Pappkameraden und Borderline-Gäule

Jaimy Gordons Roman „Die Außenseiter“ hat ein interessantes Milieu und einen raffinierten Plot, allerdings fehlt es der Autorin an sprachlicher Finesse

Von Andreas ThammRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Thamm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Pferderennbahn als literarisches Setting ist eng mit einem Namen verbunden: Charles Bukowski. In den Stories des „Dirty Old Man“ gibt es nicht viel mehr als das: Kneipe, Postamt, Rennbahn. Das hat Klassikerpotential: saufen, wetten, verlieren, grimmig nach Hause fahren, weiter trinken – ein Erfolgsmodell seiner Kurzprosa.

Jaimy Gordon ist nicht Charles Bukowski, sondern Creative Writing Professorin an der Western Michigan University. „Die Außenseiter“ („Lord of Misrule“) ist ihr vierter Roman, der Überraschungssieger des National Book Award 2010. Der Schauplatz ist der Bodensatz des edlen Rennsports, eine Halbmeilenbahn in West Virginia. Es ist keine verwegene Spekulation, dass der alte Buk der Professorin im Schaffensprozess durchs Hirn spukte, denn genauso dreckig, genauso verwegen und derb wie dessen Rennbahnstories sollte auch dieser Roman einmal werden.

Die Rennbahn am Indian Mound ist für den schwarzen Pferdepfleger Ed, den Trainer Zeno, die klischeehaft gezeichnete Lesbe Deucy und einige zusätzliche Gestalten der Ort des täglichen Ringens mit dem Schicksal. Es ist ein Halbweltszenario, dass Gordon hier konstruiert, voll mit Kleinstadtganoven und schmierigen Möchtegern-Mafiosi. Nach kaum zehn Seiten hat die Autorin bereits fünf tragende Charaktere eingeführt, die derart übereinander sprechen: „Blick wie ’n echter Irrer. Aber ’n anständiger Pferdemann. Hab ’n paar mal Gras mit ihm geraucht.“

Natürlich verlangt das Motiv eine Sprache, die dem Milieu gerecht wird. Die Klischeegefahr-Sirene heult bereits in schrillsten Tönen, doch Gordon ist dafür taub. Was dabei herauskommt, ist zu großen Teilen nicht dreckig, nicht roh, sondern unerträglich bieder: „Aus ihrem Mund kam ein schreckliches Schimpfwort.“ Es ist müßig, sich die ewige Frage nach der Qualität der Übersetzung zu stellen. Ingo Herzke ist seit 2000 recht gefragt und mehrmals für seine Arbeit ausgezeichnet worden, trotzdem muss er sich die Frage gefallen lassen, ob man konsequent den nicht existierenden Superlativ von einzig – der Einzigste, die Einzigste, das Einzigste – verwenden muss, selbst wenn im Original möglicherweise „the onliest“ gestanden haben mag.

Doch zurück zum Plot. Der nämlich ist komplex, durchdacht und sauber konstruiert. „Die Außenseiter“ gliedert sich zum einen in kurze Kapitel, zum anderen in drei „Rennen“, benannt nach den Pferden, die die entscheidende Rolle spielen: „Mr. Boll Weevil“, „Little Spinoza“ und „Lord of Misrule“. Es sind Pferderennen, die Überraschungen bergen, wo Problempferde nach vorne preschen oder die Rechnung der schmierigen Strippenzieher am Ende nicht aufgeht.

Denn mit dem Auftreten der „Kraushaarigen“, Maggie, und deren latent aggressivem Freund „Jungspund“ Tommy am „Mound“ kommen einige Räder in Gang, die die Handlung bis zum Schluss vorantreiben. Maggie, die auf 328 Seiten die Entwicklung von der Rezepteschreiberin zur Pferdetrainerin und zurück mitmacht, schnappt sich neben Medecine Ed den Posten als Protagonistin. Im zweiten Teil des Buches teilt sie sich mit Ed und Deucy den Preis für „Little Spinoza“, ein „verträumtes Mondkalb“ von Pferd, dass Joe Dale unbedingt loswerden musste. Auch der drängt jetzt gewaltig in die Handlung: Joe Dale ist der Typ, der in schlagkräftiger Begleitung vor den Pferdeboxen vorfährt und die getönten Scheiben seines Wagens herunterlässt, um zu drohen oder zu flirten. Außerdem verschiebt er Pferderennen. Und dann ist da noch „Two Tie“ der Kredithai mit Bahnverbot, der am Telefon an den aufkommenden Verwicklungen teilnimmt, denn Maggie, so will es der Zufall, ist seine Nichte.

