Brüderlicher Familienzwist

Ein Sammelband Karl-Otto Apels zur Transzendentalpragmatik

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach der bereits 1973 erschienen Aufsatzsammlung "Transformation der Philosophie", die bislang als sein Hauptwerk gelten konnte, hat Karl-Otto Apel nun ein nicht minder gewichtiges Buch vorgelegt: "Auseinandersetzungen in Erprobung des transzendentalpragmatischen Ansatzes", das der "Transformation der Philosophie" den Rang als opus magnum durchaus streitig machen könnte. Und wiederum handelt es sich um eine Sammlung von Aufsätzen - mit Monographien ist der emeritierte Frankfurter Philosoph bislang kaum hervorgetreten. Dreh- und Angelpunkt aller Aufsätze des neuen Buches ist die von ihm begründete Transzendentalpragmatik, bei der es sich um einen diskurstheoretischen Ansatz handelt, der die Sinn- und Geltungsbedingungen des argumentativen Denkens bestimmen möchte. Hierzu unternimmt Apel eine sprachliche Rekonstruktion tragender Elemente der Transzendentalphilosophie Kants, dessen zentralen Topos der "Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung" er in den Auf- und Nachweis von unhintergehbaren Präsuppositionen jeglicher Redepraxis transformiert. Anstelle der kantischen Frage tritt so die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit diskursiven Argumentierens. Kants fundamentale Bezugnahme auf ein "Bewußtsein überhaupt" und das "ich denke", das als höchster Punkt der Transzendentalphilosophie - wie der Königsberger Philosoph formulierte - "alle meine Vorstellungen muß begleiten können", wird durch die "unbegrenzte Kommunikationsgemeinschaft" ersetzt. Kurz: Die "letztbegründeten" Regeln des Argumentierens sollen als unumgängliche Voraussetzung aller unserer kognitiven Tätigkeit erwiesen werden. Diese Regeln sind in der "Letztbegründungsformel" zusammengefasst. Sie besagt, alle diejenigen Voraussetzungen des Argumentierens sollen als letztbegründet gelten, die man, wie es in einer früheren Schrift Apels heißt, "nicht ohne aktuellen Selbstwiderspruch bestreiten und zugleich nicht ohne formallogische petitio principii begründen kann".

Das neue Buch "erprobt" nun diesen transzendentalpragmatischen Ansatz in "Auseinandersetzung" - ein bei Apel hoch aufgeladener Terminus - mit im weiteren Sinne zeitgenössischen Philosophen. So setzt er sich etwa mit dem Fallibilismus in der von Hans Albert vorgetragenen Form auseinander, wobei er in der Einleitung dem philosophischen Kontrahenten aus dem Hause des kritischen Rationalismus einen Punktgewinn zugesteht, den dieser mit dem Argument erzielt habe, man könne zwar alles bezweifeln, nicht aber alles gleichzeitig. In der nächsten Runde, so Apel, habe er selbst dieses Argument allerdings mit Hilfe Wittgensteins eingeholt.

Weitere Philosophen, mit denen Apel sich auseinandersetzt, sind neben Hermann Krings und Peter Winch eben Wittgenstein und Heidegger, dem Apels Denken, wie er sagt, "einmal wesentliche Impulse zu verdanken hatte", sowie Charles Pierce und vor allem Habermas, der Bruder im Geiste, zu dem Apel nicht nur seit dem gemeinsamen Studium in Bonn eine freundschaftliche Verbindung unterhält, sondern dessen Universalpragmatik im Rahmen der Familie der Diskurstheorie sozusagen ein brüderlicher Verwandter von Apels Transzendentalpragmatik ist.

Nicht weniger als die letzten drei Aufsätze gelten denn auch der Auseinandersetzung mit der Philosophie Habermas'. Sie machen etwa ein Viertel des gesamten Buches aus. Bei ihnen handelt es sich, wie der Autor versichert, gleichermaßen um den zum Verständnis der transzendentalpragmatischen Philosophie wichtigsten, aber auch schwierigsten Teil. Die Differenzen, die hier deutlich werden, könnten allerdings "vielen Lesern als esoterisch erscheinen", fürchtet er. Wer meint, die Kontroverse gleiche dem spätscholastischen Disput um die Anzahl der Engel, die auf einer Nadelspitze Platz fänden, irrt jedoch gründlich.

In der Auseinandersetzung mit Habermas macht Apel noch einmal deutlich, dass er seine Philosophie als "postmetaphysisch" versteht, was ihn allerdings nicht daran hindert, an "philosophischen Geltungs- und Begründungsansprüchen" festzuhalten, und zwar mit durchaus nicht schlechten Gründen. Eine der wesentlichen Ursachen der "Inkonsistenz" nicht nur postmoderner Positionen der Philosophie, sondern auch des Ansatzes von Habermas macht er in der "Unterbietung des transzendentalreflexiven Begründungsanspruchs" aus, die er auch in dessen Bemühen sieht, jegliche transzendentalpragmatische Letztbegründung zu vermeiden.

Apels dritter Versuch, "mit Habermas über Habermas hinauszudenken", gilt dem letzten großen Werk des amicum philosophum: "Faktizität und Geltung". Es handelt sich um den einzigen bisher unveröffentlichte Aufsatz des Buches und er enthält Apels "bislang umfassendste und differenzierteste Auseinandersetzung mit der Habermasschen Ausarbeitung der diskursethischen Architektonik der Begründung der praktischen Philosophie".

Titelbild

Karl-Otto Apel: Auseinandersetzungen in Erprobung des transzendental-pragmatischen Ansatzes.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
865 Seiten, 75,70 EUR.
ISBN-10: 3518582607

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