Epikur schlägt Luxusleben

Kerstin Maria Pöhler konzipiert einen Mann, der „Einen Sommer lang“ mit seiner Sinnsuche Missverständnisse provoziert

Von Renate SchauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Renate Schauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ingrid und Leonhard Zepp haben sich auseinandergelebt. Da ihnen Arbeit, Wohlstand und schöne Arrangements zur Selbstverständlichkeit geworden sind, merken sie die entstandene Kluft erst, nachdem ihre Firma verpachtet ist und der Ruhestand altgewohnte Routinen in verändertem Licht erscheinen lässt. Die Autorin Kerstin Maria Pöhler konzentriert sich in ihrem Romandebüt „Einen Sommer lang“ auf die Entwicklung des Mannes, der sich auf die Sinnsuche begibt, von Familie und Luxusvilla abrückt.

Die Philosophie zieht ihn an. Sie hatte ihn schon stark interessiert, bevor er den Betrieb seines Vaters übernahm. Deshalb besucht Leonhard die Universität, erzählt dies aber niemandem. Ingrid wird misstrauisch und vermutet eine heimliche Gespielin. Aus diesem Konflikt resultiert das Auseinanderbrechen ihrer Ehe.

Wie glaubwürdig ist Leonhard Zepp als Protagonist, der zwar zu Unrecht einer Liaison verdächtigt wird, aber so gar keine Anstalten macht, seine Frau in seine „Wege zum glücklichen Handeln. Die Stoa und Epikur“ – so heißt das Kolloquium, das er besucht – einzuweihen? Es scheint, als wolle er endlich etwas Eigenes haben. Etwas Eigenes jenseits des Materiellen – ungeteilte Zweifel, Denkanstöße, Erkenntnisse sowie Ratlosigkeit. „Eigensinnig“ stiehlt er sich weg von der gesicherten Realität: Eigensinn wird hier zu einem mehrdeutigen Wort.

Gewiss erwartet man kaum von einem Mann, dass er sein Innerstes nach außen kehrt, doch etliche Details sprechen dafür, dass Leonhard diese Geschichte als diesbezüglich atypischer Mann vorantreiben soll. Ein Indiz dafür ist beispielsweise der Brief an seine Kinder Jan und Laura, beide erwachsen, in dem er unterbreitet, warum er mit ihrer Mutter nicht mehr zusammenleben kann. Der Brief wirkt unglaubwürdig wie ein Fremdkörper, weil er nicht nur ungeschickt-anklägerisch argumentiert, sondern auch ausgesprochen lange gerät. Hier soll uns vermutlich gezeigt werden, wie fremd der Aufbrechende sich selbst ist. Es dauert 129 Seiten, bevor Leonhard notiert: „Ich erkannte mit einem Mal, dass ich mein Leben nicht zum Besseren wenden konnte, ohne mich mit mir selbst auseinanderzusetzen, ohne bei mir selbst anzusetzen.“

Der Roman lehrt staunen, warum Leonhard nicht einfach Grenzen zieht, indem er schlicht mitteilt, was er plant und tut. Genau das öffnet Raum für ungute Spekulationen und Gefühle. Und es sorgt für Spannung: Wird es Verwicklungen geben, und wie entlarven sich die Beteiligten in der daraus entstehenden Bedrängnis? Wie werden sie sich dieser Bedrängnis entledigen? Leonhard selbst bleibt ein rätselhafte Charakter: Meint er es ernst mit der Suche nach Sinn und Glück – oder handelt es sich um einen kleinen Ausflug ins Ungewisse, der dann doch im Bann des Althergebrachten endet?

Es passiert nichts Spektakuläres. Auch dann nicht, als schließlich doch eine beglückende neue Liebe die Szenerie belebt. Hier hat die Autorin die Gegensätze klug gesetzt. Aber auch hier bleibt die Frage, warum Leonhard blass und zögerlich agiert. Denn man hat nicht das Gefühl, dass seine Persönlichkeit in zwei völlig unterschiedliche Hälften auseinander fällt – einerseits die des Optimisten mit Lust auf einen erfüllten Lebensabend nach seiner entscheidungsfreudigen Vergangenheit als geschäftstüchtiger Unternehmer – und andererseits die des Zaghaften, alles sensibel hinterfragenden Schwerenöters. Hält er sich womöglich ein Hintertürchen offen? Ist das der Clou des Romans?

Die Autorin ist dann am stärksten, wenn sie ihr musikalisches Talent mit einbringen kann. Das rhythmische Beschreiben der Oper in Venedig zählt deshalb zu den sprachstärksten Passagen des Buches. Kein Wunder, denn Kerstin Maria Pöhler hat als Musiktheater-Regisseurin an bedeutenden Opernhäusern gearbeitet – wie der Bayerischen Staatsoper, der Oper Graz und dem Staatstheater Braunschweig. Außerdem verdankt ihr die Musikwelt einige Opernlibretti. Mit ihrem ersten Roman „Einen Sommer lang“ versteht sie Neugier zu erzeugen, hätte aber ihren LeserInnen fast zu viel zugemutet. Mit etwas mehr Stringenz kann ihr nächstes Buch tatsächlich überzeugend werden!

Titelbild

Kerstin Maria Pöhler: Einen Sommer lang. Roman.
Quell Verlag für nachhaltiges Leben, Frankfurt a. M. 2011.
330 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783981266757

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