Der Zufall ist ein mächtiger Faktor in diesem Roman. Ein Wort, das deutlich zu oft vorkommt ist „plötzlich“, doch auch vor der Steigerung schreckt Gordon nicht zurück: „plötzlich und grundlos“. Das ist weniger ein raffinierter literarischer Kniff, als die schiere Kapitulation vor den Anstrengungen des Erzählens. Plötzlich stirbt Zeno, der ehemalige Arbeitgeber von Medecine Ed, also muss der bei Tommy, den übrigens ganz plötzlich der religiöse Wahnsinn packt, anheuern. Menschen weinen plötzlich, Menschen klammern sich plötzlich aneinander. Wenn das nicht hilft, schlägt die große Schwester des Zufalls zu: das Schicksal.

Das ist erzähltechnisch der Weg des geringsten Widerstandes. Und der ist auch für die Charakterisierung neu auftretender Personen kompatibel: „Sie war eher ein ruheloser, unzufriedener, schlafloser Typ.“ Figuren, die auf diese Weise in einem Buch auftauchen, sind kaum zur Identifikation geeignet – klar, mal gelingt es Gordon besser, mal schlechter, doch das Gros des Personals bleibt als Pappkamerad im leeren Raum stehen.

Was ihr besser gelingt, und das ist verwunderlich, sind Pferde. „Little Spinoza“, „Pelter“, „Lord of Misrule“ – die meisten der Viecher treten dem Leser nahezu plastisch vor Augen. Ihre Vorzüge, ihre Schwächen, ihr Rennen entscheidender Charakter: Darauf legt Gordon anscheinend mehr Wert als auf echte Menschen. „Dann fing Little Spinoza an zu sterben“, schreibt sie über das große Scheitern dieses Borderliner-Gauls und weiter unten: „Aber das Pferd wollte bloß verlieren – nein, nicht verlieren, sondern sich in Luft auflösen, sich klein machen und aus der Welt verschwinden.“ Es ist einer der großen, nahezu poetischen Momente dieses Romans.

Jaimy Gordon wagt sich mit „Die Außenseiter“ in ein Milieu, das Ansprüche an eine Autorin stellt. Es ist eben das der Rennbahner, noch dazu – auch wenn das eigentlich nur im Klappentext des Verlags deutlich wird – in den 1970er-Jahren. Sie gibt sich redliche Mühe, diese Szene greifbar zu machen, doch sind ihre Worte für die diversen Verbrecher solche wie „Kotzbrocken“, „Widerling“ oder „fies“. Dass das Buch klug gebaut ist, der Switch der Perspektiven und Erzählhaltungen das Feld von allen Seiten durchleuchtet, gerät angesichts dieser sprachlichen Mängel in Vergessenheit.

Es ist, als ob die Professorin aus Baltimore sich an einem Topos ausprobiere. Und: Als ob sie sich dem eigenen Text Seite für Seite annähere. Die Schrecken der ersten Kapitel sind weit weg, wenn Maggie kurz vor Schluss eine alte, verwucherte Rennbahn in der Nachbarschaft entdeckt: „Das war also die Stelle – wo der Stromgenerator und die Pumpstation standen, aber auch die Stelle, wo sie ihre Toten hinschleiften, Heimat der Pferde-Rettungswagen, Verladeplatz der Tierverarbeitungsfabrik und Gerberei.“ Es folgt eine Schilderung, so trocken, präzise und souverän, als wäre auf einmal jemand anders am Werk gewesen.

Die „National Book Award Foundation“ hielt „Die Außenseiter“ für preiswürdig, die New York Times schreibt: „Elegant und erfindungsreich“. Die deutsche Ausgabe scheint davon, es klingt rätselhaft, nicht viel übrig gelassen zu haben. Jaimy Gordon ist nicht Charles Bukowski und wird es nicht mehr werden. Sie sollte sich, wie alle, damit abfinden.

Titelbild

Jaimy Gordon: Die Außenseiter. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke.
Aufbau Verlag, Berlin 2012.
328 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783351033811

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