Der Dichter als Abweichler und Konformist

Yi Munyol schreibt einen Roman über das Schreiben

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dichter dichten und interessieren sich für Dichter – das gehört zum Beruf. 1987 hat der südkoreanische Autor Yi Munyol einen Roman über einen Berufskollegen veröffentlicht, der ein gutes Jahrhundert vor ihm lebte, über den Lyriker Kim Sakkat.

Die biografischen Parallelen sind offensichtlich. Im Koreakrieg 1950 bis 1953 wählte der Vater von Yi Munyol die nordkoreanische Seite. Der 1948 geborene Sohn wuchs nicht nur vaterlos auf, sondern hatte zudem als Sohn eines Linken unter der antikommunistischen Hetze in den südkoreanischen Diktaturen der folgenden Jahrzehnte zu leiden. Doch schloss er sich nicht, wie der Mehrzahl seiner Kollegen, der Opposition an. Vielmehr begann er sein Werk als distanzierter Analytiker von Machtstrukturen. Es fehlte damals nicht an Vorwürfen, die eine eindeutige Parteinahme einforderten, und vielleicht waren es diese Vorwürfe, die Yi Munyol an die Seite der politischen Rechten trieben. Heute ist er der fast einzige unter den südkoreanischen Schriftstellern, der sich immer wieder öffentlich gegen eine angebliche linke Gefahr wendet.

Auch seine Hauptfigur Kim Sakkat wuchs unter schwierigen Bedingungen auf. Der Vater wurde beschuldigt, den König verraten zu haben und auf die Seite von Rebellen übergelaufen zu sein. Nach den Regeln auch der damaligen Monarchie wurde die ganze Familie bestraft. Weiter leben zu dürfen, galt schon als Gnade, und eine soziale Heimat gab es nicht.

In der Tragödienforschung ist oft diskutiert worden, unter welchen Bedingungen Tragik möglich ist. Das feudale europäische Mittelalter wurde als Epoche angesehen, die der Tragik nicht günstig war. Die konfuzianisch geprägte koreanische Monarchie scheint dagegen diese Möglichkeit offenzulassen. In der Theorie entspricht der Gehorsam gegenüber dem Vater dem Gehorsam gegenüber der staatlichen Autorität. Doch wem gehorcht der Sohn eines Rebellen? Der Konflikt scheint unauflösbar.

Yi hebt die verschiedenen Phasen von Kim Sakkats Leben und Dichten hervor. Die Identifikation mit dem feindlichen Staat, die obszöne Provokation, ein soziales Rebellentum: nacheinander werden die verschiedenen möglichen Rollen eines Dichters abgehandelt. Am sinnlosesten erscheint die Position des Propagandadichters. Kim Sakkat wird von einer Guerillatruppe gezwungen, Kampflieder zu dichten. Doch weil Lieder immer noch künstlerisches Empfinden hervorrufen, stärken sie nicht, sondern schwächen sie im Kampf.

Das ist blöd (der erfolgreiche Einsatz von Kunst durch alle politischen Lager im 20. Jahrhundert beweist, dass es nützliche und sogar manchmal ästhetisch gute Propaganda-Kunst geben kann). Doch leitet es über zum Ziel von Kim Sakkat und Yis Roman: zum autonomen Dichten, das sich um gesellschaftliche Bezüge nicht schert.

Das klingt abstrakt und ist es auch. Nicht zum geringsten Teil besteht der Roman aus solchen ästhetischen Reflexionen, die nicht immer dem zeitgenössisch in Europa erreichten Niveau entsprechen. Die Stärken dieses Romans liegen denn auch weniger in solchen Abschnitten als in atmosphärisch dichten Gesellschaftsschilderungen.

Hier gelingen Yi Munyol die überzeugendsten Passagen. Wie der junge Dichter Kim in die Hauptstadt Seoul kommt, an der für jede Karriere unabdingbaren Beamtenprüfung teilnehmen möchte und allmählich die Korruption begreift, die die reichen Söhne begünstigt; oder wie er als Dichtertalent in einer angesehenen Familie aufgenommen und dann unmerklich wieder ausgeschlossen wird, als durchsickert, wessen Sohn er ist – das sind sehr gelungene Kapitel. Der antiideologische Blick Yis bewährt sich in der höhnischen Abfertigung von Traditionen, die zur Entstehungszeit des Romans von manch politisch fortschrittlicherem Autor gegen den modernen Kapitalismus aufgerufen wurden.

Eben diese antiideologische Sichtweise verhärtet sich indessen, sobald Yi über Oppositionelle schreibt. Es geht noch an, wie er die rebellischen Provokationen seiner jugendlichen Hauptfigur als durchaus staatskonform hinstellt. Doch wo es um einen ernsthaften Aufstand geht, lässt er seinen Dichterkollegen allen Ernstes darüber klagen, dass auch die Rebellen egoistisch seien. Dabei ist genau dies ein Glück: Wer für die eigenen Interessen kämpft, handelt berechenbar. Wer die Menschheit beglücken will, nicht.

„Nicht alle Abweichler sind Dichter“, ist aus dem Roman auf dem Buchrücken zitiert, „aber alle Dichter sind Abweichler.“ Aus der Literaturgeschichte mag einem da das eine oder andere Gegenbeispiel einfallen. Ein ästhetisch produktives Leben kann gesellschaftskonform sein (es ist eben nicht jedermanns und jederfraus Sache, wie der historische Kim Sakkat ruhe- und heimatlos durch die Lande zu wandern). Gelungene Dichtung mag das Bestehende rechtfertigen. Wahrscheinlich sind Dichter seltener Abweichler als, sagen wir: Tischler, denn Dichter leben vom Verkauf ihrer Texte. In der Verabsolutierung der Autonomieästhetik widerspricht der Roman dem Zeitgeist.

Genau dies macht das Buch aber auch interessant. Tatsächlich dürfte sich Yi Munyol als Abweichler fühlen, gerade wenn er sich gegen seine Literatenkollegen auf die Seite der politischen Macht stellt. Der Roman lädt dazu ein, solche Konstellationen zu durchdenken. In der Reihe der bisher vorliegenden Bücher von Yi Munyol („Der entstellte Held“ und „Jugendjahre“ bei Pendragon, „Dem Kaiser!“ bei Wallstein und der Erzählung „Befestigter Gesang“ im Suhrkamp-Band „Die Sympathie der Goldfische“) handelt es sich zwar nicht um das gelungenste Werk. Allzu deutlich formuliert Yi seine Meinungen, als dass er nicht in Widerspruch zum eigenen Lobpreis der reinen Dichtung geriete. Doch wächst durch solche Ambivalenzen dem Roman auch etwas Reizvolles zu.

Die Übersetzung wurde in Korea preisgekrönt und übertrifft die der meisten auf Deutsch vorliegenden koreanischen Werke merklich. Yi Munyol hat Gedichte Kim Sakkats eingestreut, und die klingen auf Deutsch mäßig. Die Prosa aber ist durchweg gelungen, als Entsprechung zu jener Bedeutsamkeit, die Yis Erzähler vorzeigt.

Titelbild

YI Munyol: Der Dichter. Roman.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Kim Sun-Young und Friedhelm Bertulies.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
276 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783518224397

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch