Tot mit Migrationshintergrund

Zu Thomas Engers Thriller „Sterblich“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Debütroman von Thomas Enger hat wenig von einem Erstlingswerk. Eine routinierte Einleitung führt den Leser gleich mitten in die Problematik des Verbrechens. Zeitnah werden die handelnden Personen vorgestellt und der Protagonist Henning Juul, Journalist und durch einen Unfall im Gesicht mit Brandnarben gezeichnet, wird gleich als Sympathieträger in die Geschichte eingeführt.

Dabei ist das eigentliche Verbrechen auf den ersten Blick mysteriös. Eine Frau, eingegraben bis zu den Armen, wird mit Steinen zu Tode gebracht. Der klassische Fall einer Steinigung, was für Norwegen allerdings eher ungewöhnlich ist. Es wird zunächst ein islamischer Hintergrund vermutet, Begriffe wie die „Scharia“ werden diskutiert und zum Vorteil des Lesers auch erläutert. Das Opfer ist Schülerin einer Film- und Medienschule. Die Beteiligten an einem Filmprojekt oder auch einer ihrer Lehrer könnten in die Tat verwickelt sein. Alle nötigen Details erarbeitet der Journalist Henning Juul sukzessive für seine ersten Berichte – nach fast zwei Jahren Krankheit und Arbeitsunfähigkeit.

Der Journalist Juul ist bekannt für seine insistierende Art bei seinen Recherchen: „Aber darüber macht er sich keine Sorgen. Er hat sich nichts vorzuwerfen, kann gut damit leben, was er getan hat, auch wenn die Polizei wahrlich nicht froh darüber war, dass er sich in ihre Arbeit eingemischt hatte. Aber das war er gewohnt.“ Enger gelingt der Aufbau einer sympathischen und gleichzeitig gebrochenen Hauptfigur. Juul wird „verfolgt“ von seinen bei einem Wohnungsbrand entstandenen Verletzungen und von dem Tod seines Sohnes, der bei dem Brand umgekommen ist. Die verwickelte Geschichte verliert auch im Verlauf des Romans nichts von ihrer Spannung. Dazu tragen nicht zuletzt die verschiedenen Handlungsstränge bei, die zum Beispiel auch Straßengangs mit Migrationshintergrund einbeziehen: „Er denkt an BBB. Bad Boys Burning. Was für ein seltsamer Name für eine Gang. Da scheint jemand das große Bedürfnis zu haben, Warnungen auszusenden. Bandidos. Hell’s Angels. So langsam wird seine Neugier geweckt.“

Den Romanverlauf lockert Thomas Enger immer wieder durch kleine Exkurse auf, die den Gedanken und Recherchen Juuls folgen, und die dem Leser erlauben, sich in die Perspektive des Protagonisten hinein zu versetzen. So baut Enger zum Beispiel einen Internet-Chat in den Handlungsverlauf ein. Darin wird Henning Juul von einem Informanten mit polizeiinternen Informationen versorgt. Ebenso findet man Auszüge aus einem Drehbuch, das ein Motiv für eines der Verbrechen liefern könnte. Der Kommentar des Journalisten zum Indiz: „Wie das Intro eines Snuff-Films, denkt Henning. Dann liest er weiter.“

Nimmt man die Schlagworte Snuff-Film, Bad Boys Burning, Scharia und Brandanschlag zusammen, entsteht ein abwechslungsreiches Szenario: Dezentes Lokalkolorit, eine interessante Geschichte, glaubhafte Charaktere, ein Protagonist, der das Zeug zu einem Serienhelden hat und ein überraschender „Plot mit Ausblick“. Was kann man mehr von einem Kriminalroman erwarten?

Titelbild

Thomas Enger: Sterblich. Ein Henning-Juul-Roman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Frauenlob, Günther/ Dörries,Maike.
Blanvalet Verlag, München 2011.
410 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783764503932

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