Luxusprobleme oder existenzielle Ängste?

Nina Pauer therapiert in ihrem Buch „Wir haben keine Angst“ verunsicherte Endzwanziger

Von Imke TeerlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Imke Teerling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nina Pauer skizziert in ihrem Debütroman die Ängste und Marotten einer „Generation“ anhand der fünf Angstmacher Arbeit, Liebe, Freundschaft, Eltern und Politik durch die beiden Protagonisten Anna und Sebastian. Anna führt ein nach außen hin perfektes Leben: Sie war immer die beste in der Schule, das Studium meisterte sie mit links und nun ist sie natürlich auch super erfolgreich im Job. Sie hat einen riesigen Freundes- und Bekanntenkreis, ihre Eltern sind ihre besten Freunde und auch die Männer liegen ihr zu Füßen. Sebastian hingegen, der ewige Student, ist schon in der Schule eher durch seine charmante Art, als durch ausgezeichnete Noten aufgefallen. Er hat zwar Köpfchen, ist aber faul. Er sprießt über vor Energie und Ideen, diese sind aber genauso schnell schon wieder passé wie sie kamen.

Zwei Charaktere, wie sie gegensätzlicher kaum sein könnten – und doch haben sie sehr viel gemeinsam. Anna und Sebastian sind sozusagen die beiden Pole einer Generation, von akademischen Endzwanzigern der (oberen) Mittelschicht, die somit im eigentlichen Sinne schon gar keine Generation mehr darstellen. Zwar erspart uns Pauer einen neuen Generationsbegriff, in dem sie nüchtern feststellt „Wir sind Generation gar nichts“, kann aber auf Pauschalisierungen doch nicht ganz verzichten. So lässt sie bei ihren Betrachtungen außer Acht, dass sich die beschriebenen Phänomene wohl größtenteils auf Akademiker beziehen lassen und somit nur einen geringen Teil einer gesamten Generation ausmachen.

Trotz alledem: Viele von uns kennen eine Anna und einen Sebastian, wir alle sind, zumindest nach Nina Pauer, ein Stück von beiden. Unser Problem sei vor allem, dass wir mehr Möglichkeiten besitzen, als alle Generationen vor uns, dies aber oftmals mehr Fluch als Segen bedeute. Von unseren Eltern bekommen wir Sätze zu hören wie „Ist doch toll, was für Möglichkeiten ihr habt.“ Doch wir verspüren statt Freiheit Druck. Wir wollen und können uns nicht festlegen, aus lauter Angst, die falsche Entscheidung zu treffen, die dann unser ganzes weiteres Leben determiniert und in eine bestimmte Richtung drängt. Wir haben Angst, uns selbst zu verpassen, weil „wir die einzig richtige Version unserer Selbst dann nie gelebt hätten“.

Doch um unsere diversen Ängste zu unterdrücken, haben wir so manche Technik entwickelt: Gehören wir zum Typ Anna, so schaffen wir das, indem wir versuchen, unser gesamtes Leben durchzuorganisieren und stets bemüht sind, den Schein der Perfektion zu wahren. So brilliert unser Sozialleben dank modernster Technik durch multiple Anwesenheiten: In sozialen Netzwerken zeigen wir uns so, wie wir gesehen werden wollen, und nicht, wie wir sind. Zählen wir eher zum Typ Sebastian, verstecken wir uns hinter übertriebener Lockerheit, Ironie und Sarkasmus, um zum Beispiel unserem Angstmacher Nummer fünf (Politik: Das klare Statement) zu entgehen. Das Ergebnis sei, so Pauer, „dass sich eigentlich so gut wie niemand mehr traut, den Mund aufzumachen. Zumindest nicht, um sich allen Ernstes hinzustellen und völlig ironie- und schambefreit in die Welt zu rufen, was er glaubt, wofür er steht, wen er wählt und worauf er hofft.“ Jedes Statement wird daher in schwammige Hüllen verpackt, und mit Hinweisen auf gefährliches Halbwissen relativiert.

Dass es sich bei der Zeichnung dieser Generation wirklich nur um vereinzelte „gestörte Stressmenschen mit Luxusproblemen“ handelt, wird der Thematik sicherlich nicht gerecht, müssen sich doch viele beim Lesen diese Buches eingestehen, dass sie sich ertappt fühlen. Eine Patentlösung bietet Pauer aber freilich nicht, und so fällt das letzte Kapitel: „Versuch einer Entlastung“ entsprechend mager aus: „Thematisierung“ heißt es hier im halbernsten Tone, und bekanntlich ist ja Erkenntnis der erste Schritt zur Heilung.

Titelbild

Nina Pauer: Wir haben keine Angst. Gruppentherapie einer Generation.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
200 Seiten, 13,95 EUR.
ISBN-13: 9783100606143

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