Eifersüchtiger Eiferer und philosophischer Scharlatan

Über Karl-Heinz Otts vergnüglichen Rousseau-Roman „Wintzenried“

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Er ist schrullig, überspannt, arglistig, eitel und rastlos. Ein kleiner Irrsinn mag mitspielen, gekoppelt mit Redegewandtheit, Erfindungsgabe, Verlogenheit und Undankbarkeit. Im Übrigen ist er erstaunlich unbelesen. Er kennt fast nichts. Sein Wissen ist erbärmlich“. Die Rede ist vom Philosophen Jean-Jacques Rousseau, einem Wegbereiter der Französischen Revolution. In den Augen seiner philosophischen Zeitgenossen David Hume oder Denis Diderot ist er „ein hundsgemeiner Lügner, ein affektierter Affe und philosophischer Scharlatan“.

Karl-Heinz Ott, 1957 im oberschwäbischen Ehingen geboren und bei Freiburg lebendender Schriftsteller, zeigt den Aufklärer in seinem neuen Roman als narzisstisch-paranoiden, manisch-eifersüchtigen Eiferer, als neidisch-missgünstig Getriebenen, der seiner sexuellen Triebe nicht Herr zu werden vermag.

Zwar ist der Philosoph die Hauptfigur in Otts Roman, seinen Titel hat der Text jedoch von einer Nebenfigur. Denn der Perückenmacher Wintzenried vertreibt den Halbwaisen Rousseau aus dem Bett seiner um 13 Jahre älteren Geliebten Madame de Warrens, von ihm „Mama“ genannt. Diese narzisstische Kränkung ist für Jean-Jacques Ausgangspunkt seines Strebens nach Ruhm um jeden Preis.

Ein erster Versuch, eine Karriere als Komponist und Dirigent zu starten, scheitert kläglich. Nach verschiedenen Stationen nimmt Rousseau auf Anraten Diderots an einem Preisausschreiben der Akademie in Dijon teil, das er mit einer zivilisations- und kulturkritischen Abhandlung gewinnt. Über Nacht wird er, mittlerweile mit Thérèse, einer einfachen Bedienung zusammen, berühmt. In einem eigenwilligen Aufzug stilisiert sich der Onanist – ein „Laster“, das Ott mehrfach betont – nun, sich permanent verfolgt fühlend, zum Verfechter einer Rückkehr zur Natur und verkracht sich mit den führenden Männern Frankreichs und Englands.

Der Verfasser einer überaus erfolgreichen Erziehungsschrift gibt seine eigenen fünf Kinder ins Waisenhaus: „Du würdest deine Kinder nur zu Vatermördern heranziehen, schreit er Thérèse jedes Mal an, wenn ihm ihr Geheul auf die Nerven geht. Im Übrigen ist er nicht einmal sicher, ob sie überhaupt von ihm sind. Gar nicht davon zu reden, dass nie Geld im Haus ist. Weshalb ihm gar nichts anderes übrigbleibt, als sie ins Findelhaus zu bringen.“

Karl-Heinz Ott ist mit „Wintzenried“ ein ebenso virtuos-vergnüglicher wie hintergründig-unterhaltsamer Roman gelungen. Sein Anti-Philosophen-Roman über den Hauptaufklärer Rousseau ist ein richtiges Lesevergnügen.

Titelbild

Karl-Heinz Ott: Wintzenried. Roman.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2011.
208 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783455403114

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