Kopistennaturen und rehabilitierte Mängelwesen

Helga Laugsch hat ihre Dissertation über den feministischen Matriarchats-Diskurs neu aufgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor anderthalb Jahrzehnten veröffentlichte die nunmehr als Lektorin tätige Philosophin Helga Laugsch ihre Dissertation unter dem leicht barock anmutenden Titel „Der Matriarchats-Diskurs (in) der Zweiten Deutschen Frauenbewegung. Die (Wider)Rede von der ‚anderen‘ Gesellschaft und vom ‚anderen‘ Geschlecht. Genese, Geschichte, Grundlagen, Positionen, Probleme, Implikationen, Ideologien.“

Seit vergangenem Jahr ist eine Neuausgabe des Buches erhältlich, die als „zweite, durchgesehene, überarbeitete und erweiterte Auflage“ firmiert. Wie sich die Überarbeitung auswirkte, bleibt allerdings recht unklar. Deutlich ist hingegen, worin die Erweiterungen bestehen. Sie bilden den Anhang und werden zudem im Vorwort zur Neuausgabe aufgelistet. Es handelt sich um „einige Vorträge“, einen „Artikel“ sowie „ein extra für diese zweite Auflage geschriebenes Nachwort“, in dem die Autorin sich mit „der aktuelle Situation und dem Stand der Geschlechter- und Matriarchatsdinge“ auseinandersetzt, wofür ihr gerade mal fünfzehn Seiten genügen.

Wie Laugsch im Vorwort bekennt, ist ihr noch immer „kein anderes Phänomen aus den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen der letzten 150 Jahre bekannt, das ähnlich umstritten und uneindeutig gehandhabt worden wäre“ wie die Frage, ob es denn nun jemals ein Matriarchat gab oder nicht, um sodann zu beklagen, dass der „Großteil der Matriarchats-Gefechte auf dem Feld der Beweisbarkeit stattfindet“. Für eine Studie wie die ihre spiele „der Punkt einer realen/historischen Existenz und deren Nachweis“ hingegen „keine ausschlaggebende Rolle“, denn schließlich handele es sich um „eine wissenschaftliche Arbeit philosophischer Provenienz“. Das erinnert nun doch ein wenig an Hegel, von dem die Anekdote umgeht, er habe den Vorhalt, seine Philosophie stimme nicht mit der Wirklichkeit überein, mit den Worten „um so schlimmer für die Wirklichkeit“ zurückgewiesen.

Ganz so weit mag die Autorin wohl nicht gehen. Jedenfalls gliedert sich ihre Untersuchung in drei Teile, deren erster sich auf eine „ideologiekritische Spurensuche“ nach „Positivbelegen hinsichtlich des Matriarchatsphänomens vor der Zweiten Frauenbewegung in den Einzeldisziplinen“ begibt. Im zweiten Teil legt Laugsch die „feministische Matriarchatsrezeption und -konkretion infolge des Paradigmenwechsels in der Zweiten Deutschen Frauenbewegung“ aus, um im dritten Überlegungen zum „Matriarchats-Diskurs (in) der Zweiten Deutschen Frauenbewegung“ anzustellen, der sich allerdings als „(weitgehend) nicht-geführten Dialog“ zwischen den Verfechterinnen der These eines historischen Matriarchats und den diesbezüglichen Skeptikerinnen erweise.

Als Laugsch zu Beginn der 1990er-Jahre ihre Dissertation schrieb, hatte sie selbst noch „ein allgemeines und nachweisbares Matriarchat vermutet“. Eine Annahme, von der sie sich nun ausdrücklich „distanziert“. Dennoch mochte sie ihre Dissertation nicht für die Neuausgabe „verändern“ oder „polieren“. Vielmehr übernimmt sie den von ihr inzwischen als falsch oder doch zumindest fehlerhaft verworfenen ersten Teil „als mein Stand im Jahre 1995“. Das ist wenig überzeugend. Wo, wenn nicht hier, wäre die auf dem Titelblatt behauptete Überarbeitung durchzuführen gewesen? Und warum sollten sich die Lesenden mehr für ihre Irrtümer aus dem Jahr 1995 als für ihre Erkenntnisse von 2011 interessieren?

In diesem ersten, immerhin 80 Seiten umfassenden Kapitel, gleichsam einem Präludium zur eigentlichen Untersuchung, führt sie ihre Suche nach einem historischen Matriarchat tief in die Vergangenheit, wobei sie sich auf Altägypten konzentriert. Im 20. Jahrhundert angelangt, konstatiert sie, „neben den Marxisten“ seien es „vor allem Psychologen und Therapeuten der Jung’schen Richtung, als nicht genuin feministische Positionen, die sich mit Matriarchat beschäftigen“. Der anarchistische Psychoanalytiker und Matriarchatsverfechter Otto Gross scheint ihr hingegen – zumindest bis zur Abfassung ihrer Dissertation – unbekannt gewesen zu sein.

Auch die beiden anderen Teile ihrer Dissertation hat die Autorin für die Neuausgabe unverändert übernommen. Diese allerdings, weil sie noch immer „uneingeschränkt bestehen bleiben“ und ihre „Gültigkeit“ behalten.

