Jung sein ist nur was für die Harten

Matthias Wittekindt belegt mit „Schneeschwestern“ erneut die Nase des Nautilus-Verlags für außergewöhnliche Krimis

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer von den Freuden der Jugend spricht, war entweder nie jung oder ist mit einem schwachen Gedächtnis gesegnet: Jugend ist harte Arbeit, erwachsen werden ist nichts, was man irgendjemandem gönnt, und wer diese Lebensphase – vor allem auf dem Land – überlebt, kann von Glück sagen. In Matthias Wittekindts Krimi „Schneeschwestern“ gelingt das lang nicht jedem, was immerhin Anlass für seinen Krimi ist.

Was wundert das, bedenkt man, zu welchen Geschmacklosigkeiten junge Menschen neigen, nur um am Ende so etwas wie Persönlichkeit herauszubilden. Knappe silberne Röcke, wenns winters in die Disco geht (hier, im deutsch-französischen Grenzgebiet heißt das noch so), Mädchen mit einem Opel Admiral abschleppen und leicht behemdet „ficki-ficki“ brüllend durch einen verschneiten nächtlichen Wald rennen – kein Wunder, dass es solche jungen Leute gleich ins Leben trifft. Ist das gerecht? Naja, vielleicht wenns um das Geschmacksrecht geht.

Geht es aber nicht, denn die beiden jugendlichen Toten bringen eine Reihe von Polizeiermittlern ins Spiel, die sich redlich abmühen, aber gegen den Fall keine Chance haben. Dazu haben sie zu wenig Einblick, dazu fehlen ihnen die Ideen – wenngleich sie eines haben, Hartnäckigkeit, wenn erkennbar ist, dass irgendwas nicht stimmt (die Münze, mit der gute Ermittler im Krimi zahlen).

Aber zum Fall: Nach einer Discotour wird die 16jährige Genevieve erschlagen in der Nähe eines abgelegenen Hauses gefunden. In der Nähe findet sich die Leiche eines jungen Mannes, Philippe, der zu den oben zitierten Ausrufen neigt. Philippe ist erfroren. Zuletzt gesehen wurden die beiden, als sie in Begleitung von zwei weiteren Jungen und einem Mädchen nachts zu einem See aufgebrochen sind, um dort irgendwas zu treiben.

Dazu kommt es nicht, Genevieve haut ab, das zweite Mädchen folgt ihr, Philippe und Max rennen gleichfalls in den Wald, nur der letzte Junge bleibt am Wagen zurück.

Als die beiden Leichen gefunden werden, findet sich von den Mitfahrern keine Spur. Dass es ein weiteres Mädchen gegeben haben soll, kommt erst nach und nach ans Licht, einer der Jungen kommt mit Unterkühlung ins Krankenhaus, von einem geheimnisvollen fetten Mann eingeliefert, den alle nur den „König“ nennen, der dritte Junge ist verschwunden.

Damit aber nicht genug: Als Hauptverdächtiger rückt ein Mann ins Visier, der einige Jahre zuvor im Verdacht stand, eine Sechsjährige missbraucht zu haben und vielleicht auch am Tod einer Halbwüchsigen schuld gewesen zu sein. Ein bislang unentdeckter Mann, der sich damit behilft, den Mädchen nachzufahren, spielt außerdem im Hintergrund mit.

Viel Personal also, das es zu beherrschen gilt, was Wittekindt ohne weiteres gelingt. Er nimmt sich sogar die Zeit, ins Seelenleben seiner Ermittler und Täter zu schauen (was meistens misslingt, hier aber nicht), und dann auch noch die Freiheit, nicht alles einfach miteinander zu verbinden, sondern aus einem Fall mehrere zu machen, was sich eben auch erst herausstellen muss.

Zugegeben, nichts von dem, was bis hierhin gesagt ist, zeugt für einen außergewöhnlichen Krimi. Und doch ist „Schneeschwestern“ genau das. Friedrich Ani ist vielleicht noch in der Lage, solche Texte zu schreiben, die auch in kleinen Happen gelesen, niemanden vom Bändel lässt, die eine Tiefenschärfe bekommen, die eben nicht nur auf eins aus ist: den Fall so schnell wie möglich zu lösen und den Ermittler dabei so gut wie möglich aussehen zu lassen.

Ani also und eben Wittekindt. Dabei macht der nichts Besonderes. Sicher, er verlegt seinen Krimi auf die französische Seite des Grenzgebietes an der Saar. Er wählt den manchmal befremdlichen Blick der Franzosen auf ihre Nachbarn und er weiß die Selbstverständlichkeit zu beschreiben, mit der inzwischen die Grenze zwischen zwei Ländern, die sich einmal erzfeind waren, von den Jugendlichen und den Tätern überschritten wird.

Ansonsten aber erfahren wir wieder einmal eine Menge übers Privatleben beinahe aller Beteiligten. Der kleine dicke hässliche Polizist mit Minderwertigkeitskomplex und einem Megaschlitten. Der Kommissar selbst und die Vorkommnisse bei ihm zuhause (Adoleszenz der Tochter, Kinderwunsch der Freundin und dergleichen mehr). Und so weiter. Normalerweise sind das Kriterien, die einen guten Krimi zu einem mittelmäßigen machen.

Nicht aber hier, denn aus dem Privatleben der Figuren lässt sich ihr Profil erschließen, das am Ende auch mit der Ermittlungen oder mit den Taten zusammenhängt. Hier ist mithin etwas gelungen, was ansonsten allzuoft eben misslingt, die Verbindung zwischen den, altertümlich formuliert, Schneiderstrophen und handlungsrelevanten Umständen und Ereignissen. Das ist eine Seltenheit, und Wittekindts Roman ein Kunststück, das jeden Erfolg verdient hat.

Titelbild

Matthias Wittekindt: Schneeschwestern. Kriminalroman.
Edition Nautilus, Hamburg 2011.
352 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783894017439

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