Kleist für Anfänger

Adam Soboczynski sucht nach dem Glück des preußischen Dichters

Von Marie Isabel SchlinzigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marie Isabel Schlinzig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Kleist. Vom Glück des Untergangs“ ist eines der Leichtgewichte, die uns das Jubiläumsjahr 2011 beschert hat. In fünf Abschnitten – Prolog, Leben, Krieg, Liebe, Epilog – und auf weniger als 90 Seiten umreißt Adam Soboczynski die Biografie des Dichters, verknüpft Brief- und Werkzitate und kontextualisiert diese mit zeit-, mentalitäts- und literaturhistorischen Details. So weit, so eingängig.

Schwankend zwischen biografischem Essay und fußnotenfreier Analyse tritt der Text durchaus ambitioniert auf. Er ist „dem Glück dieses Dichters auf der Spur, das stets im Unglück keimt“. Die titelgebende These wäre damit formuliert: Kleist entwerfe „sowohl in seinem Leben als auch in seiner Literatur die gewaltigen Untergangsszenarien immerzu als Glücksmomente“. Das weckt Erwartungen und macht neugierig auf ein Bild von Kleist, das manche Stereotypen unterlaufen könnte.

Im Laufe der Lektüre stellt sich jedoch Enttäuschung ein. Die Lesarten, auf welche Soboczynski seine These gründet, sind nicht immer schlüssig: Etwa wenn es heißt, im Bild der übereinandergestürzten Läufer im ‚Liebesbrief‘ an Ernst von Pfuel entwerfe Kleist die Liebe „als gleichberechtigtes Ringen, das die Zeit aufzuhalten vermag, als Moment des gemeinsamen Untergangs, der in Glück umschlägt“. Dass der Preuße unmittelbar danach von seiner „Schuld“ und seinen „Thrähnen“ spricht, passt nicht in diese Deutung.

Den zitierten Gedanken fortführend, schließt Soboczynski, „Kleist umkreis[e] in seinem Werk immer wieder den glücklichen Moment, in dem die gegnerischen Parteien wechselseitig und glücklich kapitulieren.“ Das Ende von „Michael Kohlhaas“ dient ihm hier als ein Beispiel: Kohlhaas erhält sein Recht und verliert sein Leben; der Junker wird bestraft. Der letzte Triumph des Rosshändlers über den Kurfürsten von Sachsen, der das Ende der Erzählung so herrlich pointiert, bleibt unerwähnt.

Präsentation und Ambition des Bandes widersprechen einander immer wieder: Soboczynski, vereinfacht, lässt weg, spitzt zu und versucht gleichzeitig, ein ernstzunehmendes Argument vorzutragen. Mit dem bei Kleist komplexen Begriff des „Glücks“ geht er dabei allzu freizügig um. Gleiches gilt für den „Untergang“, der hier unter anderem Kriegszustand, Naturkatastrophe und freundschaftlichen, liebenden wie feindlichen Wettkampf einschließt. Problematisch wie in mancherlei Weise althergebracht wirkt zudem, dass Soboczynski seine Thesen von Anfang an mit Hilfe des ‚heiteren‘ Doppelselbstmords Kleists und Henriette Vogels konturiert.

Manche Metapher Kleists nimmt der Autor wörtlich, an anderer Stelle glaubt er ihm kein Wort. So schreibt Soboczynski etwa mit Blick auf jene rätselumrankte Reise, die angeblich zunächst nach Wien gehen sollte: „Es füllen heute ganze Bibliotheken sehr ernsthafte Schriften zum Zweck der so genannten Würzburger Reise, gerade so, als könne man ernsthaft die aberwitzige Stilisierung und Dramatisierung des Dichters übersehen, der sich doch offenkundig nur aus einer ungemütlichen gesellschaftlichen Situation davonstehlen wollte.“ Der eher plumpe Seitenhieb des Autors auf die germanistische Forschung täuscht nicht darüber hinweg, dass seine eigene Beweisführung eher dünn wirkt.

Denn: So unterhaltsam sich der Text insgesamt liest, argumentativ bleibt er zumeist oberflächlich und unscharf. Wenn sich Soboczynski in tiefere Gewässer wagt, dann häufig in Gesellschaft etablierter Gewährsmänner wie Epikur, Theodor W. Adorno oder Niklas Luhmann. Deren Worte wie die sie begleitenden, nachdenkenswerten Reflexionen wirken allerdings etwas verloren in der ansonsten leicht dahinfließenden Prosa.

Ein Teil des Beanstandeten mag dem Format des Bandes geschuldet sein. Nur beruht auch dieses schließlich auf einer Entscheidung des Autors und seines Verlags. Die von letzterem verantwortete Buchrückseite irritiert durch Marktschreierei: Soboczynski ist fraglos ein „Kleist-Kenner“, über seine ‚Größe‘ lässt sich streiten. Als „begnadeter Stilist“ tritt er hier nicht in Erscheinung. Er piesackt den Leser zwar nicht mit verkomplizierenden Phrasen, aber so manche formale Spielerei wirkt wenig inspirierend. So werden einprägsame Formulierungen wie „Himmel und Abgrund fallen in eins“ in verschiedenen Kontexten wiederholt; statt inhaltliche Dichte erzeugt dies jedoch einen kurzlebigen Effekt.

Dem fachlich Interessierten bietet das Buch kaum Neues und wenig Überzeugendes, was allerdings, indem es zum Widerspruch anregt, dazu motiviert, weiterzudenken. Lesern, die den Dichter nicht oder kaum kennen, mag der Band als kurzweilige Einführung dienen. Wer es genauer wissen will, dem seien neben Kleists Werken und Briefen zwei Publikationen empfohlen: ein anderes, rein äußerliches Leichtgewicht aus 2011, Hans Joachim Kreutzers „Heinrich von Kleist“ (C.H. Beck) sowie Jochen Schmidts umfangreicherer Band „Heinrich von Kleist. Die Dramen und Erzählungen in ihrer Epoche“ (WBG), der mittlerweile in dritter Auflage vorliegt.

Am Ende bleibt „Vom Glück des Untergangs“ bedauerlicherweise eine verpasste Chance. Ein schmaler Band, der Kleist mit Witz, Gedankenschärfe und produktiver Lust am Provozieren vor breitem Publikum eine unerhörte Seite abgewinnt, wäre in der Flut von Publikationen zum Thema tatsächlich ein Glücksfall gewesen.

Titelbild

Adam Soboczynski: Kleist. Vom Glück des Untergangs.
Luchterhand Literaturverlag, München 2011.
91 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783630873633

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