Subjektives Kunstverständnis

Boris Kerenskis Mailart-Aktion zur Frage: Was ist Social Beat?

Von Daniel BeskosRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Beskos

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist Social Beat? Zur Klärung dieser Frage hat der Autor und Verleger Boris Kerenski das alte Verfahren der Mail-Art wieder aufleben lassen und Postkarten an diverse Autoren und Kunstschaffende in der ganzen Republik versandt. Aufgabe war es, die Karten nach freiem Ermessen zu gestalten und so einen Einblick darauf zu gewähren, welche unterschiedlichen Ansichten über diesen Begriff herrschen. Alle Postkarten der Aktion sind in dieser sehr schön gestalteten Publikation nun wiedergegeben.

Bereits in seinem Vorwort zu diesem Buch weist Ali Onur darauf hin, dass Social Beat "keine kollektiven Ansprüche besitzt", sondern dass vielmehr "das Individuum und seine individuelle Handlung den zentralen sozialen Impetus" darstellen und sich somit Social Beat "immer aus dem Fluß singulärer Reflexionen definiert". Nach dieser Einschätzung ist somit Social Beat keine "Bewegung" im engeren Sinne, sondern ein freies Schaffen von Einzelnen, an dem sich der Zeitgeist ablesen lässt. Zu untersuchen bleibt trotzdem, welches denn nun das verbindende Element ist, das es den Literaten ermöglicht, sich unter einem Namen zu vereinen.

Die gestalteten Postkarten hätten unterschiedlicher nicht sein können, es finden sich aufwendige Malereien, Zeichnungen, Karikaturen und Collagen genauso wie Fotos und längere Textpassagen, manchmal gar nur einzelne Wörter.

Auffällig ist, wie viele der Einsendungen eine ablehnende Position gegenüber Social Beat oder zumindest gegenüber der Frage nach einer genauen Definition beziehen. Äußerungen wie "Ah, die sollen alle mal die Fresse halten" oder "Social Beat ist Scheisse" weisen darauf hin, dass nicht nur die Fragen nach der "Schublade" auf Ablehnung stoßen, sondern auch die Inhalte selbst.

Neben diesen Einsendungen gibt es jedoch auch einige Autoren, die sich ernsthaft mit dem auseinander setzen, was 1993 zur Entstehung des Begriffs "Social Beat" führte: Das völlig neue Erlebnis, das eigene Gefühl des "in-die-Welt-geworfen-Seins, rastlos, unverstanden" nicht nur selbst so intensiv zu empfinden, sondern dies auch Gleichgesinnten mitteilen zu können. Und zwar auf eine vorher nicht gekannte Art: Durch Texte und Lesungen, die in ihrer Intensität eher an Rock- oder Punkkonzerte erinnerten und nichts mehr mit den Literaturveranstaltungen des bürgerlichen Kulturbetriebs zu tun hatten.

Nicht alle der Autoren, die Social Beat in seiner Entstehungszeit begleitet haben, stehen dem Begriff heute unkritisch gegenüber, das beweist diese Postkartensammlung deutlich. Und doch findet man immer wieder Anklänge auf das intensive Gefühl, das die große Anziehungskraft dieser Bewegung ausmachte.

Trotz alledem, die im Vorwort angekündigte Reduktion auf's Individuum, auf's singuläre Reflektieren bewahrheitet sich, die "Bewegung" empfindet sich selbst als zu heterogen, um eine solche zu sein. Ein verbindendes Element, das heutzutage den Namen als Namen einer Bewegung rechtfertigen und die Autoren formal oder inhaltlich einen würde, sucht man (zumindest anhand dieser Mailart-Aktion) vergebens.

Und so besteht die Gefahr, dass sich "Social Beat" lediglich als "Asyl" für alle literarisch Schaffenden des Undergrounds erweist, was den Sinn eines solchen Überbegriffs natürlich in Frage stellt.

Es bleibt die Frage nach dem Sinn einer solchen Aktion: Der schon vorher umstrittene und nebulöse Ausdruck "Social Beat" wird noch mehr zerrissen, seine Existenz gar in Frage gestellt. Für einen außenstehenden Leser wird auf keinen Fall klar, was dieser Begriff denn nun bedeutet, außer vielleicht, dass unter ihm alles und nichts zu verstehen ist und dass sich darin lediglich die Tatsache offenbart, dass Subkulturen (wenn man Social Beat denn als eine solche bezeichnen will) mit Widersprüchen arbeiten und von ihnen leben. Und eben diese Widersprüche treten angesichts einer Frage wie "Was ist...?", die offenbar eine eindeutige Antwort erwartet, umso deutlicher hervor. Wenn der Herausgeber Boris Kerenski sich dessen bewusst war und keine eindeutigen Antworten erwartet hat, dann, und nur dann ist der Versuch gelungen.

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Boris Kerenski: Was ist Socialbeat?
Killroy Media, Asperg 1998.
88 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3931140326

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