Ins Zentrum ihrer Arbeit stellt Laugsch den „Matriarchats-Komplex“, ein Terminus, den sie ausdrücklich auch psychologisch verstanden wissen will, und „die These von der Gleichheit/Verschiedenheit der Geschlechter, die im Laufe der Zweiten Frauenbewegung eine feministische Wiederbelebung erfährt.“ Die Untersuchungsmethode, mit der sie sich ihren Forschungsgegenständen nähert, beschreibt sie als „phänomenologische“.

Als Quellen ihrer Untersuchung zum Matriarchatsdiskurs der zweiten Frauenbewegung dienen ihr nicht nur theoretische Arbeiten, sondern auch „die belletristischen Erzeugnisse von frauenbewegten Autorinnen hinsichtlich des Anderen, der räumlichen Dimension“. Denn „wenn das Suchen des Raumes zu einer Findung führt, kann dieser Standort der Frauen als ein Autonomie und Selbstbestimmung intendierender, auch endlich (!) auf die philosophische Ebene gebracht werden“, wie sie in nicht eben lesefreundlichem Nominalstil formuliert. An literarischen Quellen zieht sie fast ausnahmslos fremdsprachige Werke heran. Dies sei legitim, sofern deutsche Übersetzungen vorlagen, so dass die Texte von der deutschen Frauenbewegung rezipieren werden konnte. Allerdings beschränkt sie sich nicht ausschließlich auf die deutsche Rezeption, sondern nimmt auch schon mal Positionen US-amerikanischer Feministinnen sowie die nicht nur englischsprachige „männliche ‚Reaktion‘ (dies im wahrsten Sinne des Wortes)“ auf den feministischen Matriarchats-Diskurs in den Blick, wobei sie den Beiträgen letzterer eine „erschreckende Qualität“ bescheinigt. Als Beispiel führt sie unter anderem Uwe Wesel an, dessen Buch „Mythos vom Matriarchat“, sie zudem eine „kaum glaubliche sprachliche ‚Qualität‘“ bescheinigt. Doch weist sie nicht nur Wesels Kritik an der Annahme eines historischen Matriarchats als inhaltlich und stilistisch miserabel zurück, sondern erklärt, „auch eine ‚linke‘, ‚fortschrittliche‘ Perspektive, wie die Hochhuths schuldet die Unterdrückung der Frauen diesen selbst, wegen mangelnder Tapferkeit und ihrer Kopistennatur, da sie wenig Kreativität besitzen.“ Gemeint ist offenbar, dass Rolf Hochhuth meine, die Frauen seien selbst schuld, wenn sie unterdrückt werden.

Auch der zweite Teil des vorliegenden Buches blickt zunächst noch einmal in die Zeit vor dem Feminismus der 1970er-Jahre zurück und beginnt mit einem Exkurs über die erste Frauenbewegung. Da Laugsch die eine oder andere recht abgelegene Quelle aus der Zeit um 1900 heranzieht, ist dieser Abschnitt so für manchen überraschenden Lektürefund gut. Zutreffend konstatiert sie, „daß für die Erste Frauenbewegung und all ihre Gruppierungen das Interesse an Mutterecht recht zurückhaltend war“. Irrig ist allerdings die Annahme, der Begriff Feminismus sei „von Fourier geprägt“ worden. Ein Irrtum, den sie allerdings mit nicht ebenen wenigen teilt. Befremdlicher ist, dass sie meint, Simone de Beauvoir habe einer „fatalisierten Biologie“ angehangen, obwohl sie unmittelbar darauf deren bekannteste Sentenz zitiert: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht“, oder dass sie erklärt, Carol Gilligan habe „die Frau als Mängelwesen rehabilitiert“.

In ihrer Auseinandersetzung mit den Texten der Neuen Frauenbewegung ist die Autorin erkennbar um ein abwägendes Urteil bemüht und darum, ihren Quellentexten gerecht zu werden, doch neigt sie nicht nur unterschwellig immer wieder differenzfeministischen Positionen zu. So weist sie nicht nur darauf hin, dass „die Teile der Neuen Frauenbewegung, die Matriarchat als andere, zu suchende Gesellschaft, als weibliche, generelle Vergangenheit positiv rezipieren, formulieren und später selbst ausgestalten, nahezu ausnahmslos einer Geschlechterdifferenz anhängen“, sondern erklärt „das System der Gleichheitsfeministinnen“ zum „ungleich beschränkteren“.

Im Nachwort zur Neuauflage beklagt Laugsch emphatisch, dass das „Matriarchat in all seinen Formen und Möglichkeiten“ noch immer „abgedrängt, vereinnahmt, verkürzt, ausgeschlossen oder verabsolutiert“ beziehungsweise „angeprangert, totgeschwiegen, totgeschlagen“ werde. Eben darum sei die zweite Auflage „aktueller, als ich dachte“.

Titelbild

Helga Laugsch: Der Matriarchats-Diskurs (in) der Zweiten Deutschen Frauenbewegung. Die (Wider)Rede von der »anderen« Gesellschaft und vom »anderen« Geschlecht.
Herbert Utz Verlag, München 2011.
486 Seiten, 59,00 EUR.
ISBN-13: 9783831641321

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