„K-OS“

In seinem fünften Fall muss Detective John Cardinal im eisigen Ontario einen familienbesessenen Psychopathen jagen und aufpassen, dass er sich nicht in die Falsche verliebt

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Viermal hat der kanadische Autor Giles Blunt seine Leser schon nach Ontario entführt. Vorbild für die fiktive Stadt Algonquin Bay am Ufer des Lake Nipissing im Osten der Provinz ist North Bay, wo der heute in Toronto lebende Autor aufwuchs. Hier ermittelt Blunts Serienheld, Detective John Cardinal, gemeinsam mit seiner Kollegin Lise Delorme. Mit ihr verbindet den Mann seit der Ermordung seiner Ehefrau Catherine – die Aufklärung der als Selbstmord getarnten Tat stand im Mittelpunkt des vierten Cardinal/ Delorme – Falls „Eisige Kälte“ (Droemer 2007) – ein freundschaftliches Verhältnis. Gemeinsame Videoabende stehen am Anfang von „Eismord“ auf der Tagesordnung. Und immer wieder gibt es Andeutungen, dass aus der Feierabendfreundschaft zweier Kollegen sogar mehr werden könnte.

Blunt ist kein Autor, der seine Leser lange rätseln lässt, wer hinter dem blutigen Doppelmord steckt, der Algonquin Bay just in dem Moment aufschreckt, wo die jährliche große Pelzauktion über die Bühne gehen soll. Schon nach einem knappen Drittel des Textes liegen die meisten Karten auf dem Tisch – allein eine kleine Überraschung hebt der Autor sich noch für sein furioses Finale auf. Und natürlich bleibt die Frage, welche Beweggründe einen Serientäter umtreiben, der ein höchst eigenartiges Familienleben führt und seine Bluttaten wie ein Theaterregisseur am liebsten von anderen ausführen lässt.

Haben Cardinal und Delorme zunächst die russische Mafia in Verdacht, ein reiches Pelzhändlerpärchen erschossen und anschließend enthauptet zu haben, wird spätestens mit dem Auftauchen eines gut informierten FBI-Mannes aus New York klar, dass der Fall weit größere Dimensionen besitzt und tief in die Vergangenheit zurückreicht. Dass er sich letztendlich löst über die Verbindung mit einem nicht aufgeklärten, 40 Jahre alten Verbrechen, an dem sich John Cardinal gerade die Zähne ausbeißt, um die Aufklärungsquote in seinem Distrikt ein bisschen zu pushen, ist einer jener Zufälle, von denen es in diesem Roman ein paar zu viele gibt.

Ohnehin scheinen Blunts Stärken mehr in der raffinierten Psychologisierung seiner Figuren – vor allem einiger Nebencharaktere – zu liegen, als in einem Plot, der gelegentlich sehr weit hergeholt ist, und dem Bemühen, nicht ein einziges loses Ende übrig zu lassen. Samantha Doucette etwa, ein 18-jähriges, den „First Nations“ angehörendes Mädchen, das sich mit dem skrupellosen Immobilienhändler Randall Wishart auf eine Affäre einlässt und eiskalt fallengelassen wird, wenn es mit seiner Ehrlichkeit dessen heile Welt gefährdet, ist als Figur viel glaubhafter als die dreiköpfige „Familie“, die für ihren psychopathischen „Papa“ mordet, wann immer der es will.

Für seinen Showdown in den eisigen Wäldern Ontarios nutzt der Autor alles, was nur irgendwie in die winterlich schroffe Landschaft passen will und bei seiner Leserschaft rund um den Globus Erinnerungsbilder an kanadische Abenteuerfilme aufblitzen lässt: Blizzards mit Blitz und Donner, Schneesturm und Eisregen, zuschnappende Bärenfallen, verwinkelte Blockhäuser, pfeifende Kugeln und eine der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfende Hand, die lange für die falsche Seite gemordet hat.

Schließlich aber ist alles wieder gut und Blunts Helden strecken sich, wenn auch reichlich erschöpft und leicht lädiert, auf dem häuslichen Sofa aus. Nachdem sie einen Mann zur Strecke gebracht haben, dem eine postapokalyptische Welt vorschwebte, in die er die Menschheit durch gelenktes Chaos – „K-OS“ – zu führen gedachte, ist ihnen vorerst nicht mehr nach Horrorvideos zumute. Und auch wir wünschen uns, dass Giles Blunt mit seinem nächsten Fall für das sympathische Ermittlerduo Cardinal/ Delorme nicht ganz so dick aufträgt und sein deutscher Verlag bei der Titelwahl („Eismord“ heißt im Original „Crime Machine“) ein bisschen mehr Gespür beweist.

Titelbild

Giles Blunt: Eismord. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen von Eberhard Kreutzer und Anke Kreutzer.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2011.
416 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783426199145

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