Homo homini lupus

Hans Dollinger schwärzt die Weltgeschichte an

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Genre der 'Schwarzbücher' macht es sich zur Aufgabe, ganz Unterschiedliches an den öffentlichen Pranger zu stellen: Politische Regime (Kommunismus, Nationalsozialismus), Wirtschaftssysteme (Kapitalismus, EG-Binnenmarkt), Glaubensregeln bzw. Sinnsysteme (Zölibat, Religion, Esoterik), Institutionen (KGB) oder Einzelpersonen (Helmut Kohl). Den Autoren geht es dabei nicht so sehr um eine ausgewogene und alle Aspekte umfassende Darstellung ihres Themas als vielmehr um die investigative Enthüllung seiner mit Makeln behafteten, bedenklichen, gefährlichen, ja kriminellen 'schwarzen' Seite. Schwarzbücher zeichnen sich durch eine strategisch-polemische Grundhaltung aus. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie - defensiv - aus einer Minoritätenperspektive operieren oder - offensiv - Missstände aufdecken, die längst in das öffentliche Bewusstsein gedrungen sind. Eine weitere Differenzierung der Schwarzbuchliteratur erlaubt die Betrachtung ihrer jeweiligen Reichweite: hadern sie mit Einzelphänomenen oder gilt ihre Kritik einem größeren Ganzen?

Eine diesbezüglich bemerkenswerte Sonderstellung kommt zweifelsohne einer Schrift zu, die mit einer Zeile untertitelt ist, die der berühmten Anthropologie des kriegerischen Egoismus, Thomas Hobbes' "Leviathan" entnommen sein könnte: "5000 Jahre der Mensch des Menschen Feind". Die Rede ist von Hans Dollingers bejahrtem "Schwarzbuch der Weltgeschichte", das nach seiner ersten Auflage 1973 im Münchener Südwest-Verlag jetzt wieder greifbar ist. Schon beim ersten Durchblättern möchte man der Hobbesschen These von der unbezähmbaren Kriegsnatur im Menschen zustimmen - so erschütternd wirken die zahlreichen Abbildungen von enthaupteten, gepfählten, skalpierten oder auf andere Weise zu Tode gebrachten Menschen. Eine Enzyklopädie des Grauens hat Dollinger zusammengetragen, eine erschreckend vollständige Geschichte der Verfolgungen, Massenfluchten, Aussiedlungen, Hinrichtungen, Völkermorde, Pogrome und Auslöschungen, beginnend mit dem Altertum und frühen Mittelalter bis zu den irischen Religionfanatikern im 20. Jahrhundert. Auch an der Schwelle zum dritten Jahrtausend, so Dollingers ernüchternde Auskunft, habe sich an der menschlichen Mordlust nicht das geringste geändert.

Doch gerade der Umstand, dass das Kompendium die dunkle Kehrseite der Geschichte - des Kollektivsingulars - bilanzieren will, erweist sich als Problem. Denn die als "nie abreißende Kette von Verbrechen" charakterisierte Historie setzt bereits eine Theorie ihrer Verlaufsstruktur voraus, kurz: Geschichtsphilosophie. Dass die Welt voller Gewalt ist, ist eine Tatsache, dass diese Gewalttaten einen inneren Zusammenhang und einen gemeinsamen Antrieb besitzen, hingegen eine Behauptung, die ohne die Annahme eines die Geschehnisse koordinierenden Agens nicht auskommt. Es sei denn, man beantwortet die Frage nach der geschichtlichen Bewegung mit Hinweis auf ihr Subjekt. "Eingeschlagene Schädel", schreibt Dollinger, "aus der Urzeit der Besiedlung der Erde ausgegraben, beweisen uns, dass bereits der Vormensch vor Millionen von Jahren seinen andersartigen Bruder erschlug. Nach ihm taten dies alle seine Nachfahren bis heute, wenn sie mit anderen Stämmen und Rassen zusammentrafen." Auch dieses Argument hält einer kritischer Überprüfung kaum stand. Da die menschliche Natur beständigem Wandel unterworfen ist, ist es falsch, den Kriegszustand zu einer anthropologischen Konstante zu erklären und damit gleichsam zu verewigen.

Mit schwerwiegenderen Folgen als für andere Genre-Vertreter ist die Darstellung Dollingers von den besonderen Leistungsanforderungen der Schwarzbücher geprägt, der Aufklärung durch Aufdeckung und Anklage des 'Schwarzen'. Durchbrochen wird die Stilisierung der Geschichte zur Kriegsgeschichte deshalb nur dort, wo Dollinger ausdrücklich die historischen Bedingungen hervorhebt, denen die Bluttaten entsprungen sind. Dass sie im Namen von Königen, von Völkern, der Freiheit, der Religion, oder der Staatsräson begangen wurden, weist darauf hin, dass Krieg und Gewalt keine festen Größen sind, sondern in ihrer kulturellen Bedeutung durchaus variieren. Auch wenn manches an diesem Buch auf mangelnde Sorgfalt im Umgang mit den Quellen hinweist, besitzt das "Schwarzbuch der Weltgeschichte" einen anderen, bislang noch nicht gewürdigten Wert.

In den 1970-er und 1980-er Jahren existierte eine Vielzahl von Untersuchungen, die sich mit der atomaren Kriegsdrohung auseinandersetzten und die Frage nach der Ursache der menschlichen Kriegslust stellten, etwa Erich Fromms "Anatomie der menschlichen Destruktivität" (1974) oder Johannes Kneutgens "Der Mensch - ein kriegerisches Tier" (1970). In diesem Zeitklima ist auch das vorliegende Schwarzbuch situiert. Als Abschreckungsfibel will es das Bewusstsein des zeitgenössischen Lesers schärfen. Es ruft dazu auf, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und die bevorstehende Katastrophe abzuwenden. Für uns Heutige, denen sich der Untergang eher durch Börsen-Crashs, Killerviren oder den ökologischen Kollaps denn durch kriegerische Verheerungen ankündigt, beansprucht das "Schwarzbuch der Weltgeschichte" seinen Platz in der Bibliothek pazifistischer Literatur.

Titelbild

Hans Dollinger: Schwarzbuch der Weltgeschichte.
Komet-MA Service u. Verlag, Frechen 1999.

ISBN-10: 3933366178

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