment eines Blutrausches, der in seinen medialen Umschriften als eine „Metapher für Überzivilisiertheit“ (Christians) aufgefasst werden kann.

In eine ähnliche Richtung zielt auch Michael Hanekes Film „71 Elemente einer Chronologie des Zufalls“, der den Schlusspunkt seiner Trilogie über die „Vergletscherung“ der Gefühle bildet. Haneke stellt einen Zusammenhang zwischen der strukturellen Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft und der Gewalt-affinen Subjektivität des Amok her. Die Tat eines Studenten, der ohne eigentliches Motiv eine Bank betritt und dort drei Menschen und dann sich selbst erschießt, wird zu einem diagnostischen Verbrechen. In 71 Sequenzen unterteilt, liefert der Film das protokollartige Porträt einer Lebenswirklichkeit, die von Gewalt bestimmt ist. Äußeres Indiz dieser untergründigen Friktionen sind die mehrfach narrativ inkorporierten Fernsehnachrichten, die vor allem von kriegerischen Auseinandersetzungen an den Peripherien des Westens – Somalia, Haiti, Bosnien – berichten und damit die vermeintliche Friedfertigkeit des Zentrums in ihren Ermöglichungsbedingungen ausleuchten.

Komplementär zum Krieg der Grenzen zeigt Haneke, dass aber auch die Topografie des Inneren sich bei genauerem Hinsehen als von einer auf Dauer gestellten, kalten Bürgerkriegssituation beherrscht darstellt. Die Welt, von der die „Chronologie des Zufalls“ erzählt, ist bestimmt von Lieblosigkeit, Ohnmacht und Deprivation der Subjekte, die trainiert sind, den kapitalistischen Fluss von Waren, Nachrichten und Dienstleistungen reibungslos zu prozessieren. Exemplarisch kommt die disziplinargesellschaftliche Abrichtung der Körper und Psychen in einer Szene zum Ausdruck, die den Studenten beim Training mit einer Tischtennis-Ballmaschine zeigt. Verbissen übt der spätere Amokläufer immer wieder die gleiche Körperbewegung. Bei einer späteren Videoanalyse hört man die Stimme des Trainers aus dem Off, die – den Ruf des großen Anderen reproduzierend – mehr Konzentration und Einsatz einfordert.

Dass sich die Amok-Tat am Schluss des Films in einer Bank ereignet, ist nur konsequent. An die Stelle einer wie auch immer gearteten, sinngenerierenden Instanz ist unter den Bedingungen des Spätkapitalismus das Geld getreten. Der von ihm forcierte Prozess der Verdinglichung ist gewalttätig und produziert Gegengewalt. Da diese aber innerhalb des Systems keinen Ort findet, an dem sie zielgerichtet zum Einsatz kommen könnte, entlädt sie sich als unkontrollierter Angriff, zufällig und letztendlich indifferent.

V. Gouvernementalität als Bedrohung

Bleibt abschließend noch einmal die Beobachterebene zu wechseln und zu fragen, inwieweit Angst in der „flüssigen Moderne“ zu einer Technologie der Macht geworden ist. Die als Trauma kommunizierten Terroranschläge und Amokläufe der Vergangenheit erzeugen – niedrig in der Intensität, aber desto größer in der Kontinuität – Effekte der Entdifferenzierung und Entpolitisierung, die den status quo stabilisieren, gerade indem sie seine gewaltsame Infragestellung behaupten. Die Logik absoluter Feindschaft verbreitet Angst als Kondensat kommunikativer Praktiken. Sie bedient sich einer „Rhetorik der Dringlichkeit“ (Horn), die die tautologische Botschaft „Wir leben in gefährlichen Zeiten, weil die Zeiten gefährlich sind“ kommuniziert und damit Bedrohungen ohne Eigenschaften produziert. Der Leitaffekt der Gegenwart ist daher „vage und grell zugleich: nichts ist so drastisch wie Panik, nichts so unbestimmt wie eine Wahnvorstellung. Die derart induzierte Angst ist nicht mit einer Phobie zu verwechseln, denn anders als diese ist Angst ohne spezifisches Objekt. Es handelt sich nicht um eine akute, sondern um eine diffuse Angst, um ein ständig präsentes, fluktuierendes Angstniveau […]“ (Massumi).

