Gepflegte Unterhaltung

Donna Leons Commissario Brunetti in seinem achtzehnten Fall – „Schöner Schein“ bietet alles, was man von ihren Venedig-Krimis erwartet

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sich einen der Brunetti-Krimis der Amerikanerin Donna Leon vorzunehmen, ist in etwa so abenteuerlich wie der sonntägliche Tatort. Man weiß im Großen und Ganzen, was einen erwartet, mehr noch, eigentlich fühlt man sich wie zu Besuch bei guten Freunden, mit denen man mit großer Regelmäßigkeit zusammentrifft. Alles ist so wie es immer war, zwar werden alle ein wenig älter, man sieht die Kinder heranwachsen und erlebt die neuen Probleme, die die Eltern damit haben. Man kennt sich mittlerweile mit dem Sozialleben der Brunettis ganz gut aus, kennt das etwas gespannte Verhältnis zum Schwiegervater, von dem man nicht sicher sein kann, ob er Brunetti für eine gute Partie der geliebten Tochter hält.

Die wiederum tischt jeden Mittag und Abend ein nach deutschen Verhältnissen opulentes Mahl auf, das vor allem eins ist: appetitanregend. Ansonsten geht sie ihrer befremdlichen akademischen Tätigkeit nach, die ihr anscheinend viel Raum für Mann, Kinder und Haushalt lässt.

Auch in die Verhältnisse am Arbeitsplatz des Commissarios hat man einen ausreichenden Einblick. Signorina Elletra aus dem Vorzimmer des Vize-Questore ist so maschinenhaft freundlich und zugewandt wie immer. Je länger sie im Geschäft ist, desto kompetenter wird sie bei der nicht immer legalen Unterstützung des Commisarios, dem sie offensichtlich mehr zugewandt ist als ihrem eitlen Chef. Die Gehilfen des Commisarios machen ihre Eifersüchteleien unter sich aus. Vianello, der treue Gefährte Brunettis, ist mit ihm mittlerweile per Du.

Mit anderen Worten, auch wenn nicht alles rechtens ist, ist die Welt im Venedig Donna Leons immer noch sehr in Ordnung. Dass die Krimis vom deutschen Fernsehen verfilmt wurden, vergrößert die Nähe noch mehr, wenn auch ein wenig unter Verlust des italienischen Elements. Zu dieser Ordnung gehören die Verbrechen selbstverständlich dazu. Es gibt viel Korruption in diesem Venedig, es gibt Morde und andere Kapitalverbrechen, und immer ist es Brunetti, der die Einbrüche des Irregulären zu bewältigen weiß.

Dabei gerät er – auch wenn es im Text gelegentlich anders stehen mag – eigentlich nie aus der Ruhe. Wir wissen, er wird wie immer herumfahren und mit Leuten reden. Er wird Signorina Elletra bitten, das eine oder andere für ihn zu recherchieren. Er wird nach Hause gehen und essen, mit seiner Frau oder den Kindern plaudern, gelegentlich bleibt er auch aushäusig, und er trinkt natürlich jede Menge Kaffee auf seiner Suche nach dem Täter.

In diesem Fall geht es anscheinend um die Müllmafia, die mehr und mehr nach Norditalien vordringt. Die Bilder aus Neapel sind noch präsent, kein Wunder also, dass Donna Leon sie aufnimmt und sie für einen Italienkrimi verwertet. Und wie immer geht es, wenns um Müll geht, um illegale Mülltransporte und -entsorgungen, um Giftabfälle und radioaktiven Müll, der irgendwo gelagert und weggeworfen wird.

Einen Kollegen Brunettis, der ihn um Hilfe in einem Mordfall mit Mafia-Beteiligung bittet, findet man erschossen auf. Der Giftmüll findet sich auch bald. Nur der Täter, ein Mitglied der Müll-Mafia, muss erst noch gestellt werden. Zum Glück kann der Kollege vor seinem Tod noch ein Foto eines der Mafiaakteure besorgen, das hilft bei der Identifizierung, und so kann die Lösung des Falls zügig und ohne große Überraschungen vorangetrieben werden.

Ein wenig komplizierter – jedoch auch ein wenig konstruierter – wird die Geschichte durch die Bekanntschaft Brunettis mit einer Dame, deren Gesicht angeblich derart stark geliftet ist, dass es mittlerweile überhaupt keine Mimik mehr zulässt (in TV-Serien und in der Glamourwelt ist das sonst eigentlich eine Botox-Sache). Der amerikanische Originaltitel, „About Face“, spielt darauf an. Naheliegend, weil Freundin der Schwiegermutter Brunettis, verbirgt sich dahinter kein eitles Weib, sondern ein grausames Schicksal, zumal Leon die Dame und den Schurken in einer bösen Liaison verbindet.

Das endet schließlich fatal, wenngleich nicht für Brunetti, und die schöne Venedig-Welt kann sich wieder eine Weile ihrer selbst sicher sein. Überraschungen? Keine, weder im Plot, noch in seiner Entwicklung oder im Stil. Leons Welt ist in einem Maße verlässlich, dass jede Wiederbegegnung eine rechte Freude ist, selbst dann wenn ziemliche Schweinerein verhandelt werden (Müll-Mafia eben, das kennen wir, spätestens aus den Nachrichten oder von den Sopranos). Es ist schön zu wissen, was man an Leon hat. Allerdings, wenn das alles jemand langweilig finden will, wird man ihm wenig entgegnen können.

Titelbild

Donna Leon: Schöner Schein. Commissario Brunettis achtzehnter Fall.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz.
Diogenes Verlag, Zürich 2011.
352 Seiten, 10,90 EUR.
ISBN-13: 9783257240986

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