Gegenwärtige Sicherheitskonzepte prozessieren Gefahrenabwehr als kommunizierte Antizipation zukünftiger Gefahrenkonstellationen, ein Prozess, welcher der Zielvorgabe „Sicherheit“ eine imaginative Komponente einschreibt. Komplementär zur Evaluierung möglicher Gefahrensettings realisiert sich eine Konzeption des Politischen, die virtuelle Konstellationen schon in ihren Entstehungsbedingungen zu kontrollieren trachtet. Wie Foucault zeigt, ist das neuzeitliche Regieren „ein System, das sich im wesentlichen um ein eventuelles Ereignis dreht, das geschehen“ (Foucault, Geschichte der Gouvernementalität) könnte. In einer Zeit, in der nicht mehr der als Barbar lokalisierbare Feind „an den Grenzen der Staaten herumstolpert und gegen die Mauern der Städte anrennt“ (Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft), stellen Präventionslogiken einen Versuch dar, gegenwärtige Zukunft in zukünftige Gegenwart zu überführen und dabei ein höchstes Maß an Planbarkeit zu erreichen. Die kontrollgesellschaftliche Politik der Angst funktioniert dementsprechend als Akzeptanzmanagement für Formen „präventive[r] Normalisierungen“ (Link). Terror und Amok irritieren den in der Moderne vorherrschenden Umgang mit Gefahr, weil beide Anschlagsformen als „reale Möglichkeiten“ (Carl Schmitt) entgegen verbreiteter Kausallogiken schwer kalkulierbar und als Ereignis kaum auf individuelles Agieren zurückrechenbar sind.

In gewisser Weise fällt die diffuse Angst vor Terror hinter die Moderne zurück, die seit der Psychologisierung des Bösen im Zeitalter der Aufklärung konsequent zwischen intentionaler Bedrohung und kontingenter Gefahr zu unterscheiden sucht. Prävention, die eigentlich nur Ziele der Vermeidung kennt, setzt vor diesem Hintergrund einen enormen, nie abschließbaren Aktionismus frei. Die mediale Dauerpräsenz der beiden Angst-Figuren Schläfer und Amokläufer führt zu einer Gesellschaft im permanenten Alarmzustand, die sich in der Auslegung von Ereignissen und sozialen Prozessen immer mehr von Zweifelsfällen umstellt sieht, die eine spezifische Handlungslogik implizieren: „‚Im Zweifelsfall‘ – das heißt wer auf Nummer sicher gehen will, wird Situationen immer häufiger als Zweifelsfälle deuten“ (Reemtsma). Der populäre Spielfilm übernimmt hierbei eine ambivalente Rolle. Einerseits bebildert er eben jene Fantasmen, die Angst machen und liefert so einen Beitrag zur Organisation von Gouvernementalität als Bedrohung. Positiv gewendet gibt er andererseits den Anstoß dazu, angstbesetzte Machttechniken zu hinterfragen. Wie schon Siegfried Kracauer glaubte, „ist es allein das Kino, das in gewissem Sinne der Natur den Spiegel vorhält und damit die ‚Reflexion‘ von Ereignissen ermöglicht, die uns versteinern würden, träfen wir sie im wirklichen Leben an“ (Kracauer). Wenn eine solche Reflexionsherausforderung gelingt, wenn das „verworfene Wissen“ (Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft) um die untergründige Gewalt der Gesellschaft beobachtbar wird, werden Spielfilme zu Terrorakten ganz eigener Art.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien bereits in „Limbus. Australisches Jahrbuch für germanistische Literatur-und Kulturwissenschaft“, Jg. 2011: Terror und Form. Wir danken dem Autor für die Publikationsgenehmigung.

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